Am 4. September wird der Heidi-Kabel-Platz eingeweiht. Eine Rarität: In Hamburg sind nur zwölf Prozent der Wege nach Frauen benannt.

Hamburg. Rita Bake ist einigermaßen frustriert. Gerade sitzt die Hamburger Historikerin über der Neuauflage ihres Buches "Wer steckt dahinter? Nach Frauen benannte Straßen, Plätze und Brücken in Hamburg" - "und wieder einmal zeigt sich ein Ungleichgewicht bei der Benennung nach Persönlichkeiten: Von Januar 2009 bis Mai 2011 wurden 21 Straßen nach Männern und nur sieben nach Frauen benannt. Diese Zahlen deprimieren mich." Zwar freue sie sich über Neubenennungen wie den Ilse-Fromm-Michaels-Weg in Othmarschen oder den Hanne-Darboven-Ring in Harburg, die eine Komponistin und eine Künstlerin ehren, aber diese seien nur positive Ausreißer im Hinblick auf die männliche Dominanz rund um Benennungen nach Heinz Erhardt, Max Schmeling und Willi Bartels.

Seit mehreren Jahren beschäftigt sich die stellvertretende Leiterin der Landeszentrale für politische Bildung mit dem Thema. Ihr Fazit: Von den insgesamt 8881 Straßennamen, die im Laufe der Jahrhunderte in Hamburg vergeben wurden, sind rund 2300 nach Männern und 310 nach Frauen und Mädchen benannt - Letztere machen lediglich etwa zwölf Prozent am Gesamtteil der nach Personen benannten Straßen aus. Nur im Zeitraum von 2005 bis 2008 war das Verhältnis mit jeweils 16 Frauen- und Männernamen ausgewogen.

Das Problem: Im Stadtstaat Hamburg stehen nur begrenzt Flächen für Neubenennungen zur Verfügung. Eine Chance sind Neubausiedlungen oder - wie im Fall der HafenCity - neu entstehende Stadtteile. Doch auch hier ist es nicht selbstverständlich, dass Straßen "gleichberechtigt" benannt werden. Katja Glahn, Sprecherin des Bezirks Nord: "Beim Neubaugebiet Quartier 21 in Barmbek konnten die Bürger Namen vorschlagen. Mit dem Ergebnis, dass drei von vier neu gebauten Straßen nach Männern benannt wurden." Der Andreas-Knack-Ring ehrt den ehemaligen Direktor des Barmbeker Krankenhauses, der Wilhelm-Drexelius-Weg ist dem gleichnamigen Rechtsanwalt und Zweiten Bürgermeister Hamburgs gewidmet, die Alfred-Johann-Levy-Straße geht auf den Elektroingenieur und Mitbegründer der Partei Freier Demokraten (später Hamburger Landesverband der FDP) zurück. Der vierte Neuzugang heißt Harkensee, benannt nach einer Barmbeker Bauernfamilie. Woher kommt diese Unausgewogenheit? "Weibliche Persönlichkeiten sind immer noch unzureichend im öffentlichen Bewusstsein verankert", sagt Rita Bake.

"Dabei gab und gibt es genügend Frauen, die eine Benennung verdient hätten." Eine reiche Quelle dürfte eine Internet-Datenbank mit rund 500 Hamburger Frauen-Biografien sein, die die Historikerin gerade aufbaut und in naher Zukunft zugänglich sein wird. "Darin wird man nach Namen, Straßen und Institutionen suchen können und sicherlich viele Anregungen für weibliche Straßennamen bekommen." Für die HafenCity wünscht sich die 59-Jährige, dass der Hamburger Reederin Lucy Borchardt eine Straße gewidmet wird. Auch eine Ehrung der ersten Hamburger Senatorin, Paula Karpinski, sei lange überfällig.

Eine Alternative zur Neubenennung ist die Umbenennung einer Verkehrsfläche. Als Reaktion auf eine Kleine Anfrage der SPD wurde die Frenssenstraße in Blankenese 1986 in Anne-Frank-Straße umbenannt, nachdem man dem Schriftsteller Gustav Frenssen Judenfeindlichkeit schon vor 1920 nachgewiesen hatte. Im Fall einer Wellingsbütteler Stadtteilschule kam auf diese Weise eine Frau zum Zug: Aus der Peter-Petersen-Gesamtschule wurde Ende 2010 die Irena-Sendler-Schule. Recherchen hatten ergeben, dass der Pädagoge Peter Petersen dem Antisemitismus und der Rassenlehre des Nationalsozialismus zugeneigt gewesen war. Die Schulleitung distanzierte sich von dem ursprünglichen Namensgeber und forderte Schüler, Eltern und Lehrer auf, Alternativen vorzuschlagen. Irena Sendler, die als Krankenschwester über 2500 Kindern aus dem Warschauer Getto zur Flucht verholfen hatte, konnte sich bei der Abstimmung knapp gegen Pablo Picasso durchsetzen.

Laut Rita Bake handelt es sich bei den weiblichen Namensgeberinnen für Straßen bislang häufig um Opfer des Nationalsozialismus, sichtbar an Verkehrswegen wie Agathe-Lasch-Weg in Othmarschen oder Marie-Jonas-Platz in Eppendorf. Um Frauen aus anderen Bereichen stärker ins Bewusstsein zu bringen, regte die 59-Jährige an, bereits nach männlichen Persönlichkeiten benannte Straßen auch nach deren Frauen oder weiblichen Verwandten, die ebenso Bedeutendes geleistet haben, mitzubenennen und die Straßenschilder mit zusätzlichen Texttafeln zu versehen. So geschehen bei der Schumannstraße in Barmbek, die nach den Komponisten Robert und Clara Schumann benannt ist.

Handlungsbedarf sieht auch Hamburgs Gleichstellungssenatorin Jana Schiedek (SPD): "Die Benennung von Straßen und Plätzen nach Frauen ist ein wichtiger Beitrag zur Bewusstseinsbildung. Es geht darum, den Anteil von Frauen am gesellschaftlichen Leben angemessen sichtbar zu machen. Von den nach Personen benannten öffentlichen Verkehrsflächen ist nach wie vor ein Großteil nach Männern benannt. Die Beseitigung dieses Missverhältnisses sollte allen Beteiligten ein Anliegen sein." Die Voraussetzung für ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis bei Straßennamen sei laut Rita Bake ein anderer Blick auf die Leistungen von Frauen und Männern. Im Mittelalter seien Frauen als Heilige verehrt worden, was sich in der Hamburger Altstadt an der Katharinenbrücke zeigt. Sie wurde nach der Schutzpatronin der Schulen, Katharina von Alexandrien, benannt.

"Die Frage ist doch, was man heutzutage überhaupt als bedeutsam bewertet. Eine Hebamme kann in ihrer Region ebenso wichtig sein wir ein Ortsvorsteher. Die Benennung von Straßen ist auch immer ein Spiegel der Gesellschaft, und das jetzige Missverhältnis von Frauen und Männern im Stadtbild ist einfach nicht zeitgemäß." Ginge es nach Rita Bake, bekäme Hamburg bald eine Domenica-Niehoff-Straße - benannt nach der "heiligen Hure".