Der bedeutendste Literaturpreis geht an Lyriker aus Schweden

Es ist ein gutes Zeichen, dass mit dem Literatur-Nobelpreisträger zunächst niemand etwas anfangen kann. Tomas Tranströmer? Nie gehört, werden die meisten sagen. Die Entscheidung für Tranströmer verdeutlicht vor allem eines: Das Urteil des Nobelkomitees ist unabhängig. Es folgt keinen Gesetzmäßigkeiten. Viele hätten in diesem Jahr mit einem Dichter aus dem morgenländischen Raum gerechnet. Der Arabische Frühling rückte diese Weltregion in den Mittelpunkt des Interesses. Der syrisch-libanesische Dichter Adonis wäre da eine gute Wahl gewesen - er gilt als wichtigster arabischer Lyriker der Gegenwart.

Nein, die Gewaltigen in Stockholm votierten für einen Schweden, dessen Dichtkunst zeitlos ist. Dessen Werk in keiner Verbindung zum Weltgeschehen steht, dessen Ehrung keinen politischen und gesellschaftlichen Hintergrund hat. Als Herta Müller 2009 ausgezeichnet wurde, verstanden Kommentatoren das auch als Würdigung der deutschen Geschichte. 20 Jahre zuvor war die Mauer gefallen.

Viel öfter als an Jahreszahlen hat sich die Akademie immer an etwas anderes gehalten: ihr ästhetisches Urteil, ihren literarischen Geschmack. Darin war das Gremium stets sehr frei (manche sagen: bisweilen erratisch) und im Hinblick auf die Sieger sehr oft (manche sagen: zu oft) überraschend. Es gibt viele Sprachen, die zu ihrem Recht kommen wollen; aber ein plumpes Wechselspiel zwischen den Kulturkreisen wäre wieder zu vorhersehbar. So tagt das Komitee Jahr für Jahr, um am Ende doch wieder keinen Araber (1988 bekam Nagib Mahfuz den Nobelpreis) und auch nicht den immer wieder favorisierten Philip Roth auszuzeichnen. Klar ist, dass nichts klar ist - und das gilt jeden Oktober. Tomas Tranströmer wurde übrigens seit Jahren gehandelt. Gerade das macht, wie die Geschichte des höchsten literarischen Preises zeigt, die Entscheidung zu - einer Überraschung.