Hafenzufahrten sind zu flach. Jetzt darf wieder gebaggert und in die Elbe verklappt werden. Regen in Dresden könnte viele Probleme lösen.

Hamburg. Trübe sieht die Elbe hier zwischen Altona und dem gegenüberliegenden Hafenareal aus. Eine große graue Wasserfläche, auf der sich kleine Wellen kräuseln. Ein normales Bild in Hamburg, nicht ungewöhnlich eigentlich - obwohl die Hafenverwaltung Hamburg Port Authority (HPA) in den vergangenen Wochen den Fluss mit Sorge beobachtet hat. HPA-Ingenieur Wolfgang Bode hält sich an der Reling des Baggerschiffs "Amazone" fest, auf das die Hafenbehörde heute Besucher eingeladen hat. Um die Gefahr für den Hafen zu zeigen, die unter dem grauen Wasser lauert.

Bode deutet nach unten: "Das Problem liegt tiefer, das sieht man so nicht", sagt er. Was den HPA-Bagger-Spezialisten und seinen Kollegen umtreibt, ist eine riesige Sand- und Schlicklinse auf dem Grund, die sich in den vergangenen Monaten dort in der Zufahrt zum Containerterminal Tollerort gebildet hat. "Angewachsen ist", wie Bode sagt. Und das um immerhin zwei Meter - weil Hamburg seinen Hafenschlick plötzlich nicht mehr loswurde. Für die Verklappung in der Nordsee hat Schleswig-Holstein bisher eine Genehmigung verweigert. Offiziell, weil es noch Fragen wegen der Umweltfolgen gebe. Inoffiziell pokert Kiel mit Hamburg um den Standort einer Windenergiemesse, die Hamburg aus Husum an die Elbe holen wollte. Schlick ist da ein gutes Faustpfand.

Seit dem Wochenende nun kann Bode die Linse wieder bekämpfen, ohne auf ein Wohlwollen aus Kiel zu warten. Rechtzeitig noch für den großen Containerfrachter der Evergreen-Reederei, der jetzt dort angelegt hat und sonst nicht mehr in das Hafenbecken reingekommen wäre. Rund um die Uhr saugt in diesen Tagen die "Amazone" des niederländischen Unternehmens de Boer mit einem riesigen Stahlrüssel den Schlick vom Elbgrund in seinen oben offenen Rumpf.

Seit Freitag ist das Schiff in Hamburg im Einsatz, um zunächst die größten Problemzonen wieder auf Tiefe zu bringen. Auch im Köhlbrand, der Zufahrt zum modernsten Terminal Hamburgs in Altenwerder, ist der Elbgrund in den vergangenen Wochen angewachsen. Dort hatte die HPA bereits Tiefgangsbeschränkungen für Containerschiffe erlassen müssen. Rund 40 Zentimeter hoch hat sich Schlick über der Solltiefe abgesetzt.

Zwar ist die sogenannte Nassbaggerei eine Routineangelegenheit im Hafen - doch so dramatisch wie in diesem Jahr war es wohl selten.

Zwischen vier und sechs Millionen Kubikmeter Schlick lässt die HPA jedes Jahr herausbaggern, damit große Schiffe Hamburg erreichen können. Immerhin eine Menge, die 20 000 bis 30 000 Lkw-Ladungen entspricht. Feine Schwebpartikel, die in der strömenden Elbe gelöst sind, setzen sich als Sediment in Hafengebiet ab. Im Sommer wurde das Baggergut sonst nahe Helgoland verklappt. Nur im Winter kann Hamburg den Schlick auch auf eigenem Gebiet bei Neßsand umlagern, wo er dann möglichst mit dem Elbstrom abgetrieben wird.

Im Sommer untersagen Umweltauflagen diesen kurzen Weg, weil im wärmeren Wasser der Sauerstoffgehalt auf für Fische tödliche Werte sinken könnte.

Seit 9. November darf der Schlick nun wieder in die Elbe. Ein Geschäft, um das sich viele Firmen bewerben und das europaweit ausgeschrieben wird. Bis zu 60 Millionen Euro muss Hamburg jedes Jahr für die Routine-Baggerei investieren. Jede Betriebssekunde eines solchen Spezialschiffs kostet etwa 42 Cent, bei größeren liegt der Preis bei 1,20 Euro. Eine Firmen-Arbeitsgemeinschaft aus den Niederlanden bekam den Zuschlag. "Wir sind weltweit im Einsatz", sagt Firmenchef Kees van de Graf, der für die ersten Baggerrunden seiner "Amazone" ins nasskalte Hamburg gekommen ist.

Noch im Juli war der sogenannte Hopperbagger in der Karibik, um Bausand aus dem Meeresgrund zu holen. Drei Wochen hin, drei Wochen zurück, ein paar Tage baggern - und das für Kosten von 25 000 Euro pro Tag. "Teurer Sand, aber die haben sonst nix zum Bauen", sagt de Graf und lächelt. Im Grunde aber hat auch Hamburg keine andere Wahl, als so teure Baggerschiffe einzusetzen - sonst würde sein Hafen rettungslos verschlicken. Zehntausende Jobs wären in Gefahr, satte Einnahmen der Stadtkasse von mehr als 700 Millionen Euro jährlich blieben aus. Das wirtschaftliche Herz Hamburgs würde ersticken.

1700 Kubikmeter eines wässrigen, grauen Schlickgemischs saugt die "Amazone" bei einem etwa 40-minütigen Baggergang auf, schippert es als quasi schwimmende Badewanne nach Neßsand, lässt es durch riesige Klappen im Rumpf in die Elbe schwappen und fährt wieder zurück - um wieder 40 Minuten mit kreisenden Bewegungen als eine Art schwimmender Staubsauger den Schlick vom Grund zu schlürfen. Rund um die Uhr, viele Wochen noch, schätzt HPA-Ingenieur Bode. Ein Schauspiel, das für Spaziergänger an der Elbe jetzt zum täglichen Bild gehören wird. Ein weiteres Baggerschiff wird zusätzlich im Januar eingesetzt; ein drittes, größeres soll kommen, falls Hamburg wieder in der Nordsee verklappen darf. "Wir müssen da pokern und hoffen", sagt Bode.

Und auf viel Regen in Dresden setzen. Denn nur bei viel Oberwasser in der Elbe treibt das bei Neßsand verklappte Baggergut auch weiter in die Nordsee. Führt die Elbe zu wenig Wasser, treiben die zuvor gebaggerten Sedimente kurz über lang den kurzen Weg von Neßsand mit dem Flutstrom wieder zurück - und müssen wieder gebaggert werden. Ganz ähnlich, als würde man Staub und Dreck aus dem Flur durch die Haustür fegen - der dann vom Wind immer wieder zurückgepustet wird.

HPA-Ingenieur Bode setzt daher auf das frühe Frühjahr, wenn es meist viel regnet. Dann sollen besonders große Mengen Schlick aus dem Fluss geholt werden, damit sie mit Sicherheit aus dem Hafen auch verschwinden und nicht mit dem Flutstrom flugs zurücktreiben. Eine Strategie, die passen muss, damit der Hafen den Sommer tief genug bleiben kann, solle sich Schleswig-Holstein weiter gegen eine Verklappung in der Nordsee sperren. Denn ein Datum steht fest. Ab 31. März darf kein Schlick mehr in die Elbe. Und genau dann muss überall die größtmögliche Tiefe erreicht sein, um möglichst lange über den Sommer zu kommen, bis das Baggergut endlich wieder in die Nordsee darf. "Eine Punktlandung muss das im März werden", sagt Bode.