Nur mit neuer Offenheit kann Bundespräsident Wulff Respekt zurückgewinnen.

Die Talkshows im deutschen Fernsehen haben, so oder so, eine denkwürdige Schneise in die politische Kultur geschlagen. Da gehörte es schon zu den besseren Momenten dieses Unwesens, als vergangene Woche sowohl der scharfzüngige Jürgen Trittin von den Grünen als auch sein ebenfalls nicht auf den Mund gefallener Widerpart Peter Altmaier (CDU) in seltener Eintracht für ein Innehalten in der Diskussion um die Kreditaffäre von Christian Wulff eintraten. Das gebiete, zumal nach dessen öffentlichem Bedauern, der Respekt vor dem Amt des Bundespräsidenten.

Ein Satz wie in Stein gemeißelt. Und es gibt viele in diesem Land, die ihn auf der Stelle unterschreiben würden. Respekt vor dem Amt beinhaltet aber auch Respekt vor dem Amtsträger und mit welchem Respekt dieser mit seinem Amt umgeht.

Genau da gibt es bei Christian Wulff, der das Amt aktuell bekleidet, massive Zweifel. Niemand bestreitet einem Politiker das Recht, sich von einem Freund oder einer Freundin privat Geld leihen zu dürfen. Das ist Privatsache - es sei denn, der Politiker bekommt unlautere Konditionen oder er verstößt gegen ein Gesetz. Dann hilft auf der öffentlichen Bühne nur Offenheit - nicht aber formaljuristische Rechthaberei oder peinliches Rumgedruckse, bei dem die Wahrheit nur scheibchenweise herauskommt.

Dabei gilt: Jeder Mensch hat ein Recht auf eine zweite Chance - moralisch, juristisch, wirtschaftlich, politisch. Wer zum Beispiel pleitegeht, muss durch eine ordentliche Insolvenz. Wer seine Schulden bezahlt hat, darf neu durchstarten. Das ist der Stoff, in dem aus Sündern sogar Helden werden können.

Als Bundespräsidenten brauchen wir keine Helden, es reichen Männer oder Frauen mit Ecken und Kanten - und einem Gefühl dafür, was sich gehört und was nicht. Man nennt das Anstand. Damit kann man Respekt erwerben - für sich und sein Amt.

Diesen Anstand und den damit verbundenen Respekt haben bislang alle unsere Präsidenten bewiesen und erworben. Von Theodor Heuss bis Horst Köhler. Ja auch der, obwohl er letztlich am Amt zerbrochen ist.

Am ehesten Respekt verloren hatten dabei die Parteien vor dem Amt - denn auch unsere großen Präsidenten wie eben Richard von Weizsäcker, Gustav Heinemann oder Roman Herzog hatten ihr Amt parteipolitischen Machtspielen und parteipolitischer Taktik zu verdanken.

Christian Wulff kam ins Amt, obwohl es mit Joachim Gauck einen anerkannten Mitbewerber gab. Aber den hatte die Opposition erfunden - damit hatte er keine Chance. Wulff wurde Präsident, weil Kanzlerin Merkel einen innerparteilichen Konkurrenten mit ihm wegbefördern konnte.

Auch wenn Wulff für den Geschmack vieler zu oft mit seiner jungen Frau und deren Tätowierung in den bunten Blättern vertreten war, hat er es mit seinem Bekenntnis zur Integration ("Der Islam ist Teil unserer Gesellschaft") zu breiter Anerkennung und auf die Titelseiten seriöser Blätter geschafft. Ob das reicht, darüber kann man, bei allem Respekt, streiten.

Respekt vor dem Amt heißt aber nicht, dass man Diskussionen über sein privates Finanzgebaren aus Respekt vor dem Amt unter den Tisch kehrt. Erst musste bekannt werden, dass man sich zumindest aufseiten der Kreditgeber für den Hauskauf Gedanken gemacht hat, wie man den Geldtransfer möglichst unauffällig über die Bühne bringen konnte. Schließlich sollte nicht jeder Azubi bei der Sparkasse in Osnabrück erfahren, dass Wulff von seinem Unternehmerfreund so viel Geld bekommt. Jetzt gab der Präsident bekannt, dass er insgesamt sechsmal bei betuchten Freunden Urlaub gemacht hat - ein richtiger Schritt zur neuen Offenheit. Nur die kann Wulff am Ende helfen, den Respekt wiederzugewinnen, der ihm, jawohl, von Amts wegen gebührt.

Der Autor ist Mitglied der Chefredaktion des Abendblatts