Jürgen Höfermann ist einer von insgesamt 26 Medizinern, die Obdachlose und Bedürftige in ganz Hamburg im Caritas-Mobil behandeln.

Hamburg. Der junge Mann eilt schon eine ganze Weile nervös vor dem Hauptbahnhof auf und ab. Als der weiße Transporter der Caritas auf den Vorplatz rollt, geht er rasch darauf zu. Seine linke Wange ist dick und rot geschwollen, als habe er eine große Walnuss im Mund. Er trägt Jeans, die an den Knien durchgescheuert sind, eine fleckige, braune Jacke. Ja, er habe große Schmerzen, sagt er in gebrochenem Deutsch und streckt Jürgen Höfermann seinen bulgarischen Pass entgegen. Höfermann sieht sich die Schwellung kurz an, legt dann sanft seine kräftige Hand auf die Schulter des jungen Bulgaren: "Das kriegen wir schon hin, keine Angst", sagt er und dreht sich dann zu seiner Assistentin um: "Da müssen wir von außen ran, das ist schon völlig vereitert."

Für den stämmigen, 68 Jahre alten Zahnarzt ist es der erste Patient an diesem Morgen. Allerdings nicht in seiner Buxtehuder Praxis, sondern im Zahnmobil des kirchlichen Wohlfahrtsverbands. Seit jetzt vier Jahren ist der weiße Klein-Lkw schon in Hamburg unterwegs. In dem Aufbau steckt eine komplette Zahnarztpraxis, die zum größten Teil von dem Zahnpasta-Unternehmen Colgate finanziert wird.

Es ist das erste Zahnmobil seiner Art in Deutschland, das Präventionsarbeit bei Kindern in sozialen Brennpunkten bietet, vor allem aber Obdachlosen eine zahnmedizinische Behandlung ermöglichen soll. "Menschen, die sonst in keine Praxis kommen", wie der Hamburger Caritas-Projektleiter Michael Hansen sagt. Inzwischen sind deutsche Obdachlose aber in der Minderzahl. Die meisten Patienten des Zahnmobils kommen aus Osteuropa. "Das spitzt sich immer mehr zu", sagt Hansen. Bereits zwei Drittel der Zahnmobil-Patienten haben keine Krankenversicherung, fast 60 Prozent stammen aus dem Ausland, meist aus Rumänien, Albanien, Bulgarien. Es sind oft Arbeiter, die sich für zwei, drei Euro die Stunde anbieten, wie die Caritas aus Gesprächen heraushört. "Reinigungsarbeiten, sonst was, noch unter Leiharbeiterstatus", sagt Hansen. "Wo sie wohnen, das wissen wir nicht", sagt der Kirchenmann. Irgendwo in Unterkünften, auf der Suche nach Jobs.

Auch die Sozialbehörde ist alarmiert: In der größten Obdachlosenunterkunft der Stadt etwa liegt - wie gestern berichtet - der Anteil der Deutschen bei nur noch fünf Prozent. Auch dort kommen die meisten Bewohner aus östlichen EU-Ländern. Manchmal seien sie von "skrupellosen Schleppern" hergelockt worden, vermutet Sozialsenator Detlef Scheele (SPD).

Doch nach kurzen Jobs landen sie wieder auf der Straße, sagt Caritas-Mann Hansen. Rechtlos, geldlos, hilflos. Und manchmal kommen fürchterliche Zahnschmerzen dazu. "Wir können die Menschen hier ja nicht stehen lassen", sagt Hansen.

26 Zahnärzte aus der Region Hamburg arbeiten in dem Zahnmobil ehrenamtlich mit. Meist Menschen, die schon immer sozial eingestellt waren, wie Hansen sagt. Und die wohl auch seelisch robust genug sein müssen für einen solchen Job in dieser Parallelwelt der Not. Höfermann etwa ist als junger Mann auf einem Fischtrawler gefahren und hat einmal Schiffbau studiert, ein zupackender Mensch. Er ist unter anderem auf ästhetische Zahnheilkunde spezialisiert. Einmal im Monat aber fährt er auf dem Zahnmobil mit. "Da kann ich etwas zurückgeben", sagt er.

Inzwischen hat sich vor dem Zahnmobil ein gutes Dutzend Wartender aufgestellt, überwiegend Männer, manche mit Krücken - offensichtlich Bettler. Aber auch kräftige, jüngere, deren rissigen Händen man jahrelange schwere Arbeit ansieht. An der hinteren Tür des Mobils verteilt Caritas-Mitarbeiter Matthias Trensch kleine Zettel mit Nummern. "Damit die Reihenfolge gerecht ist", wie er sagt. Drinnen behandeln Höfermann und seine heutige Assistentin Christine Himberger. Sie ziehen faule Zähne, verschließen Löcher, spritzen gegen Schmerzen, nähen Wunden im Mund. Immer mit Mundschutz und Handschuhen. Angst vor infektiösen Krankheiten? Nein, sagt Höfermann. An den Schleimhäuten könne man schon vieles erkennen - und manchmal zieht er einfach zwei Handschuhe übereinander. Das hindert aber nicht, den Menschen zu helfen. "Die können ja nichts dafür, dass sie so leben müssen", sagt Höfermann.