Expertin erklärt, worauf es bei der Unterbringung ankommt

Hamburg. Kann ein Junge wie Jeremie, der aus schwierigen familiären Verhältnissen stammt, zudem früh kriminell auffällig wurde und als gewalttätig bekannt ist, in einem Wanderzirkus ein geeignetes Zuhause finden? Eva Felka vom Bundesverband Individual- und Erlebnispädagogik ist sich dessen sicher: "Wenn die beteiligten Fachleute im Fall Jeremie zu dem Ergebnis gekommen sind, dass der Junge in einem Zirkus gut aufgehoben sei, dann habe ich daran keine Zweifel."

Das Zauberwort der sogenannten Individualpädagogik heiße "passgenaue Hilfe", sagt Felka. "Die Frage ist, welche Bedürfnisse hat das Kind und welches Setting ist notwendig, um ihm gerecht zu werden und es zu fördern." In diese Abwägung spielten dann die kulturellen und familiären Hintergründe des Kindes hinein.

Solche passgenauen Angebote seien in der Regel billiger, als wenn das zu betreuende Kind einfach in ein Heim gegeben würde, sagt Felka. Die Kosten für Notaufnahmeplätze oder den Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst seien in so schwierigen Fällen deutlich teurer. Außerdem: Das Leben in einem Zirkus sei vielleicht für viele Menschen zunächst ungewöhnlich, dennoch sei es nicht unwert. Ganz im Gegenteil: Es sei absolut legitim, einer Zirkusfamilie anzugehören, ein Leben, das auf langen Traditionen aufbaue.

Diese Betrachtung lasse aber nicht den Schluss zu, dass die Unterbringung von Kindern bei Zirkusfamilien eine flächendeckende Lösung für die Jugendhilfe sei. "Das geht vielleicht bei einem Kind wie Jeremie, bei anderen Kindern wiederum nicht." Die Palette an Unterbringungsmöglichkeiten sei - immer abhängig vom Kind - überaus erweiterbar, vom Bauern- bis zum Künstlerhof. Es gebe nur eine wichtige Einschränkung, sagt Felka: Das Kind dürfe nicht gefährdet werden.

Während Träger und Jugendamt im Fall Jeremie auf ein sogenanntes individualpädagogisches Konzept setzten, ist ein anderes Konzept in Hamburg mittlerweile in Verruf geraten: Als Teil der "Erlebnispädagogik" wurden hauptsächlich in den 90er-Jahren kriminelle Jugendliche auf Staatskosten auf Auslandsreisen geschickt, mit zweifelhaftem Ergebnis. Bekanntestes Beispiel: "Crash-Kid" Dennis N., der im finnischen Dorf Kuttula einen Weg aus der Gewaltspirale finden sollte. Viele der Jugendlichen wurden jedoch schnell wieder rückfällig.