Der Oldie-Sprayer OZ steht wieder vor Gericht. 19 weitere Fälle von Sachbeschädigung werden dem 61-Jährigen dieses Mal vorgeworfen.

Hamburg. Der Mann, um den es hier geht, der so viel dafür tut, überall in Hamburg sichtbar zu sein, wäre heute am liebsten unsichtbar. Abgeschirmt von den Fotografen, eskortiert ihn ein Tross von Sympathisanten. Sie geleiten Walter Fischer, besser bekannt unter dem Pseudonym OZ, wie einen Top-Politiker in Saal 0.10 des Amtsgerichts Barmbek.

Dort gibt es gleich Stress: Längst nicht alle Unterstützer des Graffiti-Sprayers haben einen Sitzplatz im winzigen Saal. Gut 50 Fürsprecher aus dem linkspolitischen Spektrum sind dem Aufruf "Free OZ" gefolgt. "Das ist echt traurig", mault einer. "Ich dachte, ich bin hier in Hamburg." Ein anderer regt an, man könne sich doch auf den Boden hocken - als sei eine Gerichtsverhandlung so etwas wie ein Soziologie-Seminar. Die Amtsrichterin beendet die Diskussion: "Alle, die stehen, raus."

Zweiter Reibungspunkt: Weil OZ sein Konterfei partout nicht veröffentlicht sehen will, verlangt er, dass zwei Gerichtszeichnerinnen ihre Stifte beiseitelegen. "Ich habe kein Interesse, gezeichnet zu werden", sagt der 61-Jährige. Erneut macht die Richterin kurzen Prozess. Antrag abgewiesen, entnervt stöhnt die OZ-Entourage auf.

Und so zieht sich der hagere, hohlwangige Mann mit den herunterhängenden Mundwinkeln den schwarzen Kapuzenpullover tief ins Gesicht, und auch die Sonnenbrille legt er nicht ab. Etwas verkniffen sieht er aus, der öffentliche Auftritt gefällt ihm erkennbar nicht. Seine Sprühereien soll zwar jeder sehen, zumal er die ganze Stadt mit seinem Kürzel "OZ" überzogen hat. Er selbst bevorzugt aber das Sprühen im Untergrund. Wäre da nur nicht die Justiz, die ihn in schöner Regelmäßigkeit ans Licht der Öffentlichkeit zerrt.

Diesmal sind es 19 Fälle von Sachbeschädigung, die ihm die Staatsanwältin nachweisen will. Sprühereien auf Mülleimern, Verteilerkästen, Ampelmasten, Häuserwänden, Brückenpfeilern, aber auch Kreidezeichnungen auf Gehwegplatten. Und, man mag es kaum glauben, das Hinterlassen eines St.-Pauli-Aufklebers "Gegen Rechts" auf einem Fahrkartenautomaten. Angeklagt ist außerdem ein Widerstand gegen einen Polizisten: OZ soll, als er einmal ertappt wurde, mit einer Spraydose vor dessen Gesicht herumgefuchtelt haben.

Die OZ-Fans lachen gehässig, sein Verteidiger Andreas Beuth nennt die Vorwürfe "absurd" und "grotesk". Gleichwohl dürfte es für OZ wieder eng werden: Zwar ist Sachbeschädigung durch Graffiti im Bereich der leichten Kriminalität angesiedelt und wird meist mit einer Geldstrafe geahndet. Weil OZ jedoch ein notorischer Wiederholungstäter ist, steht eine erneute Haftstrafe im Raum.

Denn OZ verbrachte schon acht Jahre seines Lebens wegen Sachbeschädigung hinter Gittern. Seit 1992 hat die Staatsanwaltschaft 71 Verfahren gegen den Graffiti-Oldie eingeleitet, der 120 000 Tags ("Zeichen"), vor allem Schriftzüge, Smileys und Spiralen, in Hamburg hinterlassen haben soll. Hier prangt "OZ" auf einer Häuserwand, da eine griffige Parole wie "Fuck the Norm" auf einem Müllereimer.

Zwar hat die Gerichtsbarkeit die komplette Sanktions-Bandbreite an dem 61-Jährigen durchexerziert. Er erhielt Geld-, Bewährungs- und Haftstrafen. Doch in seinem Fall stößt die Justiz an Grenzen: Denn der Graffiti-Oldie malt, ritzt und sprayt unverdrossen weiter - bis heute. Sein Mantra: "Ich kann aufhören, ich will aber nicht." Wohl wahr: Kurz nach Anklage-Erhebung im aktuellen Fall erwischte ihn die Polizei einmal mehr beim Sprayen. Und so wird die Justiz nicht müde, den 61-Jährigen vor Gericht zu bringen. Und OZ wird nicht müde, Gegenstände im öffentlichen Raum - je nach Perspektive - zu beschmieren oder zu verzieren.

Woher kommt das? Dieses Dauer-Anrennen gegen Wände, die Provokation der Staatsgewalt unter Entbehrung der eigenen Freiheit. Will da einer mehr gelten, als er eigentlich ist? OZ ist schon immer ein Einzelgänger gewesen. 1950 in Heidelberg geboren, wächst er im Heim auf, seine Eltern lernt er nie kennen. Später bricht er eine Gärtner-Lehre ab, trampt nach Asien und träumt von einem Leben in der Kopenhagener Hippie-Enklave Christiania. Ende der 80er-Jahre zieht er nach Hamburg, wo er 1992 erstmals wegen Sachbeschädigung zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt wird. Bis Ende der 90er erzählt er bei jeder Gelegenheit, er sei Halbjude, verfolgt von "Nazis" und Saubermännern. Es ist eine Welt, wie sie ihm gefällt. Schön übersichtlich und mit klarer Rollenverteilung.

Es gibt noch andere, an denen sich die Justiz die Zähne ausbeißt. Die Eppendorferin Christiane W., 44, etwa, die seit fünf Jahren einer Nachbarin nachstellt und sich schon zehnmal wegen Beleidigung vor Gericht verantworten musste. Die Frage nach Ultima-Ratio-Instrumenten wie Sicherungsverwahrung oder die zwangsweise Unterbringung in der Psychiatrie stellt sich in solchen Fällen nicht. OZ ist kein notorischer Gewalttäter und psychisch krank auch nicht, wenngleich ihm ein Gutachter in einem früheren Verfahren eine Funktionsstörung des Gehirns bescheinigte. "Er mag lästig sein", sagt Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers. "Aber die Gesellschaft muss mit ihm klarkommen."

Wieso klarkommen? OZ sei kein Schmierfink, sondern ein Künstler, sagt sein Verteidiger Andreas Beuth und wuchtet einen Bildband mit dem Titel "Hoch lebe der Sprühling" auf den Tisch. Der "Sprühling", das ist OZ. Einer, der Anerkennung, nicht Strafe verdiene, sagt Beuth. Einer, der die Stadt mit seinen Werken bereichere, ein künstlerisches Manifest gegen graue Beton-Ästhetik und Tristesse, untrennbar verbunden mit der urbanen Kultur. Und wurden nicht zuvor andere, der Züricher Harald Naegeli etwa, als Schmierer verunglimpft und an den juristischen Pranger gestellt, nur um Jahre später als Künstler rehabilitiert zu werden? Und lecken sich nicht Sammler die Finger nach Werken des Street-Art-Künstlers Banksy, der wie OZ sprüht, wo und wann es ihm gefällt? Für die einen mag OZ ein Unbelehrbarer sein. Für seine Fürsprecher ist er ein Unbeirrbarer.

Beuth hat ihn schon öfter verteidigt, es ist ihm eine Herzensangelegenheit, wie die Vertretung eines Angeklagten im Piraten-Prozess auch. Kein Wunder, dass er in linken Kreisen viele Sympathien hat. Beuth ist überzeugt, dass OZ Unrecht widerfährt und die Staatsanwaltschaft mit "zweierlei Maß misst". Wieder einmal. Erst 2006 hätten Beamte der Soko "Graffiti", die OZ zeitweise rund um die Uhr observierten, dafür gesorgt, dass er wegen Fluchtgefahr in U-Haft wanderte. Er habe keinen festen Wohnsitz, hieß es - das war falsch.

"Hier soll mit den Mitteln des Strafrechts ein unbequemer Querdenker aus dem Weg geräumt werden", sagt Beuth und fordert die Einstellung des Verfahrens. Bunte Sprühereien auf Nazi-Bunkern, Spiralen auf Verkehrsschildern, die tun niemand nix und außerdem sei OZ-Kunst Kult. In der Schanze etwa würden die Leute doch eher gucken, wenn eine Häuserfassade mal unbefleckt sei. Zudem könne von einer Straftat keine Rede sein, wenn OZ nur ein weiteres Tag auf einem ohnehin vollgeschmierten Verteilerkästen hinterlasse.

Es wird eine lange Schlacht vor Gericht. Sechs Verhandlungstage sind angesetzt, 33 Zeugen geladen. Die unendliche Geschichte wird wohl fortgesetzt - egal wie der Prozess ausgeht. "OZ lässt sich weder resozialisieren noch psychiatrisieren noch abschrecken", sagt Beuth. "Und er will seine Tätigkeit als Untergrund-Künstler nicht aufgeben."