Seit Anfang 2011 baut der Flugzeughersteller Airbus seine Belegschaft vor allem in Hamburg aus. Interview mit Vorstandschef Fabrice Brégier.

Hamburg. Ein Auftragsbestand, der die Fertigung für die nächsten sieben Jahre auslastet, neue Produktionsrekorde und ein langfristig weiterwachsender Markt - Airbus hat gute Perspektiven. Doch es gibt auch enorme Herausforderungen. So darf bei der Markteinführung des neuen Langstreckenjets A350 nichts schiefgehen, und das geplante Werk in den USA muss in den Fertigungsverbund integriert werden. Ein Gespräch mit dem neuen Airbus-Chef Fabrice Brégier, 50.

Hamburger Abendblatt: Herr Brégier, im Jahr 2015 wird Airbus ein neues Endmontagewerk in den USA für Kurz- und Mittelstreckenjets der A320-Familie eröffnen. Wie können Sie sicherstellen, dass dies nicht auf Kosten der Beschäftigung an den europäischen Standorten geht?

Fabrice Brégier: Dies ist ein strategisches Investment. Gerade im Hinblick auf den Bedarf von rund 4600 neuen Flugzeugen dieses Segments in den USA in den kommenden 20 Jahren müssen wir dort noch stärker werden. Wir haben dort bisher einen Marktanteil von 17 Prozent, während er weltweit bei rund 50 Prozent liegt. Mit der neu motorisierten A320neo sehen wir dort ein enormes Potenzial. Ich bin davon überzeugt, dass die Bestellungen aus diesem Markt die Fertigungskapazitäten des neuen Endmontagewerks übersteigen werden. Obendrein profitieren natürlich die Standorte in Europa ganz direkt. Denn hier werden sämtliche Komponenten produziert, die dann später in Mobile im US-Bundesstaat Alabama zusammengesetzt werden.

Wie hat sich das im Jahr 2008 eröffnete Endmontagewerk in China auf die Beschäftigung in Europa ausgewirkt?

Brégier: Zum Zeitpunkt der Entscheidung für das Werk in China hatten wir in dem Land einen Marktanteil von 30 Prozent, im kommenden Jahr werden es 50 Prozent sein. Man sieht also, dass sich unsere Strategie auszahlt. Und was die Beschäftigung angeht, bedeutet jeder Mitarbeiter in den Endmontagewerken außerhalb Europas vier Arbeitsplätze an den europäischen Standorten. Nehmen wir die Zulieferer mit hinzu, sind es sogar zehn. Ohnehin werden hier in Europa auch in Zukunft die weitaus meisten Flugzeuge der A320-Familie produziert. Allein in Hamburg entstehen derzeit 23 Jets im Monat. Das ist mehr als die Hälfte unserer Gesamtproduktion im A320-Programm, die wir im Oktober auf monatlich 42 Maschinen gesteigert haben.

Vor dem Hintergrund der Produktionsausweitung schafft Airbus in diesem Jahr allein in Deutschland 1000 neue Arbeitsplätze. Wird es im neuen Jahr im gleichen Tempo weitergehen?

Brégier: Von Anfang 2011 bis Ende 2012 werden wir in Deutschland 3000 Mitarbeiter eingestellt haben, der größte Teil davon in Hamburg. 60 Prozent dieser neuen Mitarbeiter sind Ingenieure. Außer für den Hochlauf der Produktion brauchen wir sie für die Entwicklung des neuen Langstreckenjets A350. Im neuen Jahr werden wir das Tempo bei den Einstellungen etwas zurücknehmen. Wir wachsen aber weiter. Auch künftig werden wir die besten Fachkräfte brauchen, die es in der Region und darüber hinaus gibt. Wir bieten ihnen hochinteressante und anspruchsvolle Jobs in einer langfristigen Wachstumsbranche. Wie groß unser Vertrauen in die Zukunft ist, sieht man daran, dass wir mit den Arbeitnehmervertretern in Deutschland eine Standort- und Beschäftigungssicherung bis zum Jahr 2020 vereinbart haben.

Airbus hat eine Veränderung der Organisation beschlossen. Künftig sollen die Werkleiter mehr Kompetenzen erhalten. Was dürfen sie dann selbst entscheiden?

Brégier: In den vergangenen Jahren lag unsere Priorität darin, aus den Ländergesellschaften ein integriertes Unternehmen mit einheitlichen Standards zu schaffen. Das haben wir erreicht. Jetzt ist es an der Zeit, die Manager auf der lokalen Ebene - nicht die Ländergesellschaften - zu stärken, ohne dabei die gemeinsamen Standards wieder aufzugeben. Das bedeutet, dass zum Beispiel der Werkleiter in Hamburg mehr Entscheidungsgewalt, Autorität und Verantwortung zur Erreichung seiner Produktionsziele erhält - mit unmittelbarem Zugriff auf die lokalen Entwicklungsingenieure und die Zulieferkette seines Werkes. Anfang Januar wollen wir diese Veränderung, die gleichermaßen vom Management und den Gewerkschaften getragen wird, umsetzen.

Die Konjunktur hat sich in vielen Ländern abgeschwächt, während der deutlich gestiegene Treibstoffpreis die Fluggesellschaften in Bedrängnis bringt. Macht Ihnen dies Sorgen?

Brégier: Nicht wirklich. Unser Markt ist weltumspannend. Die traditionellen Märkte Nordamerika und Europa machen heute zusammen nur etwa 40 Prozent unseres Geschäfts aus. Bedenken Sie: 85 Prozent der Menschen auf der Welt sind noch nie geflogen. Für uns zählt das globale Wachstum des Luftverkehrs. Wir spüren zwar eine leichte Verlangsamung. Aber ich glaube, auch 2013 wird ein gutes Jahr für uns sein.

Der nächste Hoffnungsträger von Airbus ist der weitgehend aus leichten Kohlefaserwerkstoffen gebaute Langstreckenjet A350. Wie zuversichtlich sind Sie, dass er wie geplant in der zweiten Jahreshälfte 2014 ausgeliefert werden kann?

Brégier: Bei der Produktion der ersten Maschine haben wir gerade einen wichtigen Meilenstein erreicht: Im Rumpf haben wir alle Leitungen unter Strom gesetzt. Wir planen den Erstflug für Mitte 2013. Wenn in der Erprobung keine größeren Schwierigkeiten auftreten, werden wir den Zeitplan einhalten. Es bleibt aber ein sehr herausforderndes Programm. Allein 7000 Ingenieure arbeiten daran bei uns und unseren industriellen Partnern mit. Nur Airbus und Boeing beherrschen solche immens komplexen Flugzeugentwicklungen. Wir zielen mit dem A350 auf einen Gesamtmarkt von knapp 5000 Jets in den nächsten 20 Jahren, und wir glauben, dass wir uns mehr als 50 Prozent davon sichern können.

Boeing hat bei der Produktion des A350-Konkurrenten 787 Dreamliner böse Überraschungen erlebt, die eine Verzögerung des Programms von mehr als drei Jahren verursachten und Milliarden kosteten. Sind Sie sicher, dass es bei dem A350 nicht auch so kommt?

Brégier: Wir gehen einen anderen Weg als Boeing beim Modell 787. Wir haben bei dem A350 etwa 50 Prozent der Entwicklung und Fertigung an industrielle Partner übertragen und sind sicher, dass dies die richtige Balance ist. Wir haben viel investiert, gerade auch in unsere deutschen Standorte, und entwickeln und fertigen wichtige Teile des A350 selbst. So werden etwa Rumpfsegmente in Hamburg gebaut und auch komplett ausgerüstet. Es genügt in dieser Branche nicht, nur Entwicklung, Marketing und Endmontage im eigenen Haus zu behalten.

Airbus wird die A350-Jets in verschiedenen Produktionschargen ausliefern, die Leistungsfähigkeit also nach und nach steigern. Werden die ersten Maschinen die Leistungsgarantien verfehlen?

Brégier: Nein, bereits die ersten Flugzeuge werden das erfüllen, was wir unseren Kunden hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit, Reichweite und Kapazität versprochen haben. Bei eigentlich allen Flugzeugprogrammen ist es aber üblich, dass man im Laufe der Produktionsdauer des Flugzeugs kontinuierlich weitere Verbesserungen einarbeitet. Zum Beispiel ist kein A320 der ersten Generation mit den heute ausgelieferten Jets vergleichbar, Gleiches gilt für den A330, bei dem wir gerade eine neue Version mit noch größerer Reichweite auf den Markt gebracht haben.

Sind die Probleme mit Rissen in den Klammern im A380-Flügel behoben?

Brégier: Wir haben die veränderten Teile inzwischen im Flug erprobt. Im Januar können wir damit beginnen, die 90 bisher ausgelieferten Flugzeuge mit den verbesserten Klammern nachzurüsten. Die Sicherheit des A380 war durch dieses Thema nie beeinträchtigt. Wir sind uns aber natürlich bewusst, dass die erforderlichen Inspektionen und Nacharbeiten unangenehm für unsere Kunden sind.

In Deutschland gibt es die Sorge, das Management von Airbus könnte immer stärker von Franzosen dominiert werden.

Brégier: Eine Unternehmenszentrale in Toulouse bedeutet nicht ein französisch besetztes Managementteam. Wir haben ein sehr internationales Team, das längst nicht nur aus den vier Ländern mit traditionellen Airbus-Standorten stammt. Der Erfolg von Airbus hängt ab von einem wirklich integrierten Management, bei dem es auf die Qualifikation und nicht auf die Herkunft ankommt. Davon müssen wir auch Politiker überzeugen, die natürlich nationale Interessen im Blick haben.

Die EU-Kommission hat entschieden, dass Fluggesellschaften aus Ländern außerhalb Europas zunächst nicht mehr im Rahmen des Emissionshandels für ihren CO2-Ausstoß zahlen müssen. Müssen Sie jetzt nicht mehr befürchten, dass zum Beispiel China als Gegenmaßnahme Aufträge an Airbus blockiert?

Brégier: Das ist eine weise Entscheidung der EU-Kommission. Wir sind sehr erleichtert darüber. Wenn eine Maßnahme der EU alle wichtigen Partner außerhalb Europas vor den Kopf stößt, ist das keine gute Politik. Der Luftverkehr ist eine globale Branche. Internationale Organisationen bemühen sich um weltweite Lösungen.