Bis 1943 waren viele Häuser deutlich höher als heute, sagt Hamburgs Oberbaudirektor Jörn Walter. Ein Modell für die Zukunft.

Hamburg. Es ist ein erstaunlicher Befund: Vor dem Zweiten Weltkrieg wurde in Hamburg teilweise deutlich höher gebaut als danach. Das sagt Hamburgs Oberbaudirektor Jörn Walter. "Das historische Straßenprofil unterscheidet sich an vielen Stellen der Stadt erheblich von dem heutigen", meint er und führt aus: "Die Häuser der Gründerzeit hatten oft fünf Geschosse und darüber noch hohe Dächer, an ihrer Stelle wurden in der Nachkriegszeit dagegen häufig nur drei- bis viergeschossige Bauten errichtet." Historische Abbildungen der noch unzerstörten Hamburger Gründerzeitviertel belegen das. Sie zeigen eine großstädtische Situation; die an derselben Stelle wieder aufgebauten Straßenzüge wirken dagegen vielfach klein- oder vorstädtisch, auch wenn sie recht zentrumsnah liegen.

Schon seit Jahren plädiert Walter dafür, höher zu bauen. Im vergangenen Jahr hatte er im Abendblatt-Interview gesagt: "Es gibt Standorte, an denen ich mir höhere Häuser vorstellen kann, nämlich überall dort, wo die Kernsilhouette Hamburgs nicht berührt wird. Das ist der Bereich der äußeren Tore: Berliner Tor, Millerntor, Dammtor oder Lübecker Tor. Aber auch da sind keine wirklich hohen Hochhäuser denkbar. Wenn man so etwas mal in Hamburg bauen wollte, dann wäre das an den Elbbrücken möglich, denn das ist der gefühlte Eingang nach Hamburg - er liegt abseits der Altstadt."

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Auch Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz hat Hochhäuser oder zumindest höhere Häuser im August ins Gespräch gebracht. Weil er den Wohnungsbau deutlich verstärken will, setzt er auf höhere Bauten und innerstädtische Verdichtung. Tatsächlich bietet Hamburg dafür enorme Reserven: Während in München 4282 und in Berlin 3861 Einwohner pro Quadratkilometer leben, sind es in Hamburg nur 2349.

Das hat zu einem großen Teil mit dem Konzept des Wiederaufbaus nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs zu tun. Wohn- und Geschäftshäuser, die Ende des 19. oder Anfang des 20. Jahrhunderts errichtet wurden, konnten 17 bis 20, in der City sogar 23 Meter hoch sein. Stadtbildprägend sind zudem die oft steilen Dächer. Ihre in den 1950er- und 1960er-Jahren erbauten Nachfolger erreichten oft nur bescheidene zwölf bis 14 Meter. "Grund dafür war das städtebaulich-architektonische Leitbild der aufgelockerten, durchgrünten Stadt. Gebaut wurden drei- bis vierstöckige Zeilen, dazu einzelne Punkthochhäuser, wobei der Begriff relativ ist. "'Hochhäuser' hatten damals meistens nur acht Stockwerke", erläutert Jörn Walter.

Beispiel Wandsbeker Markt: Das alte Karstadt-Kaufhaus hat noch die historische Höhe, während die gesamte Nordseite nach dem Krieg nur viergeschossig bebaut wurde. Beispiel Rödingsmarkt: Dort überragt ein stattliches Gründerzeithaus ein deutlich niedrigeres Nachbargebäude aus den 1960er-Jahren.

"Wenn man mit aufmerksamem Blick durch die Stadt geht, entdeckt man an vielen Stellen noch typische fünfgeschossige Gründerzeithäuser und gleich daneben die viel niedrigeren Bauten der Nachkriegszeit. Beispiele dafür findet man an der Lessingstraße oder auch am Mühlendamm", meint Walter, für den die frühere Bauhöhe nicht nur eine historische Größe ist, sondern ein Maßstab, an dem man sich wieder orientieren sollte - zumindest in Gegenden, in denen die Stadt bereits vor dem Zweiten Weltkrieg dichter bebaut war. Gerade weil die Nachverdichtung angesichts des großen Wohnungsbaubedarfs enorme Bedeutung hat, hält er die Steigerung der Gebäudehöhen bis zu diesem Niveau sowohl in der Innenstadt als auch an vielen anderen Orten für verträglich. Mit anderen Worten: Die Aufstockung vorhandener Häuser bietet gerade in Hamburg ein enormes Nachverdichtungspotenzial. Sollte man daher überall in der Stadt künftig höher bauen? Nicht immer und nicht überall, meint Walter, aber in Stadtgegenden, in denen die Silhouette nicht beeinträchtigt wird.

Allerdings erfordert die Erhöhung von dreigeschossigen Nachkriegsbauten um weitere zwei bis drei Stockwerke mitunter erheblichen Aufwand, denn oft müssen die Häuser statisch nachgerüstet werden, daher lassen sich solche Projekte sinnvollerweise im Rahmen einer Komplettsanierung mit einer zeitgemäßen Veränderung der Wohnungsgrundrisse realisieren. Als besonders gelungenes Beispiel nennt der Oberbaudirektor das von dem Büro blauraum Architekten an der Bebelallee realisierte und mehrfach preisgekrönte Projekt "Treehouses". Dort wurde ein ursprünglich zweigeschossiges Wohnhaus der späten 1950er-Jahre mit klassischem Satteldach mit einer ästhetisch äußerst ansprechenden Holzkonstruktion um zwei Stockwerke aufgestockt, wobei 64 neue Wohnungen entstanden.

Jörn Walter betrachtet die Aufstockung nicht als Königsweg und würde denkmalwürdige Ensembles, die in der Nachkriegszeit auch entstanden sind, nicht verändern. Er sieht aber viele Bereiche, in denen sich eine solche Lösung anbietet. "Das betrifft vor allem niedrige Lückenbebauungen. Manchmal handelt es sich sogar um eingeschossige Gebäude, die ohnehin nur als Interimslösungen gedacht waren." Ein durchaus wünschenswerter Nebeneffekt dieser Variante wäre es zudem, dass Hamburg an vielen Stellen wieder das geschlossene Straßenprofil mit den entsprechenden Gebäudehöhen erreichen würde, das es vor den Zerstörungen von 1943 schon einmal gehabt hat.