Im Streit um die Esso-Häuser geht es um die Idee von Stadt

Es ist ein Konflikt, den Nichthamburger kaum verstehen werden. Auf St. Pauli tobt ein Kampf um die Esso-Häuser: Dürfen die Sozialwohnungen auf der Südseite der Reeperbahn mit der Kult-Tankstelle an der Taubenstraße einem Neubau weichen, oder ginge damit ein Stück Kiez unwiederbringlich verloren?

Unter ästhetischen Gesichtspunkten ist die Sache eindeutig - die maroden, heruntergekommenen Plattenbauten sind kein Kulturerbe, sondern eine Bausünde. Und doch werden sie zum Symbol eines wachsenden Unbehagens vieler Hamburger über die soziale Verdrängung im Allgemeinen und zeitgenössische Architektur im Besonderen. Diese beiden Phänomene brechen sich auf St. Pauli brutal Bahn.

So sollte das ehemalige Astra-Gelände eine Hafenkrone bekommen und bekam monströse Solitäre; was als Landmarke St. Pauli in Szene setzen sollte, wirkt eher wie eine Landnahme in dem bunten Stadtteil. Dem Bavaria-Gelände fehlt jedes Maß und jede Mitte - und angesichts der Leerstände ist dort jener Totraum entstanden, vor dem Kritiker stets gewarnt haben. Zudem zeigen nur einen Steinwurf weiter die Altbauten an der Hafenstraße, dass der Erhalt des Alten mit etwas Abstand richtig war.

Gerade auf St. Pauli schlägt das Herz Hamburgs, hier ist einer der letzten Stadträume, wo Arm und Reich Nachbarn sind. Die Touristen kommen des morbiden Charmes eines ruppigen Stadtteils wegen, nicht wegen gesichts- wie geschichtsloser Investorenträume. Und doch darf daraus kein uneingeschränkter Bestandsschutz für alles Bestehende abgeleitet werden - zumal, was gerne vergessen wird, viele Häuser im Privatbesitz sind und ihre Besitzer Eigentumsrechte haben. Stadtteile sind keine Naturschutzgebiete, in denen jeder Eingriff verboten ist. Stadt ist dort, wo sich Dinge wandeln, wo Altes fällt und Neues entsteht. Die europäische Stadt lebt zugleich vom Gewachsenen, Überschaubaren, von der Mischung. Diese Ziele gilt es in Einklang zu bringen. Der Protest der Künstler hilft, dieses Maß zu wahren. Ja, die Esso-Häuser dürfen abgerissen werden, wenn nicht nur Penthäuser entstehen, sondern auch Sozialwohnungen.

Der Streit auf St. Pauli kann Bauherrn, Planer und Politik noch mehr lehren: Zumindest auf dem Kiez haben die Menschen die Provokationen und Selbstermächtigungen der Architekten und Investoren satt. Stadt ist etwas zutiefst Demokratisches - die Stadtentwicklung muss es noch werden.