Martin N. war der Mörder mit der Maske - Nachbarn in Wilstorf spielte er den Angepassten vor. Im Job suchte der Pädagoge die Nähe von Jungs.

Hamburg. Um 6.39 Uhr fährt sein Bus zur Arbeit. Auch am vergangenen Mittwochmorgen wartet Carlos Dos Reis in Wilstorf an der Haltestelle Mensingstraße auf den Bus Nummer 141. Der 22-Jährige beobachtet einen Mann, der aus der Mensingstraße kommt und die Jägerstraße überqueren will. "Plötzlich kam ein Polizeiwagen angerast und hat dem Mann den Weg abgeschnitten. Vier Männer sind ausgestiegen, haben ihre Pistolen gezückt. Sie haben den Mann festgenommen. Die Sache hat nicht einmal eine Minute gedauert", sagt Carlos Dos Reis. Es muss um 6.37 Uhr gewesen sein, schätzt er.

Jetzt weiß Carlos Dos Reis, wen die Polizei am vergangenen Mittwoch festgenommen hat: Martin N., 40 Jahre alt, mutmaßlicher Mörder des neunjährigen Dennis, des 13-jährigen Stefan, des achtjährigen Dennis. Martin N. hat die Morde gestanden - und darüber hinaus 40 weitere Fälle sexuellen Missbrauchs.

An der Jägerstraße in Wilstorf hat er gewohnt. Im ersten Stock eines schlichten Mehrfamilienhauses. Unten wohnt seine Vermieterin, oben er. Im Haus lebt noch eine Familie, auch eine Fahrschule ist hier untergebracht. Das Gebäude ist unscheinbar, der Klinker gelb, die Hecke vor dem Haus grün.

Das Phantombild, mit dem die Polizei nach Martin N. gesucht hat, zeigt einen schwarz gekleideten Mann. Er ist stämmig, sein Gesicht ist verhüllt mit einer Motorradmaske.

Dieser "schwarze Mann" drang von 1992 bis 2004 unbemerkt in Schullandheime, Internate und Zeltlager ein. Und missbrauchte Jungen. Diejenigen, die mit dem Leben davonkamen, beschrieben das Phantombild. Der Leiter der Sonderkommission Dennis, Martin Erftenbeck, sagt über Martin N.: "Das äußerliche Erscheinungsbild entspricht der Beschreibung der Opfer von einem großen schwarzen Mann." Dennoch ist der "schwarze Mann" alles andere gewesen als ein Monster, zumindest nach außen hin.

Martin N. kommt aus Bremen. Früh suchte er den Kontakt zu Kindern. Er studierte auf Lehramt, arbeitete als Pädagoge mit Kindern zusammen. Er war Jugendbetreuer auf Ferienfreizeiten, war in Schullandheimen tätig. Zuletzt arbeitete er in Hamburg in der Erwachsenenbildung. Seit seinem 21. Lebensjahr ist N. alleinstehend. So war er wenig sozialer Kontrolle unterworfen. Und so konnte er offenbar seine pädophilen Neigungen ausleben.

Maja ist an diesem Freitag nach Wilstorf gekommen, an die Jägerstraße, zum Haus des Täters. Die 21-Jährige kann nicht glauben, was sie über Martin N. erfahren hat. Sie kennt ihn aus der Zeit, in der sie in einer Harburger Jugendwohnung gelebt hat - ein betreutes Wohnprojekt der evangelischen Jugendhilfe. Maja selbst hat von 2004 bis 2008 in der Wohnung gewohnt, im Alter von 14 bis 18 Jahren. "Martin war einer der Betreuer. Martin hat immer wieder Jungs zu sich nach Hause eingeladen. Das fand ich, ehrlich gesagt, ziemlich merkwürdig. Aber die Jungs haben nichts gesagt, deshalb dachte ich, dass wohl alles in Ordnung sein müsste."

Maja berichtet von Playstation-Abenden in Martins Wohnung, häufig sei er auch abends in die Jugendwohnung gekommen. "Da saß er manchmal mit den Jungs unter einer Decke. Im Rückblick ist das schon ziemlich komisch."

Als 18-Jährige zog Maja aus der Jugendwohnung aus. "Martin war immer supernett. Er hat einfach sehr viel für uns getan", sagt sie. Dass er ein Mörder ist, sei für sie "nicht zu fassen".

Im Jahr 2008 habe er seinen Job bei der Jugendhilfe verloren. Weil seine Chefs erfahren hätten, dass gegen ihn ermittelt wurde.

Die Hamburger Polizei und Staatsanwaltschaft haben von seinen Neigungen zu Jungen erstmals vor sechs Jahren erfahren. Eine Mutter zeigte ihn an, weil er sich an zwei sechs und acht Jahre alten Jungen vergangen haben soll. Das Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs gegen ihn wurde 2005 eröffnet, aber gegen Zahlung von 1800 Euro wieder eingestellt. Das Gericht begründete dies damit, dass die Tat sich am "unteren Ende der Strafbarkeit" befände.

Ein Jahr später verhandelte das Amtsgericht Harburg gegen ihn wegen versuchter Erpressung. Erneut gab es einen Zusammenhang zur Pädophilie. N. hatte von einem Bekannten aus Berlin 20 000 Euro gefordert, sonst würde er kinderpornografische Bilder aus dessen Besitz an den Arbeitgeber sowie die Ermittlungsbehörden weiterleiten. Martin N. wurde 2006 zu zehn Monaten auf Bewährung verurteilt.

"Seitdem hat Martin N. nach unseren Erkenntnissen unauffällig in Hamburg gelebt", sagt der Hamburger Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers. "Er gilt als sozial unauffällig, nett, hilfsbereit, zurückhaltend, akkurat und intelligent. Ein nach außen normales Leben, das ihm ermöglichte, ein Doppelleben zu führen", sagt der Soko-Chef Erftenbeck.

Die Hamburger Nachbarn des mutmaßlichen Täters sind entsetzt. "Wenn ich mir überlege, dass ich Tür an Tür mit einem Mörder gewohnt habe, dann ist das der Horror", sagt Dieter Drogand, der im gleichen Haus wie Martin N. wohnt. Er habe nichts von der Verhaftung mitbekommen. N. sei zurückhaltend gewesen, hätte aber immer freundlich "Guten Tag" gesagt. "Der war ein Eigenbrötler", sagt Drogand.

Martin N. sitzt jetzt in einem Gefängnis in Niedersachsen ein. Noch in diesem Jahr soll er vor Gericht kommen. Er soll überrascht gewesen sein, als die Beamten ihn am vergangenen Mittwoch in Hamburg festgenommen haben. Soko-Chef Martin Erftenbeck sagt, dass N. mitgenommen gewirkt habe, als er von seinen Opfern gesprochen hat. In anderen Momenten sei Martin N. jedoch ruhig und völlig gefasst: "Seine seelische Verfassung ist nur schwer einzuschätzen."