Die Protestler wollen anderenorts weitermachen und nach Weihnachten dann wieder zurückkehren. Einige Anlieger unterstützen die Demonstranten.

Hamburg. Das bunte Camp am Gerhart-Hauptmann-Platz gehört fast schon zum Stadtbild. Die Bewohner, Anhänger der Occupy-Bewegung, sind bei vielen nicht unbeliebt: Sie bekommen Unterstützung aus der Bevölkerung und werden vom Bezirk geduldet. Doch Ende September müssen sie gehen; dann müssen sie einem Kunsthandwerkermarkt und dem späteren Weihnachtsmarkt weichen. So mancher Gewerbetreibende aus der Umgebung wird dann wohl erleichtert sein - deren Freude über das Camp hält sich in recht engen Grenzen.

Doch die Camp-Bewohner haben nicht vor, ihren Protest abzubrechen. "Wie schon im letzten Jahr werden wir zwar vorübergehend an andere Plätze umziehen, dann aber wieder zurückkehren", sagt Oli. Der in der Kreativbranche Tätige hat sich der Bewegung angeschlossen, kurz nachdem das erste Zelt vor der HSH Nordbank am Gerhart-Hauptmann-Platz aufgeschlagen wurde. Nach den weltweiten Demonstrationen am 15. Oktober hatten sich hier immer mehr Menschen angesiedelt, um so ihren Protest fortzuführen.

Mittlerweile ist aus der ersten Ansammlung einiger Iglu-Zelte eine richtige Zeltstadt geworden. In der Mitte steht eine (von Spendengeld gekaufte) Jurte mit Strom und Feuerstelle, die als Versammlungsraum, Zuflucht bei Regen und Kino dient, daneben die Küchenhütte: aus Balken gezimmert und mit einer Plane bezogen, auf die Backsteine gemalt sind. Es gibt einen mobilen Garten mit Tomaten und Kräutern und einen Infostand, an dem die Camp-Bewohner Auskunft geben über die Gründe ihres Hierseins.

+++ Der Camper +++

+++ Occupy-Anhänger ketten sich im Apple-Store fest +++

+++ "Occupy Rathaus" - das Camp der Aufrechten +++

"Wir sind überzeugt, dass die gesellschaftlichen Regeln neu überdacht werden müssen und suchen nach Möglichkeiten, um endlich etwas gegen diese Probleme unternehmen zu können", heißt es auf der Website occupy-hamburg.de. "Wir wollen die Ursachen und nicht die Symptome bekämpfen und selbstkritisch bei uns anfangen, etwas zu verändern und die Zukunft verantwortlich zu gestalten." Auf der langen Liste der Punkte, die sie anprangern, findet sich die ungerechte Verteilung des natürlichen Reichtums; der Raubbau an der Natur und die Verschwendung von Ressourcen; die Spekulation mit Grundnahrungsmitteln; der Missbrauch von Ackerflächen zur Treibstoffproduktion; die Verschmutzung und Zerstörung der Lebensgrundlagen durch "den Irrglauben an grenzenloses Wachstum und durch die Konsumgier unserer Wegwerfgesellschaft"; das hohe Renteneintrittsalter, während die Jugend arbeitslos ist, oder die schlechten Bildungschancen von Menschen mit geringen kulturellen, sozialen oder finanziellen Ressourcen.

Ebenso verschieden wie die Ursachen ihrer Empörung sind die Aktivisten selbst - und wie sie sich im Camp einbringen: Oli ist wie viele andere auch meist nur abends vor Ort, weil er tagsüber arbeitet. Er wohnt in Altona - sein Badezimmer stellt der 49-Jährige anderen Aktivisten zum Duschen zur Verfügung. Benny, 32, hat Volkswirtschaft studiert und in der Finanzbranche gearbeitet, sogar selber spekuliert. "Ich habe mir aber im Laufe der Zeit Fragen gestellt, die in der Volkswirtschaft nicht zugelassen werden", begründet er seinen Sinneswandel. Jetzt hält er noch ein paar Anteile an Demeter-Kühen, verdient ein bisschen Geld mit Computerkursen für Senioren, ansonsten hat er seine Konten aufgelöst. Im Camp bringt er sich im IT-Bereich ein. Lenni hat als Betriebswirt in verschiedenen Firmen gearbeitet und sich irgendwann gefragt: "Was brauche ich eigentlich und wie viel davon?" Er habe die Konsumzwänge abgestreift und es aufgegeben, Markenartikel zu kaufen, sagt der 38-Jährige, der im Camp "informiert und organisiert".

Fiona, 22, macht eine Ausbildung als Kinderpflegerin. Sie wohnt in Horn, ist aber, so oft es geht, im Camp. "Ich habe mich so gefreut, als Occupy auch in Hamburg gelandet ist, dass ich unbedingt mitmachen wollte", sagt sie. Ihre Aufgabe: Passanten informieren, aufräumen oder abwaschen. Außerdem sind da noch die Ärztin Barbara, die sich um erkrankte Aktivisten kümmert, Wolfgang, der den Garten betreut, Danny, eine Werbegestalterin, die das Layout der Camp-Zeitung macht.

Doch auch von außerhalb bringen sich Menschen ein. "Es gibt wirklich viele, die uns mit Holz und Lebensmitteln unterstützen", sagt Oli. Einer von ihnen ist Marko Scheffler, der in Eimsbüttel drei Kneipen betreibt. "Wir haben in der Anfangszeit einmal in der Woche Essen für 50 Personen vorbeigebracht", sagt der zweifache Familienvater. Seit die Camp-Küche besteht, sorgt er für Baumaterial.

Das Camp-Leben ist organisiert und unterliegt Regeln. Einmal pro Woche wird ein Plenum veranstaltet, der Zuzug von Obdachlosen ist auf drei Personen begrenzt, wer für Unruhe sorgt und sich nicht einsichtig zeigt, fliegt raus. Jedenfalls nach Aussage der Bewohner. Willi Schmidt von der "Coffee Lounge" etwa hat sich schon mehrfach beim Bezirk über den Zeltplatz und seine Bewohner beschwert. "Es ist verdreckt und stinkt", sagt er. "Doch der Bezirk traut sich nicht, etwas zu tun." Der Meinung ist auch André Raufort, Chef des Restaurants "Weltbühne". "Am Anfang haben wir die Bewohner unsere Toiletten benutzen lassen", sagt er. In letzter Zeit wäre es aber abends verstärkt zu Lärmbelästigung gekommen. Seine Geduld mit den Occupy-Campern ist zu Ende, seine Toiletten dürfen sie nicht mehr benutzen. Dafür aber die in der HSH-Nordbank-Passage - und auch bei "World Coffee". Dort fühlt man sich von den Aktivisten ungestört. "Es ist ein friedliches Miteinander", sagt eine Angestellte. Das Thalia-Theater versorgt die Camper mit Strom. "Wir stehen den Occupy-Anhängern positiv gegenüber", sagt ein Mitarbeiter. "Man kann verschiedener Meinung sein", sagt Sorina Weiland, Sprecherin des Bezirksamtes. "Gleichwohl ist die Stadt für alle da. Es gibt keine Veranlassung, den Occupy-Anhängern den Raum für ihren Protest zu verwehren." Ratten, die von Anliegern im Camp vermutetet wurden, habe das Hygieneinstitut dort jedenfalls nicht vorgefunden.