Das Wort ist zum politischen Kampfbegriff verkommen

Armut ist relativ. Aber eines eint alle, die über Arme sprechen: Sie schwingen die dickste Keule, die Deutschland zu bieten hat. Denn mit dem Begriff allein lässt sich trefflich polarisieren. Ärmer ist schon, wer vom Einkommen plötzlich mehr Steuern zahlt, steigende Rechnungen an Tankstellen und für Versicherungen begleicht. Reicher ist bereits, wer aus einer Arbeitslosigkeit heraus einen Teilzeitjob bekommt, der ihn von staatlicher Unterstützung befreit.

Bei allen Prognosen, die dieser Tage durchs Land geistern, fallen die rabiaten Begleittöne und Taschenspielertricks unangenehm auf. Da werden Grafiken gebogen und kleine Nachkommabeträge zu großen Trends dramatisiert. Auch Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) geben da ein trauriges Bild ab.

Die Armutsgefährdungsquote ist gestiegen. Ja - aber der Wert für die Armutsschwelle auch, von 736 auf 848 Euro in sechs Jahren. Möglicherweise haben mit dieser Entwicklung Löhne oder Sozialleistungen nicht mitgehalten. Somit gelten mehr Menschen als arm. Dass so viele Menschen wie nie einen Job mit Sozialabgaben haben, wird oft verkannt.

Allerdings: Mehr junge Leute hangeln sich von Teilzeit zu Vollzeit, von festem Vertrag zur Zeitarbeit. Von Gehaltssprüngen sind sie zumeist ausgeschlossen. Das nährt Neid und Unsicherheit bei den künftigen Leistungsträgern. Und die größte Sorge Altersarmut? Hier steckt der Fehler nicht im System der gesetzlichen Rente. Für niedrige Löhne, hohe Mieten, steigende Energiepreise, gescheiterte Lebensentwürfe kann man die Deutsche Rentenversicherung nicht verantwortlich machen.

Mit reinem Umverteilen bewirkt man nichts. Eine prosperierende Wirtschaft braucht gute Ausbildung und Aufstiegsmöglichkeiten für junge Leute, mehr Arbeitsplätze für über60-Jährige, Jobperspektiven und Kitas für Alleinerziehende und bezahlbaren Wohnraum auch für Kleinverdiener. Dass hier politisch noch mehr zu tun ist, als alle Reformer uns vorgaukeln, das ist das wahre Armutszeugnis.