Die Zahl der Auszubildenden in Hamburg sinkt auf 13.775. Hamburger Arbeitsagentur rät Schulabgängern, frühzeitig zu planen.

Hamburg. Nach dem Abitur hat Michael Liu bereits einige Praxis im Arbeitsleben gesammelt - national und international. Der junge Mann absolvierte nach seinem Schulabschluss zunächst für ein Jahr seinen Zivildienst als Krankenpfleger in London. Danach studierte er drei Semester Stadtplanung an der HafenCity-Universität in Hamburg und absolvierte nebenbei ein Praktikum in einem Außenhandelsunternehmen. Dort wurde sein Interesse für die Wirtschaft geweckt - und er wechselte zum aktuellen Wintersemester an die Uni Göttingen, schrieb sich für Betriebswirtschaftslehre ein.

Doch nach wenigen Wochen steht für den 23-Jährigen, der fließend Deutsch, Englisch und Chinesisch spricht, endgültig fest: "Statt eines theoretischen Studiums an der Uni, möchte ich lieber eine Ausbildung machen, um ins praktische Berufsleben zu starten." Auf alle Fälle möchte er eine kaufmännische Lehre absolvieren - in der Schifffahrt, im Immobilienbereich oder im Groß- und Außenhandel. Auf die Schnelle ist hier in diesem Jahr nichts zu machen, doch er hofft, dass er spätestens im Februar einen Platz findet.

Michael Liu ist einer von 797 jungen Leuten, die derzeit bei der Hamburger Arbeitsagentur als Bewerber für eine Ausbildung gemeldet sind. Dies sind mehr als doppelt so viel wie im Vorjahr, als zu diesem Zeitpunkt nur noch 313 Suchende registriert waren, wie aus der aktuellen Hamburger Ausbildungsbilanz hervorgeht. Die tatsächliche Zahl der Suchenden in der Hansestadt dürfte noch höher liegen, da nicht jeder über die Behörde auf Suche geht. Bundesweit sind aktuell sogar noch 15.700 Bewerber ohne Stelle - und damit 38,2 Prozent mehr als vor einem Jahr.

Die Situation scheint absurd. Denn tatsächlich ist die Zahl der Ausbildungsplätze in Hamburg nahezu konstant geblieben. Aktuell haben 13.775 junge Menschen einen Ausbildungsplatz bei einem Hamburger Betrieb, von denen 10.625 über die Arbeitsagentur gemeldet waren. Im vergangenen Jahr waren zu diesem Zeitpunkt 14.052 Plätze besetzt. Gleichzeitig sind aktuell noch 169 Ausbildungsplätze in Hamburg unbesetzt - bundesweit sind es 33.300 Stellen.

Der Chef der Hamburger Arbeitsagentur, Sönke Fock, ist mit der hohen Anzahl unversorgter Bewerber höchst unzufrieden und führt dies vor allem auf eine zu späte Vorbereitung zurück: "Zu viele Jugendliche und auch ihre Eltern erkennen nicht, dass die Berufsorientierung und der Berufswahlprozess eine detaillierte zeitliche Planung erfordern, die mindestens zwei Jahre vor dem Schulabschluss beginnen muss." Zudem werde die starke Konkurrenz aus dem Hamburger Umland unterschätzt. Nicht selten hätten Schulabgänger aus den Nachbarländern auch gute Schulzeugnisse, zeigen sich besonders motiviert und hätten damit auch gute Chancen auf einen Ausbildungsplatz in Hamburg. Der Hamburger DGB-Vorsitzende Uwe Grund kritisiert an der Situation vor allem, dass insbesondere "vermeintlich schwächere Jugendliche einfach aussortiert werden, ohne ihnen eine faire Chance zu geben."

Die Ausbildungssituation in Hamburg gilt aber nach Einschätzung der Kammern als unverändert gut. Die Schulabgänger haben die Auswahl unter 350 verschiedenen Ausbildungsberufen. Allerdings haben die Hamburger Unternehmen in diesem Jahr 277 weniger Lehrverträge als im Vorjahr abgeschlossen. "Damit ist die Zahl der Ausbildungsanfänger erneut auf einem hohen Niveau, wenn auch um zwei Prozent leicht rückläufig", bilanziert Thomas Schröder-Kamprad, Leiter des Amtes für Weiterbildung.

Diese Situation sei jedoch nicht auf einen Mangel an Lehrstellen oder nachlassendes Engagement der Betriebe zurückzuführen, unterstrich Thomas M. Schünemann, Vizepräses der Handelskammer. Vielmehr registriere die Kammer einen zunehmenden Mangel an Bewerbern und ein Missverhältnis zwischen den angebotenen Ausbildungsplätzen und den Wünschen der Jugendlichen. So hätten 300 offene Ausbildungsplätze aus der Online-Lehrstellenbörse der Kammer nicht besetzt werden können.

In diesem Jahr gab es beispielsweise 435 Bewerber für den Beruf eines Medizinischen Fachangestellten, doch nur 252 Ausbildungsplätze in dem Bereich. Dem Angebot an 644 Plätzen im Bereich Einzelhandelskaufmann/-frau standen dagegen nur 617 Bewerber gegenüber (siehe Tabelle).

Die meisten Lehrlinge - insgesamt 9700 - werden bei den Betrieben der Handelskammer ausgebildet. Im Bereich der Handwerkskammer stieg die Zahl der Ausbildungsplätze sogar leicht um 0,3 Prozent auf 2526 Plätze. "Und die Entwicklung bleibt dynamisch", sagte Hjalmar Stemmann, Vizepräsident der Handwerkskammer. "Unsere Lehrstellenbörse listet schon jetzt 95 Ausbildungsplätze für 2013 auf. Das sind weitere 126 mehr als vor einem Jahr." Die übrigen Auszubildenden kamen bei Ärzten, Anwälten, Notaren, Architekten und in ähnlichen Berufsgruppen unter.