Der Psychologe und Traumaspezialist Andreas Krüger hilft Kindern, die an den Folgen schrecklicher Ereignisse leiden. Sein größter Wunsch ist eine Villa Kunterbunt als Heilzentrum.

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: An andere, die hier arbeiten, die etwas Besonderes für diese Stadt leisten, die in Hamburg als Vorbilder gelten. Den Anfang machte Altbürgermeister Henning Voscherau. In der zehnten Folge vor einer Woche: Birgit Müller.

Das große Pflaster an seiner rechten Hand zeigt es an: Der Doktor ist selbst verletzt. Wenn auch nur leicht. Andreas Krüger verbrannte sich am Auspuff, als er sein Motorrad reinigen wollte. Eine Bagatelle, äußerlich für jeden erkennbar. Im Gegensatz dazu stehen die Verletzungen, die die kleinen Patienten des Kinder- und Jugendpsychologen haben. Denn sie sind schwer traumatisiert. "Ihnen tut die Seele weh", wie es Krüger ausdrückt. Sie haben von außen unsichtbare Schmerzen, sind traumatisiert. "Diese Dinge sind eben nicht fassbar. Es ist nicht wie nach einem Unfall, bei dem jeder sofort die Verletzungen sehen kann."

Vielmehr haben seine Patienten beispielsweise dabei zugesehen, wie die Mutter vom Partner bedroht und geschlagen wurde. Wie die eigene Schwester bei einem Autounfall ums Leben kam. Wie sich jemand vor den U-Bahn-Zug stürzte. Wurden selbst vergewaltigt oder misshandelt. Seitdem gibt es für sie ein Davor und ein Danach.

Krüger ist ein Pionier, einer der wenigen Therapeuten, der sich auf Traumata und damit verbundene posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) bei Kindern, Kleinkindern und Jugendlichen spezialisiert hat. Und dadurch seinen Beruf, seine Berufung fand. Seit drei Jahren führt er am Mittelweg seine Praxis, behandelt 30 Patienten pro Woche, die regelmäßig zu ihm kommen. Schon Zweijährige gehören dazu. Die Patienten kommen aus Billstedt und Blankenese. "Man lernt in diesem Beruf viel über das Leben, man kann die Grenzen des Seelischen ausloten", sagt der 46-Jährige. Er selbst ist Vater von drei Söhnen und einer Tochter, von ihrer Mutter ist er geschieden.

Andreas Krüger ist heute jemand, der er nie sein wollte. "Ich wollte nie Psychiater werden und nie an einem Uniklinikum arbeiten", sagt er und grinst. Zeigt sein Lausbubengesicht, was den Jüngsten sicher helfen kann, Vertrauen zu fassen. Zu einem Mann, dessen Arbeitskleidung eine verwaschene Jeans und ein helles Hemd sind. Am Handgelenk trägt er zwei dicke Stoffbänder in Grün. Eines ist verwaschen, das andere sieht neuer aus. "Die sind vom Elbjazzfestival", sagt er, "das unterstütze ich, weil ich Jazz liebe und es toll finde und will, dass es in Hamburg bleibt. Jazz an der Elbe - besser geht es nicht! Das ältere Band trage ich immer noch, auch weil ich mir wünsche, dass Ankerland und das Festival irgendwann Partner werden." Krüger lächelt. Ankerland, das sei sein "Riesenbaby". Der gemeinnützige Förderverein an der Willy-Brandt-Straße 20 wurde 2008 von ihm initiiert und gegründet, er ist in Krügers Institut für Psychotraumatologie des Kinder- und Jugendalters beheimatet. Hier bekommen schwer Traumatisierte Hilfe. Sein größtes Ziel ist es, ein richtiges Therapiezentrum aufzubauen, das die Möglichkeiten für die optimale professionelle Versorgung traumatisierter Kinder und Jugendlicher dauerhaft und in ausreichendem Umfang schafft.

"Mein Traum ist eine Villa Kunterbunt, ein tolles Haus, so 400 Quadratmeter aufwärts", sagt Krüger, "wir sind sehr auf der Suche nach jemandem, der uns so eine Immobilie als Therapiezentrum zur Verfügung stellen könnte. Damit die Kinder sofort eine Anlaufstelle haben und wir Therapeuten schulen können, die den Patienten helfen, dass ihre Seelen heilen können. Und das ohne Krankenhausatmosphäre." Krüger spricht schnell, dabei voller Enthusiasmus, manchmal streicht er sich durch die kurzen blonden Haare. Ja, er wisse, dass er größenwahnsinnig sei.

Aber gibt es in Hamburg überhaupt so viele Kinder und Jugendliche, die betroffen sind? Krügers Augen weiten sich. "Absolut." Er zitiert die Bremer Jugendstudie, nach der 1,6 Prozent der Zwölf- bis 17-Jährigen darunter leiden und durch ein Trauma geschädigt sind. "Bezogen auf Hamburg, kommen wir auf 4500 Kinder unter 19 Jahren mit PTBS. Die Zahlen sind niedrig geschätzt, es gibt eher mehr behandlungsbedürftige Kinder", sagt Krüger.

Dazu komme eine hohe Fehlerquote. Denn das Problem sei oft, dass niemand die Problematik und die Symptome bei auffälligen Jugendlichen und Kindern richtig deuten könne. "Es werden Fehldiagnosen gestellt. Dann heißt es, die Kinder hätten ADHS, also eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, deshalb seien sie unruhig, könnten nicht schlafen oder würden aggressiv. Aber oftmals sind sie eben schwer traumatisiert und zeigen deshalb diese Anzeichen und werden falsch behandelt", so Krüger. Auch Drogenkonsum könne ein Anzeichen sein.

"Flashbacks, also Erinnerungen an die traumatisierende Situation aus der Vergangenheit, die durch Schlüsselreize ausgelöst werden, können dadurch abgemildert werden." Krüger schult schon jetzt Polizisten, Lehrer, Mitarbeiter der Opferschutzorganisation Weißer Ring und Erzieher.

Aber er braucht mehr Leute. "Ich könnte mich klonen und hätte immer noch zu viel zu tun", sagt Krüger. Er beackert viele Baustellen. Neben seiner täglichen Arbeit in seiner Praxis schreibt er Fachbücher und Kinderratgeber zur Selbsthilfe, er hat einen Lehrauftrag an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin, forscht und entwickelte auf Basis der Psychodynamisch Imaginativen Traumatherapie (PITT) der Psychoanalytikerin Prof. Luise Reddeman ein Behandlungskonzept speziell für traumatisierte Kinder. Der "Psychodoc", wie er sich selbst vor seinen kleinen Patienten nennt, erklärt seinen Ansatz. In einer kindlichen Sprache. Übersetzt sozusagen. "Ein Kind hat eine posttraumatische Belastungsstörung, Auslöser war eine sogenannte traumatische, eine Nichts-geht-mehr-Situation. Es hat horrorfilmartige Blitzerinnerungen, die sogenannten Flashbacks. Das Kind rastet beispielsweise aus, ist extrem aufgeregt oder hat schlimme Albträume oder Abwesenheitszustände. Ohne Kontrolle darüber zu haben", formuliert Krüger. "Zum Beispiel hat es einen schrecklichen Unfall mit angesehen und hört in irgendeiner Situation eine Autohupe und dann fühlt es sich so an, als wäre das schreckliche Geschehen wieder im ,Hier und Jetzt'." Der Wahl-Hamburger beschreibt es seinen Patienten dann so weiter: "Dein Gehirn denkt, du bist im Urwald und stehst vor dem Säbelzahntiger, alles schaltet auf ,Kampf oder Flucht', die Blitzerinnerungen sind wie Warnschilder vor der alten Gefahr, und das Gehirn verwechselt das 'Hier und Heute' mit damals."

Er deutet auf eine russische Matroschka, die hohle Holzpuppe, in deren Innerem viele weitere kleinere stecken. Sie steht auf einem Regal in seinem lichtdurchfluteten Behandlungszimmer mit hohen Decken, einem Teppich, kleinen Hockern und Kinderzeichnungen. "Ich erkläre, dass es das Ich von Hier und Heute gibt und innen drin einen verletzten jüngeren Anteil, ich nenne ihn 'das verletzte innere Kind'."

Die äußerste Matroschka-Schale versteht er als "König des Tages", der für die Person heute steht, innen drin sind aber das oder die verletzten jüngeren Kinder, die dem König bei einem Flashback das Zepter aus der Hand reißen und die Kontrolle übernehmen. Ausweg bietet ein imaginärer "sicherer innerer Ort", eine Fantasiewelt, ein Platz, in dem alles sicher, kuschelig und schön ist. Hierher sollen die Patienten die jüngeren Kinder bringen, um sie gesund zu machen. "Es funktioniert", sagt Krüger, sichtlich stolz. Dem "bösen Film" werde ein "guter, heilsamer Film" entgegengesetzt. Wie lange es dauere, bis die Patienten als geheilt gelten, hänge vom Trauma ab. Jedoch: "Ich bin überzeugt davon, dass jemand, bei dem eine Traumastörung geheilt wurde, danach stärker ist", sagt Krüger. Gerührt sei er, wenn ihn ehemalige Patienten besuchten oder sich durch kleine Gesten bedankten.

Seine Erkenntnisse zieht der Mediziner und gebürtige Hannoveraner, der in Bielefeld aufwuchs, aus seiner bisherigen Laufbahn: Er arbeitete in unterschiedlichen Häusern, strebte Anfang der 90er-Jahre noch den Facharzt für Innere Medizin an, arbeitete am damaligen AK Ochsenzoll und schwenkte 1996 im Katholischen Kinderkrankenhaus Wilhelmstift in Rahlstedt um in Richtung Kinderpsychiatrie und machte hier seinen Facharzt für Kinder- und Jugendpychiatrie und Psychotherapie und ist zusätzlich Paar- und Familientherapeut.

Am UKE arbeitete er als Oberarzt zunächst in der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, danach in der Kinder- und Jugendpsychosomatik. Baute dort eine Trauma-Ambulanz für Kinder auf, bis er sich selbstständig machte. Der beste Schritt für ihn, wie er versichert. Zu seinen früheren Kollegen habe er wenig Kontakt, "ich glaube, ich gelte als Paradiesvogel, ein bisschen verrückt vielleicht", sagt Krüger. "Ich habe viele Künstler und Lebenskünstler als Freunde. Ich finde es spannend, in verschiedene Lebensgeschichten hineinzuschauen." Allerdings, er könne den "professionellen Automaten" ausschalten, sei privat ohne den Psychologenblick unterwegs. Denn auch der Seelenheiler braucht einmal eine Auszeit. Wo er sie findet, weiß er. Gern auf dem Motorrad.

Den roten Faden gibt Andreas Krüger an Tina Heine weiter. Sie initiierte das beliebte Elbjazz-Festival, das im vergangenen Mai bereits zum zweiten Mal im Hamburger Hafen stattfand. Seine Begründung ist eindeutig: "Ich liebe Jazz und bin ein großer Fan dieser Musikrichtung", sagt Krüger. Zudem wolle er, dass es das Elbjazz-Festival auch in den kommenden Jahren vor dieser spektakulären Kulisse bleibe.