Jugendhilfe ist auch ein Milliardengeschäft - höchste Zeit, genauer hinzusehen.

Wenn Bürger etwas vom Staat wollen, dann müssen sie, salopp formuliert, die Hosen runterlassen. Nur wer seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse offenlegt, kann zum Beispiel eine Ermäßigung bei den Kita-Gebühren erwarten. Für Hartz-IV-Leistungen gilt das erst recht. Dort schaut der Staat sehr genau hin, damit ausschließlich diejenigen Leistungen bekommen, die auch ein Anrecht darauf haben. Und wenn der Sohn des Antragstellers mit dem Austragen von Zeitungen 100 Euro dazuverdient, wird das Geld dem Vater wieder abgezogen.

Für ein Kind unter 14 Jahren bekommt eine Hartz-IV-Familie übrigens 251 Euro im Monat. Das ist etwa ein Dreißigstel der Summe, die der Staat monatlich für das Kind bezahlt, das in den vergangenen Wochen traurige Berühmtheit erlangte: Jeremie. Der Fall dieses Elfjährigen, der bei einem Wanderzirkus untergebracht war, bis er flüchtete und untertauchte, wirft in mehreren Beziehungen grundsätzliche Fragen auf. Natürlich die nach der Sinnhaftigkeit, schwer traumatisierte Kinder in Zirkussen oder Stunt-Shows unterzubringen. Und die, warum der Staat für ein Kind die absurd anmutende Summe von 7400 Euro monatlich an einen Trägerverein überweist, ohne auch nur ansatzweise zu kontrollieren, wofür das Geld eigentlich ausgegeben wird.

Das Problem geht weit über diesen spektakulären Einzelfall hinaus. "Hilfen zur Erziehung" heißt die im Sozialgesetzbuch festgelegte Pflicht des Staates, sich um Kinder wie Jeremie zu kümmern. Rund 230 Millionen Euro gibt allein Hamburg jährlich dafür aus, bundesweit sind es mehr als sieben Milliarden Euro. Die Ausgaben steigen von Jahr zu Jahr rapide. Das gilt im Übrigen genauso für die "Eingliederungshilfe", die für Behinderte geleistet wird. 350 Millionen Euro werden dafür jedes Jahr in Hamburg bezahlt. Ein echtes Controlling, ob das Geld sinnvoll ausgegeben wird, gibt es in diesen Bereichen aber kaum.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Etwa die chronisch unterbesetzten Jugendämter, deren Mitarbeiter sich in erster Linie um das Wohlergehen der Kinder bemühen - und nicht darum, ob dafür möglicherweise zu viel gezahlt wird. Das ist nicht nur das - nachvollziehbare - Selbstverständnis der Mitarbeiter; das wird auch von der Politik vorgelebt. Da könne man nichts machen, dazu sei man ja verpflichtet, heißt es in schöner Regelmäßigkeit, wenn die Kosten mal wieder gestiegen sind. Da kürzt es sich bei "freiwilligen Leistungen" wie dem Jugendzentrum um die Ecke doch viel leichter. Und schließlich will sich auch niemand die Finger verbrennen. Denn wer Ausgaben für traumatisierte Kinder und Behinderte infrage stellt, steht schnell als herzlos da. Somit sind Politik und Behörden - also auch der Steuerzahler - Gefangene eines Systems, das den Anbietern eine sehr starke Stellung einräumt.

Es ist an der Zeit, dieses System aufzubrechen. Nicht etwa um Kindern, Jugendlichen und Behinderten weniger zu helfen als bisher. Sondern um endlich das zu gewährleisten, was in anderen Bereichen staatlicher Transferleistungen selbstverständlich ist: Kontrolle. Und das heißt eben nicht, sich nur erklären zu lassen, was etwa mit Jeremie alles gemacht wurde, um ihn zu fördern. Sondern zu kontrollieren, ob das theoretische Konzept auch in der Praxis umgesetzt wurde - und ob der Preis dafür angemessen ist.

Das wäre doch ein Zeichen grundsätzlichen Misstrauens gegen die zum Teil sogar gemeinnützigen Anbieter, werden manche sagen. Ja, das wäre es. Genauso wie es ein Zeichen staatlichen Misstrauens ist, sich die Angaben meiner Steuererklärung belegen zu lassen.

Die Träger der Jugend- und der Eingliederungshilfe sollten also, salopp formuliert, die Hosen runterlassen. Wir Bürger müssen es ja auch.