Familie mit drei Töchtern aus Honduras ist in Hamburg bestens integriert. Jetzt droht die Ausweisung. Fall liegt bei Härtefallkommission.

Hamburg. Fabiola hat es irgendwann nicht mehr ausgehalten. Das war an einem Abend im Frühjahr. Sie setzte sich an den Computer, öffnete die Facebook-Seite ihrer Klasse und fragte, ob jemand da ist, der ihr zuhören will. Und dann hat sie alles erzählt. Dass sie und ihre Familie illegal in Deutschland leben, von der ständigen Angst entdeckt zu werden und dass sie bleiben will. Ihr Abitur machen. Jetzt sitzt Fabiola in ihrer Klasse an der Max-Brauer-Schule in Bahrenfeld und kann kaum begreifen, dass das alles erst ein paar Monate her ist. Sie hat wieder Angst. Denn vielleicht muss sie Hamburg schon bald verlassen und mit ihrer Mutter und den beiden jüngeren Schwestern nach Honduras zurückkehren. Ihrer Familie droht die Abschiebung. Im Oktober hat die Ausländerbehörde ihren Antrag auf eine Aufenthaltsgenehmigung abgelehnt. "Es fühlt sich an, als ob ich in ein Loch falle. Immer tiefer und tiefer", sagt die 18-Jährige. Sie sagt auch, dass sie kein Sonderfall mehr sein möchte.

Aber die Sache ist kompliziert. Wie so oft, wenn es in Deutschland um Ausländerrecht geht. Seit März 2006 lebt Gabriela Cruz mit ihren drei Töchtern in Hamburg. Sie reiste mit ein paar Koffern. Legal. Und blieb. Illegal. Eine andere Möglichkeit hatte sie nicht. Honduras ist kein Asylland. Wie das Leben im Verborgenen funktioniert, lässt die 37-Jährige im Ungefähren. Wichtig ist ihr, dass Fabiola, Andrea und Maria in Sicherheit aufwachsen. Ohne die Gewalt, die in ihrer Heimat den Alltag beherrscht. "Und dass sie die Chance auf Bildung haben."

Dafür hat sie jede Hilfe angenommen. Ihre Töchter sind inzwischen gute Schülerinnen. Maria ist zwölf und besucht die sechste Klasse der Stadtteilschule Winterhude, die 13-jährige Andrea ist in der achten Klasse. Sie war lange Klassensprecherin. In ihrer Freizeit gehen sie zu den Pfadfindern. Fabiola tanzt leidenschaftlich Salsa. Und ist auf dem Weg zum Abitur. Im Sommer 2011 war sie deshalb in die Oberstufe der Max-Brauer-Schule gewechselt, in das Profil Sprachen und Kulturvielfalt. "Das ist meine Basis", sagt die Zwölftklässlerin. Gerade haben sie eine Religionsklausur geschrieben. Das ist wichtig, weil es für die Abiturnote zählt. "Aber durch Fabiola haben die Schüler verstanden, dass es noch ganz andere Probleme im Leben gibt", sagt Lehrerin Marianne Kerkmann, 58. Sie war die Erste, der Fabiola sich offenbarte. Alle zusammen kurbelten sie ein Unterstützerprogramm an. "Es ist immer jemand für mich da", sagt Fabiola. Als die Familie sich kurz vor ihrem 18. Geburtstag entschloss, den Schritt aus der Illegalität zu tun und eine Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen, kamen alle 24 Schüler zur Ausländerbehörde. Und auch jetzt kämpfen sie weiter. Die Behörde hatte zwar eine dreimonatige Duldung ausgesprochen, den Antrag aber abgelehnt. "Es gab keine rechtliche Möglichkeit, eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, weil die Familie illegal in Deutschland gelebt hat", erklärt Sprecher Norbert Smekal. Dass die Familie bestens integriert ist, spielt keine Rolle. Die Rechtsanwältin der Familie, Ilka Quirling, hält dagegen: "Die Ausländerbehörde hätte mutiger sein können."

Der Fall erinnert ein bisschen an den der Einser-Abiturientin Kate Amayo, deren drohende Abschiebung 2010 eine Debatte über das Bleiberecht von gut ausgebildeten Jugendlichen ausgelöst hatte. Hamburg startete daraufhin Ende September eine Bundesratsinitiative. Die Stadt wolle damit ein klares Signal setzen und insbesondere jungen Menschen eine faire Lebensperspektive eröffnen, hatte Innensenator Michael Neumann (SPD) erklärt. "Kinder sollen nicht die Fehler ihrer Eltern ausbaden." Fabiola, Andrea und Maria hilft das nicht. Selbst wenn die Regelung schon in Kraft wäre, würde sie nur für langfristig Geduldete gelten - nicht für Menschen, die illegal in Deutschland gelebt haben.

Die Ausländerbehörde empfahl Gabriela Cruz eine Petition an den Eingabenausschuss der Bürgerschaft zu richten. Inzwischen liegt der Fall bei der Härtefallkommission. Das Gremium, in dem Vertreter aller Bürgerschaftsfraktionen sitzen, kann auch außerhalb des rechtlichen Rahmens für ein Bleiberecht votieren, als eine Art Gnadenrecht. Es ist eine letzte Chance.

Die Familie hofft. Aber die Verzweifelung sitzt tief. Wenn die Kommission das Gesuch ablehnt, müssen sie alle zurück. In ein Land, an das sich die Mädchen kaum erinnern können. "Ich weiß nur noch, dass ich nie allein rausdurfte, weil es zu gefährlich war", sagt Andrea. Sie sitzen jetzt oft auf dem großen Sofa zusammen, das ihnen jemand geschenkt hat. Gegenüber steht ein Aquarium mit bunten Fischen. Ein Stück weiter hängt ein Bild vom Michel an Wand. "Ich bin total leer. Ich denke nicht mehr, weine nicht mehr. Ich versuche meinen Kopf oben zu behalten", sagt Gabriela Cruz. Meistens sprechen sie Spanisch, aber die Mädchen reden miteinander deutsch. "Für meine Kinder ist Deutschland die Heimat." Wenn sie bleiben könnten, hätte sie schon zwei Angebote für Arbeitsverträge, als Putzfrau und in der Altenpflege.

Besonders schlimm ist es für Fabiola. Eigentlich müsste sie für Deutsch eine Zusammenfassung von Goethes Werther schreiben und an ihrer Englisch-Präsentation arbeiten. Was eine Zwölftklässlerin so zu tun hat. Fabiola macht das alles, aber ihre Fröhlichkeit ist verschwunden. "Ich sehne mich so nach dem Gefühl, frei zu sein." Dass ihre Klasse hinter ihr steht, mit ihr traurig ist und wütend, hilft. Sie haben eine Soli-Fete organisiert, Briefe an die Ausländerbehörde geschrieben und an die Härtefallkommission. "Fabiola ist eine von uns, die zu etwas anderem gemacht wird", sagt Ella, 17. Diese Woche haben sie eine Fanseite auf Facebook gestellt. Sie heißt: "Fabiola MUSS bleiben!". Innerhalb von drei Tagen haben mehr als 1250 Menschen den "Gefällt mir"-Button geklickt. Die Härtefallkommission tagt am 6. Dezember - Nikolaustag. Vielleicht ist das ein Omen.