Hier muss man, um am Strand zu liegen, nicht bis zur Ostsee fahren. Und im Winter sind Disco-Fans ganz heiß auf Eis.

Gert Markmann fällt auf, wenn er durch seinen Stadtteil läuft, und das liegt nicht nur an der blauen Uniform, die er trägt. Markmann ist einer, der sich einmischt, der alle grüßt und von vielen freundlich zurückgegrüßt wird. Und weil das in diesen Zeiten wahrlich nicht allen Polizisten so geht, muss es viel mit der Art zu tun haben, wie er seine Arbeit verrichtet. Der 49-Jährige ist einer von sechs Stadtteilpolizisten in Farmsen-Berne, das keine eigene Wache besitzt, sondern dem Polizeikommissariat 38 in Rahlstedt angeschlossen ist. Seit neun Jahren ist Farmsen-Ost sein Revier, und wer wissen will, wie Farmsen-Berne tickt, der muss mit Gert Markmann reden.

An jedem Arbeitstag dreht er zu Fuß seine Runden, mal zwei Stunden, mal acht. Egal ob es Feste gibt im Stadtteil oder feste Haue - Markmann ist dabei. Und wahrscheinlich macht ihm die Arbeit deshalb so viel Freude, weil ergenau so ist, wie sein Stadtteil wirkt - geradlinig, ehrlich, zupackend, nicht überkandidelt, aber immer auch ein wenig stolz auf das Geleistete. Markmann lebt vor den Toren Hamburgs, "sonst hätte ich ja nie meine Ruhe!", aber sein Herz hat er längst an sein Revier verloren: "Ich fühle mich hier absolut zu Hause", sagt er. Und dafür gibt es gute Gründe, denn "Farbe", wie Farmsen-Berne liebevoll genannt wird, hat viele Facetten eines lebenswerten Stadtteils.

Zwei Ortsteile, zwei Ansichten

Grünanlagen wie der Berner Gutspark oder der Kupferteich bieten Erholung inmitten des urbanen Trubels. Die 1909 gegründete Gartenstadt Berne wirkt mit ihren gleichförmig angelegten Einzel- und Doppelhäuschen, die alle durch die mit Vogelschnitzereien verzierten Fensterläden charakterisiert sind, wie ein urgemütliches Feriendorf. Wenn die Sonne scheint, muss niemand an die Ostsee fahren, denn im Freibad, das 1926 in einer Tongrube der früheren Aktienziegelei am Neusurenland entstand, ist der Naturstrand inklusive. Hier wird im Sommer gemeinsam gegrillt und das Leben genossen.

Obwohl Farmsen und Berne seit 1961 offiziell zusammengehören, gibt es bis heute auf beiden Seiten Bewohner, die mit dem anderen Ortsteil nichts gemein haben wollen. Menschen wie Brigitte Friedrich arbeiten deshalb dafür, dass sich das Zusammengehörigkeitsgefühl trotzdem ausprägt. Die 73-Jährige ist Zweite Vorsitzende des Bürgervereins (BV), der im Mai 2012 sein 50-jähriges Bestehen feierte. Bis vor zehn Jahren hieß die Zusammenkunft nur Bürgerverein Farmsen, zum 40. Jubiläum wurde dann symbolisch der Zusatz Berne in den Vereinsnamen aufgenommen. "Wir wollten zeigen, dass wir zusammengehören", sagt Friedrich. Jedes Jahr verleiht der BV eine Farmsen-Medaille an bis zu drei Personen, die sich ehrenamtlich für den Stadtteil engagiert haben. Er organisiert Veranstaltungen und hilft dort, wo Not ist. "Wir möchten, dass sich niemand hier fremd oder unwohl fühlt", erklärt Brigitte Friedrich.

Dennoch werden Unterschiede zwischen beiden Ortsteilen nicht wegdiskutiert. Während sich Berne dörflichen Charakter bewahrt hat, bietet Farmsen einen Mix aus gutbürgerlichen Wohnstraßen mit Einzelhausbebauung, sehenswerten Beamtenhäusern im Fachwerkstil gegenüber dem Pflegeheim an der August-Krogmann-Straße, erschwinglichen Wohnungen der Mietergenossenschaft Gartenstadt Farmsen und Bausünden wie der Weißenhof-Hochhaussiedlung. "Wir haben dadurch eine sehr gemischte Bevölkerungsstruktur - von seit vielen Generationen Ansässigen bis hin zu Familien, die in dritter Generation vom Arbeitsamt leben", sagt Gert Markmann.

Seit sich vor einigen Jahren die Fast-Food-Kette McDonald's am U-Bahnhof Farmsen niederließ, haben dort - neben der örtlichen, friedlichen Trinkerszene - Jugendgruppen aus angrenzenden Stadtteilen einen Anziehungspunkt gefunden, unter denen es bisweilen zu Streitereien kommt. Die Zahl vonDelikten wie Raub oder Körperverletzung hat jedoch nicht zugenommen. Probleme bereiten eher rumänische Bettler, die im Farmsener Einkaufs-Treffpunkt, dem Shoppingzentrum, aggressiv Kunden angehen. "Aber das ist alles nicht wild, Farmsen-Berne ist aus polizeilicher Sicht ein völlig normaler Stadtteil", betont Polizist Markmann.

Die Kür der "Miss Ghana"

Mehr noch: Es ist ein Stadtteil mit sehr ausgeprägtem sozialen Denken. Dass dem so ist, dafür sorgen nicht nur die vier großen Sportvereine Farmsener TV, SC Condor, TuS Berne und Post SV oder die vier Kirchengemeinden. Auch die Volkshochschule Hamburg (VHS), die ihr Zentrum Ost am Berner Heerweg unterhält, die benachbarte Bücherhalle und die 13 Schulen bieten an Kultur oder Literatur Interessierten viele Möglichkeiten. Es gibt mehrere Chöre, die Laienspielgruppe "Die Egozentriker". Das Wandsbeker Symphonie-Orchester probt in den Räumen der VHS. Das Berufsförderungswerk an der August-Krogmann-Straße, das 2012 sein 50. Jubiläum feiert, vermietet seine Räume für Veranstaltungen. Die seit 1992 denkmalgeschützte Karl-Schneider-Halle, benannt nach einem der wichtigsten Architekten der 20er-Jahre, ist ein beliebter Treffpunkt für Feste. Besonders Mitglieder der afrikanischen Gemeinde nutzen sie gern. Sogar die "Miss Ghana" wurde schon in Farmsen gekürt. Außerdem hat die Deutsch-Polnische Gesellschaft Hamburgs ihren Sitz im VHS-Gebäude. Die Freizeitlounge am Berner Heerweg ist auch für Jugendliche aus anderen Stadtteilen Anlaufstation geworden.

Zwei Attraktionen, die den Stadtteil früher einzigartig machten, sind leider verloren gegangen. Auf der 24 Hektar großen Trabrennbahn wurde bis 1976 Pferdesport geboten, woran bis heute der Name eines U-Bahnhofs erinnert. Nach jahrelanger Brachlage wurden am heutigen Max-Herz-Ring zwischen 1995 und 1997 moderne Wohnanlagen gebaut. Die 1978 errichtete Eissporthalle, bis heute Heimspielstätte des Eishockey-Oberligisten Hamburg Crocodiles, war sechs Jahre lang Trainingshalle der Hamburg Freezers und bis zur Eröffnung der Volksbank-Arena 2008 Hamburgs einzige Eishalle. Zwischen Oktober und März findet dort jeden Sonnabend von 20 bis 22 Uhr die Eisdisco statt, die bis zu 700 Gäste anzieht.

Ein Polizist als Kolumnist

Für Astrid Hannemann ist dieser rege Zuspruch ein Beleg für das, was Farmsen-Berne fehlt. "Es gibt keine Tanzbar und auch kein Kino mehr. Ein Nachtleben ist, bis auf wenige Kneipen, nicht existent", sagt die 46-Jährige, die einmal im Monat die Stadtteilzeitung "Rundschau" (20 200 Exemplare) herausgibt. Seit 1997 trägt sie in liebevoller Kleinarbeit das Geschehen in Farmsen-Berne zusammen; Polizist Markmann hat eine Kolumne. Die "Rundschau" ist am Puls des Stadtteils. Die Herausgeberin hat ihr wohlwollendes Urteil längst gefällt: "Der Stadtteil wird häufig stiefmütterlich behandelt, dabei ist er eines der am meisten unterschätzten Quartiere Hamburgs." Wer sich die Zeit nimmt, Farmsen-Berne zu erkunden, der wird erkennen, wie recht sie hat.

In der nächsten Folge am 10.10.: Osdorf

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