Mit Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin sind die Grünen in der Mitte angekommen

Die berühmte Kanzlerraute beherrscht Jürgen Trittin schon ganz gut. Immer wieder legt er die Fingerspitzen der rechten und linken Hand beim Reden aufeinander, genau so, wie es auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu tun pflegt, wenn sie nicht weiß, was sie mit ihren Händen machen soll. Fraktionschef Jürgen Trittin ist jetzt Spitzenkandidat der Grünen für die Bundestagswahl 2013, zusammen mit Katrin Göring-Eckardt, Bundestagsvizepräsidentin, Präses der Synode der Evangelischen Kirche Deutschland. Die Partei erlebte das Duo bei seinem ersten Auftritt an diesem Wochenende als personifizierte Seriosität. Die Kanzlerraute ist dabei nur ein winziges Detail, viel herausstechender ist der Stil: sachlich-solide, mit ruhigem Ton, pragmatisch. Man könnte auch sagen: erwachsen.

Dass die Grünen nicht mehr die linke, laute, alternative und in ihren Forderungen mitunter radikale Protestpartei der 1980er-Jahre sind, ist keine neue Erkenntnis. Neu aber ist, dass das Linke und Laute, bis heute Teil grüner Identität, auf Wunsch der Basis nicht mehr ganz vorn im Wahlkampf mitmischen wird und damit nicht mehr zu den ersten Argumenten gehören soll, um die Wähler zu überzeugen. Parteichefin Claudia Roth, die linke, laute und manchmal schrille, hat in der Urwahl das schlechteste Ergebnis der vier Kandidaten aus der ersten Reihe eingefahren. Selbst Renate Künast, durch ihre gescheiterten Bürgermeister-Ambitionen in Berlin vor einem Jahr geschwächt, schnitt besser ab als sie.

Dass man selbst in den obersten Machtzirkeln der Grünen nicht mit diesem Ergebnis gerechnet hat, zeigt, dass die Basis offenbar schon viel stärker auf den pragmatischen Realokurs eingeschwenkt ist, als der Parteispitze bewusst war.

Es zeigt aber auch, dass die Basis sich damit genau für den Weg entschieden hat, der in jüngster Zeit Winfried Kretschmann und Fritz Kuhn in Stuttgart zum Erfolg geführt hat.

Der grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs und der grüne Oberbürgermeister der Landeshauptstadt bezeichnen sich als wertkonservativ, sie sehen sich als Vertreter eines sozialökologischen Bürgertums, verkörpern in ihrem Habitus mehr den Spießer als den Revoluzzer. Mit dieser Strategie hatten sie Erfolg - und erhielten Stimmen nicht nur aus dem linken, urgrünen Lager, sondern vor allem auch aus der gut situierten, bürgerlichen, klassisch-konservativen Mitte.

Mit Göring-Eckardt und Trittin haben die Grünen die Chance, genau diesen Effekt auch bei der Bundestagswahl 2013 zu erreichen. Trittin gehört zwar zum linken Flügel, agiert aber im politischen Tagesgeschäft seit Jahren staatsmännisch-pragmatisch. Göring-Eckardt, die Kirchenfrau aus Ostdeutschland, steht vor allem durch ihr außerparteiliches Engagement für Werte und Moral. "Heute beginnt der grüne Wahlkampf", hatten beide am Sonnabend gesagt, und es ist klar, dass es ein Wahlkampf um die Mitte ist. Mit ihrem neuen Spitzenduo fischen die Grünen so nicht nur im Teich enttäuschter CDU-Wähler - sondern auch bei der SPD.

Ganz risikolos ist die Strategie aber nicht. Göring-Eckardt genießt einen weitaus geringeren Bekanntheitsgrad als Roth oder Künast. Während dieser noch aufgebaut werden kann, muss sich die linke Klientel der Grünen aber langfristig fragen, ob die Partei mit diesen Spitzenkandidaten noch die richtige für sie ist. Bleiben die Piraten weiter schwach, werden Verluste am linken Rand noch zu verkraften sein. Andernfalls haben sich die Grünen zwar gewandelt - aber auch für 2013 keine Machtoption.