Deutsche Bahn setzt Hausrecht durch: Rauchen, Betteln, Alkoholkonsum und Sitzen auf dem Boden verboten. Kritik von den Grünen

St. Georg. Drei Punks lesen Zeitung. Der nachlässig gekleidete Trupp lehnt an einem Pfeiler der Hachmannplatz-Überdachung. Vor ihnen eine mäßig gefüllte Blechdose, um sie herum Reisende, Stadtstreicher und gehetzte Großstädter. Offensives Betteln im Feierabendverkehr geht anders, doch die Mitarbeiter der Deutschen Bahn machen keinen Unterschied. Mit freundlicher, aber bestimmter Ansprache treten zwei Uniformierte vor das Grüppchen und weisen darauf hin, dass hier nun nicht mehr um finanzielle Unterstützung gebeten werden darf. Von der Gegenseite wird das Argument des Gewohnheitsrechts vorgebracht, auf den öffentlichen Raum verwiesen und mit dem Finger auf nicht wenige zwielichtige Gestalten gezeigt. Aber es nützt nichts. Für alle ist es nun mit dem Gewohnheitsrecht vorbei.

Seit gestern kann die Deutsche Bahn unter den Hallendächern und im Fußgängertunnel zur Mönckebergstraße ihre Hausordnung anwenden: Rauchen, Betteln und übermäßiger Alkoholkonsum sind ebenso verboten wie das Blockieren der Rettungswege durch Sitzen oder Liegen auf dem Boden. So steht es im Vertrag, den Stadt und Bahn unterzeichnet haben.

"Ich finde gut, dass etwas unternommen wird, um die Situation hier zu verändern", sagt Kersten Platzbecker, die im Tabakladen am östlichen Bahnhofsausgang arbeitet. "Für Touristen ist das kein schöner Anblick. Der Platz ist extrem schmuddelig, und das penetrante Betteln nervt." Insofern seien die neuen Verbote für den Gesamteindruck durchaus angebracht, sagt auch ihre Kollegin Hannelore Meusling. "Die Obdachlosen waren größtenteils harmlos. Aber das öffentliche Trinken und die Bettelei waren furchtbar." Gleichwohl befürchtet sie, dass sich das Problem nur einige Meter verlagert. Wie die Aschenbecher, die nun nicht mehr vor dem Eingang stehen, sondern ans Ende der Überdachung geschoben wurden.

Dorthin schicken die emsigen DB-Mitarbeiter auch die sichtlich von der Neuregelung überraschten Raucher. Aber wenn sie sich umdrehen, steht schon der Nächste wie gewohnt vor dem Eingang des Bahnhofs und qualmt. "Das ist natürlich Fließbandarbeit", sagt ein Mitarbeiter des Service-Personals. Es sei eben ein wenig wie bei Sisyphos. "Die meisten reagieren zwar erstaunt, aber gelassen auf unsere Anweisungen." Nur einige wenige würden die Durchsetzung des neuen Hausrechts mit Aggression quittieren.

Die Ruhe selbst ist "Hinz&Kunzt"-Straßenverkäufer Ferenc Horváth. Seit Monaten steht er fast jeden Tag unter dem Dach des Hachmannplatzes und darf es auch weiterhin. "Ich bettele, trinke und rauche ja nicht", sagt er. Deshalb begrüße er die Neuregelung, denn immer wenn er mit Reisenden spreche, zeigten sich diese schockiert über die Zustände am Hauptbahnhof. "Schlägereien, Trinker, Stress. Ich brauche jedenfalls nicht in den Zirkus zu gehen, denn den habe ich hier jeden Tag", sagt er. Es sei richtig, dem immer wieder beklagten Zustand jetzt zu begegnen.

Birgit Müller, die Chefredakteurin des Straßenmagazins "Hinz&Kunzt", sieht das etwas anders: "Es ist ein Armutszeugnis, dass die Stadt es nicht schafft, Herausforderungen wie die unterschiedlichen Nutzergruppen am Hauptbahnhof selbst zu lösen." Sie fordert an allen Brennpunkten eine "soziale Task Force", die bei Problemen zwischen den Gruppen intervenieren könne. Und auch Michael Osterburg, Fraktionschef der Grünen in der Bezirksversammlung Mitte, sieht den Vertrag kritisch: "Wir sehen das Leid der Menschen am Hauptbahnhof und sind für Hilfsangebote statt für Vertreibung." Antje Möller, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bürgerschaftsfraktion, äußerte sich ähnlich: "Der SPD-Senat treibt die Verdrängung von Menschen voran, die soziale Hilfen brauchen."

Dem nun geschlossenen Vertrag war ein monatelanges Ringen um die Zuständigkeit für das überdachte Bahnhofsumfeld vorausgegangen. An einem runden Tisch, der sich noch zu Zeiten des damaligen Bezirksamtsleiters Markus Schreiber gebildet hatte, wurden mögliche Maßnahmen erörtert. Nach dessen Rücktritt stagnierte das Projekt, wurde aber von den Teilnehmern wieder aufgenommen und weiter verfolgt, weil es immer wieder Beschwerden über Alkohol trinkende Gruppen und eine Verwahrlosung der Flächen gab. Ob die Reinigung durch die Bahn-Tochterfirma DB Service künftig besser klappt als bisher, ist offen: Denn sie wird nun statt von der Stadtreinigung vom Mutterunternehmen beauftragt.