Vor 125 Jahren fand die erste Fischauktion statt. Auch heute kaufen Restaurantbesitzer und Händler ihre Fische an der Großen Elbstraße ein.

Hamburg. Von draußen weht der nasskalte Novemberwind durch die Hallentür, Gabelstapler surren über den nassen Estrichboden. Im Neonlicht stapeln sich Styroporkästen mit Lachsen, Tintenfischen, Doraden und Makrelen, riesigen Krabben und Krebsen, gebettet auf Eisbrocken, glänzend mit starren Augen. Männer in Schürzen und Gummistiefeln schieben Karren, sprühen Wasser über die Kästen. Ein nur feiner Geruch nach Fisch und Marinaden liegt in der Luft. Jetzt, um fünf Uhr morgens, geht der Handel auf dem Hamburger Fischgroßmarkt an der Großen Elbstraße für heute seinem Ende zu. Begonnen hat dieser Handel in staatlich organisierter Form vor 125 Jahren: Am 20. November 1886 wurde auf St. Pauli Hamburgs erste öffentliche Fischauktion ausgerichtet. Wenige Monate später folgte der Konkurrent etwas weiter westlich, der Fischmarkt in Altona.

Längst ist das Fischmarktgeschäft der früher getrennten Städte vereint, seit 1934 schon. Der alte Fischmarktplatz ist heute ein Touristenmagnet, Marktschreier verkaufen dort Bananen und Grünpflanzen. Sogar in anderen Städten gibt es "Fischmarkt-Hamburg-Events". Und auch die vor 115 Jahren fertiggestellte Fischauktionshalle an der Großen Elbstraße ist heute Ziel von Partygängern. Bis in die 1980er-Jahre löschten hier noch Fischkutter ihre Ladung, balgten sich Möwen um die Fischabfälle, froren nachts die Prostituierten auf dem Autostrich.

+++ Der beliebteste Fisch +++

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Und genau hier liegt mittlerweile einer der teuersten Straßenzüge Deutschlands, meldete unlängst das Ranking einer bundesweit agierenden Maklerkette. Bis zu 15 000 Euro pro Quadratmeter sollen manche der Wohnungen im neuen Kristall-Wohnturm kosten. Die neue "Perlenkette" mit ihren Glitzerfassaden, Büros und Agenturen hat die einst schmuddelige Elbkante erobert. Feine Restaurants und Spezialitätenbistros säumen die Straße, von der aus der Blick auf die Elbe mittlerweile so wertvoll geworden ist.

Dennoch ist hier immer noch Platz für eine Art Parallelwelt rund um die eher nüchterne Markthalle an der Großen Elbstraße 133, die von der städtischen Fischmarkt Hamburg-Altona GmbH betrieben wird. Der echte Hamburger Fischmarkt, wenn man so will. Kaum ein Tourist verirrt sich hierhin, die Profis sind noch unter sich, so wie vor 125 Jahren. Seit 2007 gibt es sogar einen Bestandsschutz des Senats für Frischfischhändler und verarbeitende Betriebe, die an dieser Meile Filets filetieren oder Rollmöpse rollen - immerhin knapp 60 Betriebe mit einigen Hundert Mitarbeitern.

Nachts, wenn gegen 23 Uhr die Kühllaster anrollen, erwacht diese Welt. Mit brummenden Kühlaggregaten parken die Trucks vor der Halle. Aus Skandinavien kommen sie oft, aus den Niederlanden oder aus Großbritannien. Um drei Uhr morgens öffnet dann in der Halle das "Fischmarkt Bistro". Restaurantbesitzer, Markt- und Einzelhändler schieben sich um die Styroporkästen herum, inspizieren die ausgestellten Fische und weitere Meerestiere, feilschen mit Großhändlern um Margen.

Mittendrin steht ein eher kleiner Mann mit festem Blick und in weißem Kittel: Otto Horst, Amtstierarzt im Bezirk Altona, überwacht die Einhaltung der Hygienevorschriften. "Wir haben hier den vielfältigsten Fischmarkt Deutschlands mit besonders vielen exotischen Produkten", sagt er. Täglich werden 120 Tonnen umgeschlagen. Horst achtet darauf, dass die Fische immer auf Eis liegen. "Das hält sie frisch und spült Keime ab", sagt er.

Jeder siebente in Deutschland verzehrte Seefisch wurde zuvor in Altona gehandelt, besonders oft Thunfische, Doraden oder "Seafood" wie Hummer, Krabben, Muscheln. Ware aus Übersee macht einen Zwischenstopp am Flughafen Frankfurt, einem der größten Fischanlandeplätze der Republik, bevor es dann mit dem Lkw nach Hamburg weitergeht. "Entfernungen spielen da kaum eine Rolle", sagt Otto Horst. Im Pazifischen Ozean gefangener Thunfisch ist nach wenigen Stunden in Altona, am größten deutschen Umschlagsplatz für diese Fischsorte.

Fischkutter liegen in Altona schon seit 1988 nicht mehr. Zu lang und teuer ist die fünfstündige Revierfahrt von der Nordsee. In den Siebzigern liefen noch regelmäßig knapp 60 Hochseekutter aus Finkenwerder und Altenwerder Altona an, wo der Weg zur Markthalle und den Auktionen kurz war. Das weite Hafenbecken ist heute großenteils zugeschüttet und dient als Parkplatz für das neue Kreuzfahrtterminal.

Anders vor 125 Jahren. Damals verkauften die Fischer in Hamburg und Altona sogar direkt vom Kutter. Gewiefte "Reisehändler" schipperten ihnen oft schon auf der Elbe entgegen, um ganze Fänge aufzukaufen. Da Fisch ein schnell verderbliches Lebensmittel ist, gerieten die Fischer damals aber schnell mal unter Preisdruck. Die neuen Auktionen auf festen Plätzen mit staatlich vereidigten Auktionatoren sollten den Handel daher wieder auf eine faire Basis stellen.

Heute hat sich in Altona das Geschäft erneut verlagert, seit die Kutter nicht mehr kommen. Aus den Auktionen wurde ein internationales Handelsgeschäft. Peter Andersen etwa, Großhändler am Markt seit 30 Jahren, arbeitet mit dänischen Vertragspartnern zusammen, die Fisch auf Auktionen an der dänischen Küste ersteigern.

Jetzt, gegen sechs Uhr morgens, sitzt er in einem kleinen Glaskasten-Büro und sortiert Rechnungen. Davor sind die weißen Kästen mit Fisch und Muscheln aufgereiht, die sein Betrieb anbietet. Seit 22 Uhr des Vorabends ist der 65-Jährige schon hier. "Schauen Sie hier", sagt er mit müden Augen und wedelt mit einem Lieferzettel. 44 Kästen mit 352 lebenden Hummern aus Kanada, bezogen von einem belgischen Zwischenhändler, hat er gerade an einen Eventveranstalter aus Sachsen-Anhalt verkauft. "Das läuft alles auf Vertrauensbasis, mit Faxangeboten und persönlichen Telefonaten", sagt Andersen. Vor allem, weil die Preise auch täglich schwanken können. Bei Konsumfischen wie Seelachs liegt die Spanne beim Einkaufspreis zwischen etwa fünf und 5,50 Euro pro Kilogramm. Ein Unterschied, der bei großen Umsätzen schon viel ausmacht, wie er sagt.

Vor den weißen Kästen verhandelt Andersens Frau Gitte im grellen Neonlicht mit Wilhelm Böttcher, der ein Fischgeschäft mit langer Familientradition in Winterhude betreibt. Auktionen in Altona hat der kräftige 73-Jährige noch miterlebt. "Viel handeln lässt sich heute nicht mehr, die Aufkaufpreise liegen doch ziemlich fest", sagt er, um dann doch zu fragen: "Was soll der kosten, Gitte?" Er hebt einen riesigen Steinbutt hoch. "Prima Ware", grummelt er und will ein wenig handeln. Den Fisch selbst für die Kunden aussuchen, die Qualität beurteilen, nach Neuem schauen - das macht den Fischmarkt hier aus, sagt Böttcher. Am Ende kauft er Jakobsmuscheln aus den USA, Shrimps aus Thailand, Steinbutt aus Dänemark. "Wer Qualität verkaufen will, kann den Hamburgern nichts vormachen", meint er. Tatsächlich wird nirgendwo in der Republik mehr Fisch gegessen als in der Hansestadt. Bei knapp 16 Kilo liegt der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch in Deutschland mittlerweile, in Hamburg sind es rund vier Kilo mehr.

Amtstierarzt Otto Horst eilt durch die Halle. Heute will er selbst Fisch kaufen - als Anschauungsobjekt in einem Seminar für Lebensmittelkontrolleure. Zwar stellen heute große Handelsketten einen wesentlichen Teil am Fischgeschäft und beliefern ihre Kunden selbst. Selbstaussuchen, die besondere Vielfalt nachts in der kühlen Halle - das, sagt der Veterinär Horst, lasse sich durch solchen Handel nicht ersetzen. Das ist immer noch so in der schlichten Halle an der Großen Elbstraße, seit Hamburger Händler vor 125 Jahren ihren Fisch zum ersten Mal ersteigerten.