Die Hamburger Andreas F. Schneider und Hendrik Flügge erzählen in dem Film “Gold“ die bewegende Geschichte von behinderten Sportlern.

Hamburg. Sie sind ziemlich beste Freunde und haben ein gemeinsames Ziel: den besten Film über Spitzensportler mit Handicap zu machen, der je im Kino lief. An dem Projekt arbeiten sie seit dreieinhalb Jahren. Im Februar ist Premiere - in einem Hangar auf dem Hamburger Flughafen, zwischen zwei Jumbo Jets. Denn von den 1300 Gästen werden viele im Rollstuhl sitzen.

Andreas F. Schneider und Hendrik Flügge betreiben in Altona die parapictures film production. Die beiden Männer verbindet weit mehr als ihre Geschäftspartnerschaft und das Filmprojekt. Es hängt mit Schneiders eigenem Handicap zusammen. Auch er sitzt im Rollstuhl. Seit er als Jugendlicher kopfüber in einen Baggersee sprang, ist er querschnittgelähmt.

Ihr Büro liegt im ersten Stock eines Gewerbehinterhofs. An der Wand ein großes Bild im Street-Art-Stil. "Von meiner Schwester" sagt Andreas F. Schneider, der auf dem Buchstaben zwischen Vor- und Nachnamen nicht aus Extravaganz besteht, sondern um sich von seinen zahlreichen Namensvettern zu unterscheiden. Er rollt zu seinem Schreibtisch. Gegenüber hat Hendrik Flügge seinen Arbeitsplatz. Zwischen ihnen stehen eine Thermoskanne und Kekse. Flügge schenkt Kaffee ein, steht auf, geht rüber zu Schneider und stellt einen Becher vor ihn hin. Eine fürsorgliche, aber unaufdringliche Geste - und ein Zeichen, wie gut die beiden aufeinander eingespielt sind. Manche Bewegungen fallen Andreas F. Schneider schwer, etwa den Arm nach einer weit entfernten Tasse auszustrecken. Hendrik Flügge weiß das.

Dass sie zusammenarbeiten, scheint die logische Konsequenz ihrer beider Lebensläufe zu sein. Schneider verbrachte nach dem Badeunfall zunächst zehn Monate im Krankenhaus und in der Rehabilitation. Direkt nach dem Unfall fing er sich noch eine Salmonelleninfektion ein, die ihn fast das Leben kostete. "Ich war verzweifelt, wusste nicht, ob ich weiterleben sollte - aber meine Familie hat mich entscheidend unterstützt", erinnert sich der 49-Jährige. "Glücklicherweise habe ich die Fähigkeit, immer das Positive zu sehen." Er fand sich mit seinem Schicksal ab. Denn was wäre er ohne Unfall für ein Mensch geworden? Und hat er nicht Glück, sich so viel mehr bewegen zu können als der französische Unternehmer Philippe Pozzo di Borgo, nach dessen Geschichte der Film "Ziemlich beste Freunde" entstanden ist?

Nach der Reha machte Schneider sein Abitur nach, absolvierte eine Banklehre und studierte Betriebswirtschaft. Später bekam er einen guten Job bei Unilever, vermarktete die Margarine Lätta und andere bekannte Produkte - und kündigte nach acht Jahren, um neue Kommunikationsformen zu finden und andere Inhalte zu transportieren. In Zusammenarbeit mit dem Internationalen Paralympischen Komitee baute er den Internetsender ParalympicSport.tv auf und übertrug die Spiele von Turin, Peking und Vancouver, weltweit und live. Dann trat die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung auf ihn zu und fragte, ob er Stoff wie diesen zu einem Film verdichten könne. Er entwickelte erste Ideen, nahm Kontakte zu Sportlern auf - und lernte dann 2009 Hendrik Flügge kennen.

Der heute 48-Jährige hatte Sportökonomie mit Schwerpunkt Marketing studiert und konnte auf eine steile Karriere zurückblicken, erst beim Sportkonzern adidas in der Kommunikation, später bei der ISPR Sportrechteverwertungsgesellschaft. 1999 war Flügge Mitbegründer der Media-Agentur Pilot, eine der größten Deutschlands - und kam mit dem Thema Behindertensport in Berührung. 2009 bat ihn der Behindertensportverband Hamburg um Hilfe. 5000 Euro bräuchte man für die Unterstützung paralympischer Sportler, die für London trainieren wollten. Ein so niedriger Betrag lohne sich nicht, meinte Flügge, und schlug die Summe von 100.000 Euro vor. Zum Schluss trieb er mehr als das Dreifache auf - durch eine freche Kampagne, die mit selbstbewussten Sprüchen wie dem des blinden Judoker Dominik Zilian ("Ich sehe meine Gegner nicht, aber ich rieche ihre Angst") auf Postkarten, Plakaten und im Radio warb.

Zunächst hatte Flügge Berührungsängste. Er bat Andreas F. Schneider, der als Rollstuhlfahrer und Marketing-Experte prädestiniert schien, um Beratung. So lernten sich die beiden kennen - und nach kurzer Zeit fragte Schneider, ob Flügge ihm nicht bei dem Film helfen wolle. 2011 gab dieser seinen Geschäftsführer-Posten in der Media-Agentur auf und zog in die Film-Produktion an der Behringstraße. "Das war, auch vor dem Hintergrund meines Handicaps, ein Wagnis, das mich beeindruckt hat", sagt Schneider. Zumal er gerade durch einen Sehnenanriss in der Schulter einen Teil seiner Selbstständigkeit verloren hatte: Er konnte nicht mehr alleine vom Rollstuhl ins Auto steigen. "Ich wollte das Filmprojekt sausen lassen", erinnert sich Schneider. "Doch Hendrik wollte davon nichts wissen. Er fuhr jeden Morgen von seiner Eppendorfer Wohnung zu mir nach Nienstedten, um mich abzuholen, und brachte mich abends wieder zurück."

Bereichert durch den jeweils anderen fühlen sich beide. "Wir ticken ähnlich, ergänzen uns gedanklich und wollen beide etwas erzählen, das Relevanz hat", sagen sie. Und, ja, natürlich habe sich eine besondere Form der Beziehung zwischen ihnen entwickelt. Als sie zu den Dreharbeiten nach London gereist sind, war das für Schneider eine enorme Herausforderung. "Sonst bin ich mal eine Nacht im Hotel - und wenn ich nicht in die Dusche komme, gibt es eben nur Katzenwäsche", sagt er. "Aber London waren zweieinhalb Wochen."

Also baute Hendrik Flügge ihm nicht nur das viel zu hohe Hotelbett um, sondern verwandelte auch einen Ikea-Plastikstuhl in einen Duschhocker. "Mittlerweile schwöre ich auf Kabelbinder und reise nie mehr ohne - jedenfalls, wenn Andreas mitkommt", sagt Flügge lachend. "Aber Spaß beiseite: Es schweißt schon zusammen, wenn man so viel Zeit miteinander verbringt wie wir." Für ihn sei die wichtigste Erfahrung in der Partnerschaft mit Andreas F. Schneider der Perspektivwechsel und die Entschleunigung, die er durch den Umgang mit einem Rollstuhlfahrer erfahre. Und für Schneider? "Ich kann nicht nur auf Hendriks Freundschaft, Partnerschaft und Solidarität zählen - sondern erfahre auch die größte Erfüllung meines Berufslebens. Wenn der Film jetzt auch noch Erfolg hat: Das wäre bigger than life."

"Gold - Du kannst mehr als Du denkst", heißt der Streifen. Die Idee dazu hatte Schneider lange, bevor das Wort Inklusion bekannt wurde, bevor ein Kinofilm über einen Querschnittgelähmten zum Kassenschlager wurde, das Lifestyle-Magazin "Men's Health" körperbehinderten Athleten mehrere Seiten widmete und die Paralympics in London erfolgreicher waren als je zuvor. "Ich konnte damals nicht ahnen, dass das Thema Inklusion einmal eine so große Bedeutung bekommt", sagt er. "Es ist plötzlich gesellschaftsfähig geworden." Hauptdarsteller sind zwei Männer und eine Frau mit schweren körperlichen Behinderungen, die Spitzensportler geworden sind und an den paralympischen Spielen in London teilgenommen haben: der Australier Kurt Fearnley, ohne unteren Teil der Wirbelsäule geboren und mehrfacher Weltmeister sowie Paralympics-Sieger im Rennrollstuhlfahren; der Kenianer Henry Wanyoike, der über Nacht sein Augenlicht verlor und einer der weltbesten blinden Langstreckenläufer ist; und Kirsten Bruhn, nach einem Motorradunfall querschnittgelähmt, die in London zum dritten Mal paralympisches Gold geholt hat. Doch der Film erzählt nicht nur die außergewöhnlichen Lebens- und Erfolgsgeschichten der Sportler. "Er vermittelt eine starke Botschaft: Dass nämlich in jedem von uns die Fähigkeit steckt, über sich selbst hinauszuwachsen. Man muss nur fest an sich glauben", sagt Produzent Schneider. Ein bisschen erzählt der Film auch seine eigene Geschichte. Denn auch ihm hat Sport geholfen, seinen Weg ins Leben zurückzufinden: Schneider war Wettkampfsportler im Handbiken - bis er sich beim Training die Schulter verletzte.

Paralympischer Sport hat für die Sportler selbst, aber auch für ihre Integration große Bedeutung. Eine halbe Million Euro haben Flügge und Schneider von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein und dem Deutschen Filmförderfond für ihr Projekt bekommen. Unterstützt werden sie von Lufthansa, der Gesetzlichen Unfallversicherung und der Barmer GEK, aber auch vom Bundeskanzleramt, dem Innenministerium, den Vereinten Nationen und dem Hamburger Senat. "Ich selber war leider nie gut genug für paralympischen Sport", sagt Schneider. "Der Film gibt mir jetzt Gelegenheit, doch noch daran teilzunehmen."