Bürgerinitiative will den Abriss der Frohbotschaftskirche verhindern. Eine Machbarkeitsstudie prüft jetzt verschiedene Konzepte.

Dulsberg. Maren Wichern mag ein wenig wehmütig ums Herz gewesen sein, als sie am Dienstagabend den Nachbarschaftstreff an der Elsässer Straße 15 betrat. Rund 60 Menschen drängten sich in dem kleinen Raum zur Sondersitzung des Stadtteilrats Dulsberg. Das Thema der Versammlung bewegt seit Monaten die Gemüter der Anwohner: der mögliche Abriss der Frohbotschaftskirche am Straßburger Platz. Pastorin Wichern, bei deren - und ihrer Kollegen - Predigten außer zu Weihnachten selten mehr als 20 Gläubige im überdimensionierten Kirchenschiff anzutreffen sind, findet sich bei diesen oft hitzig geführten Diskussionen meist in der paradoxen Lage wieder, dass sie die Abbruchpläne der Gemeinde (4100 Mitglieder) verteidigen muss, während diejenigen, die sie vor dem Altar nie zu Gesicht bekommt, für den Erhalt des historischen, aber höchst baufälligen Gebäudes kämpfen.

"Natürlich sind wir die Letzten, die eine Kirche abreißen wollen", sagt Wichern, "die Alternativen, zum Beispiel eine Grundsanierung, können wir aus unserem Haushalt jedoch nicht bezahlen. Wir beschäftigen uns seit 27 Jahren mit dieser Problematik, und ein kleinerer Neubau der Kirche am selben Platz schien uns bislang die wirtschaftlich akzeptabelste Lösung, um unsere seelsorgerische sozialdiakonische Arbeit in Dulsberg weiterführen zu können."

Jetzt hat eine Bürgerinitiative zum Erhalt der evangelischen Kirche mithilfe des Architekten und Stadtplaners Roger Popp einen Gegenvorschlag durchgerechnet. "Wir haben in Dulsberg unsere Schwimmbäder verloren, die Bücherhalle, die Post, und nun soll die Kirche daran glauben, das identifikationstiftende Zentrum unseres Stadtteils. Irgendwann ist genug", schimpft Norbert Stindt, Vorstand der Geschichtsgruppe Dulsberg. Die Bürgerinitiative befürchtet, der Abriss der 1937 eingeweihten Kirche könnte das Einfallstor für eine Gentrifizierung des Stadtteils werden, der gestalterisch geprägt ist von den Ideen des ehemaligen Hamburger Oberbaudirektors Fritz Schumacher (1869-1947) in den 1920er-Jahren.

Popp, der in Dulsberg aufgewachsen ist, will die benachbarte Kindertagesstätte auf zwei Etagen (Krippe und Elementarbereich) in das Kirchenschiff einziehen lassen und am anderen Ende einen auf 200 Quadratmeter reduzierten Sakralraum errichten, darüber Büros und Besprechungsräume. Die beiden Teile sollen durch ein Atrium getrennt werden. Die bisherigen Kita-Räume und das Gemeindezentrum auf der Nordseite der Kirche könnten für neue Nutzer umgebaut werden. Möglich wären ein Wohnheim für Lehrlinge und Studenten oder eine Einrichtung der SOS-Kinderdörfer. Die suchen ein innerstädtisches Quartier in Hamburg.

Den Umbau der Frohbotschaftskirche inklusive dringend notwendiger energetischer Maßnahmen hat Popp mit 2,56 Millionen Euro kalkuliert, die Renovierung des Gemeindezentrums mit 865 000 Euro. Zusammen sind das 3,425 Millionen. Für Abriss und Neubau der Gebäude, die bislang von der Kirchengemeinde favorisiert werden, setzt er 4,465 Millionen Euro an, also 1,04 Millionen Euro mehr. Der Neubau für ein SOS-Kinderdorf auf einer Nutzungsfläche von 2000 Quadratmetern würde zusätzlich mit 3,5 Millionen Euro zu Buche schlagen, in einer luxuriöseren Variante mit 5,8 Millionen. Der 35 Meter hohe Kirchenturm, darüber herrscht Einigkeit, soll als Wahrzeichen des Stadtteils erhalten bleiben. Dessen Sanierung, schätzt Popp, würde 60 000 Euro kosten. Tobias Behrens, Geschäftsführer der Stattbau Hamburg, bezweifelt allerdings die Zahlen: "Gewöhnlich wird der Umbau eines Gebäudes teurer als ein Neubau." Das habe damit zu tun, dass viele Arbeiten umständlicher und zeitaufwendiger sind, wenn sie in einem bestehenden Bauwerk durchgeführt werden müssen.

Der Streit um die richtige Lösung ist jedoch erst einmal vertagt. Das Amt für Denkmalschutz, die Kirchengemeinde Dulsberg und das Bauamt der Nordkirche haben eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben. Sie soll Abriss, Neubau und Umbau berechnen und Finanzierungsmöglichkeiten ausloten. Weil die Kirche unter Denkmalschutz steht wie inzwischen auch die historischen Teile Dulsbergs, könnten für eine Sanierung wohl Städtebaufördermittel der Bundesregierung beantragt werden. Ende des Monats dürfte die Studie vorliegen.

Sylvia Wowretzko (SPD), Barmbeker Bürgerschaftsabgeordnete mit Büro auf dem Dulsberg, mahnt deshalb, in der laufenden Auseinandersetzung das Gutachten abzuwarten: "Die Machbarkeitsstudie wird auch Planungssicherheit bringen. Auf jeden Fall gilt, bei einem Umbau der Kirche muss eine nachhaltige Finanzplanung zugrunde gelegt werden. Wichtig bleibt, weiter alle über die Planungen zu informieren und den begonnenen Dialog in Ruhe fortzusetzen. Bei den Bürgern, die sich vorbehaltlos für den Erhalt der Kirche ausgesprochen haben, werbe ich um die Bereitschaft zum konstruktiven Miteinander." Dem von der Bürgerinitiative und der Partei Die Linken geforderten runden Tisch steht Wowretzko skeptisch gegenüber: "Ein runder Tisch ergibt nur dann Sinn, wenn seine Kompetenzen und Instrumente definiert sind. Im Moment sehe ich keine Grundlage, dass eine solche Einrichtung in der Diskussion um die Kirche hilfreich wäre."

Die Mehrheit der vergangenen Versammlung sieht das anders. Der Stadtteilrat wird am kommenden Dienstag die Forderung nach einem runden Tisch Kirche erörtern und darüber abstimmen. Stattbaugeschäftsführer Behrens gibt zu bedenken: "Niemand kann gezwungen werden, ein Denkmal zu sanieren, wenn er das Geld dazu nicht hat. In Deutschland verrotten unzählige solcher Bauwerke. Die Kirche muss ihre Gebäude auch künftig bewirtschaften können. Darum geht es."