Walter Scheuerl kandidiert bei der Bürgerschaftswahl auf der CDU-Liste. Eine Partei-Mitgliedschaft sei aber mit seinem Gewissen unvereinbar.

Winterhude. Ein bisschen fremd fühlt er sich offenbar noch. Als Walter Scheuerl Donnerstagmorgen zwischen Bürgermeister Christoph Ahlhaus und Parteichef Frank Schira im überfüllten Presseraum der CDU-Parteizentrale am Leinpfad Platz nimmt, wirkt er fast ein bisschen linkisch. Das kennt er sonst nicht, eingeschlossen zu sein in einer Partei. Doch kaum dass er zu sprechen beginnt - nachdem Schira von der Versöhnung des bürgerlichen Lagers geschwärmt hatte -, ist er ganz in seinem Element. "Ich werde mich weiter für die Schulpolitik einsetzen", sagt Scheuerl, "und jeder Hamburger hat jetzt die Möglichkeit, mir seine Stimme zu geben." In der kurzen Zeit bis zu den Neuwahlen sei die Gründung einer eigenen Partei nicht möglich gewesen. Und: Nur mit der CDU ist ein Einzug in die Bürgerschaft sicher. "Das ist besser, als gar nicht drin zu sein."

Scheuerl spricht klar und auf den Punkt. Das ist wichtig. Bürgermeister Ahlhaus hat nicht viel Zeit. Er muss gleich noch zum Termin mit der Bundeskanzlerin, die an diesem Tag Integrationsprojekte in Hamburg besucht. Doch die Einbindung des einstigen politischen Gegners, der nun als Gast im Leinpfad sitzt, ist kurz vor den Neuwahlen wichtig für seine politische Zukunft. "Ich freue mich, dass eine hoch kompetente und fachlich anerkannte Person die CDU unterstützt", sagt Ahlhaus. Walter Scheuerl habe für die Schulpolitik gekämpft, für die die CDU immer gestanden hat - bis zur Koalition mit der GAL. Beide CDU-Politiker bezeichnen die Schulreform als reinen "Koalitionskompromiss". Nach dem gescheiterten Volksentscheid habe die CDU die schulpolitische Kehrtwende eingeleitet. Scheuerls Kandidatur, so Ahlhaus, ist deshalb ein Signal, dass die CDU "wieder bei sich selbst" ist. "Die Bürgerlichen müssen zusammenhalten, nur so ist eine linke Mehrheit in Hamburg zu vermeiden", sagt der Bürgermeister.

Scheuerl hatte am späten Mittwochabend überraschend angekündigt, keine eigene Partei zu gründen , sondern auf der CDU-Liste als Parteiloser zu kandidieren. Einen Listenplatz unter den ersten zehn haben Ahlhaus und Schira ihm zugesichert. Außerdem umfangreiche Mitspracherechte in der christdemokratischen Bildungspolitik.

Versuch einer Rekonstruktion:

Sonntag, 1. Advent: Um 12.15 Uhr bekommt Scheuerl einen Anruf, dass die schwarz-grüne Koalition am Ende ist. Von diesem Moment an stehen die Mitstreiter der Volksinitiative "Wir wollen lernen" vor der Frage, ob die Gründung einer Wählergemeinschaft oder Partei bis zur vorgezogenen Wahl noch möglich ist. Scheuerl telefoniert mit seinen Vertrauenspersonen, er recherchiert Fristen für eine Parteigründung.

Montag, 29. November: Walter Scheuerl kündigt an, Anfang der darauffolgenden Woche eine Entscheidung zu verkünden.

Mittwoch, 1. Dezember: Walter Scheuerl bekommt einen Anruf von Ahlhaus, der um ein Treffen am Freitag bittet.

Donnerstag, 2. Dezember: Scheuerl bekommt einen Anruf von FDP-Generalsekretär Christian Lindner. Dieser bittet ihn, die FDP als freier Kandidat zu unterstützen. "Wir würden uns darüber sehr freuen", sagt Lindner und sichert ihm "alle Unterstützung aus Berlin" zu. Bereits seit Oktober hatte Scheuerl immer wieder ähnliche Anfragen der Hamburger Liberalen bekommen.

Freitag, 3. Dezember: Scheuerl und Ahlhaus treffen sich um 17.30 Uhr im Büro eines Bundestagsabgeordneten in der Innenstadt. Bewusst haben sie nicht das Rathaus gewählt, kein Abgeordneter soll sie zufällig sehen. Es geht um strategische Fragen, etwa eine Koalition von CDU und Scheuerls möglicher Wählergemeinschaft. Eine Kandidatur auf der CDU-Liste ist noch kein Thema. Nach einer knappen Stunde muss Ahlhaus das Treffen beenden. Die Weihnachtsbaum-Erleuchtung im US-Konsulat steht auf dem Terminplan.

Sonntag, 2. Advent: Scheuerl trifft sich mit drei seiner engsten Mitstreiter. Sie stellen fest, dass es mit einer Parteigründung zeitlich eng wird.

Montag, 6. Dezember: Am Abend erhält Scheuerl erneut einen Anruf von Ahlhaus, der um eine Fortsetzung des Gesprächs bittet. Auch FDP-Chef Salo meldet sich. Sie verabreden ein Treffen für den nächsten Tag.

Dienstag, 7. Dezember: Scheuerl bekommt in seiner Kanzlei Besuch von Salo - und sagt ab. "Die Chancen, mit der FDP in die Bürgerschaft zu kommen, sind zu gering", begründet er das später. Im Laufe des Tages wächst in ihm die Idee, das FDP-Modell, als Parteiloser zu kandidieren, auf die CDU zu übertragen. In seiner Nominierungsrede auf dem CDU-Parteitag erwähnt Ahlhaus Scheuerl mit keiner Silbe.

Mittwoch, 8. Dezember: Um 8 Uhr treffen sich Scheuerl und Ahlhaus wieder in dem Abgeordnetenbüro. Scheuerl schlägt das Modell der parteilosen Kandidatur vor. Man ist sich schnell einig. Nach eineinhalb Stunden geht Ahlhaus zu Schira ins Rathaus, kurz darauf bittet er Scheuerl telefonisch dazu. Die Vereinbarung steht. Schira unterrichtet seine Stellvertreter und den schulpolitischen Sprecher Marino Freistedt. Auch Scheuerl informiert seine engsten Mitstreiter. Für 19 Uhr ist ein Plenum von "Wir wollen lernen" im Restaurant Mediterano in der Altstadt angesetzt. Nach vierstündiger Diskussion gibt es lauten Beifall. Bis auf wenige Gegenstimmen sind alle für diese Lösung. Die Parteigründung ist vom Tisch.

Donnerstag, 9. Dezember : Um 10 Uhr treten Ahlhaus, Schira und Scheuerl vor die Presse. Scheuerl macht noch einmal deutlich, dass es ihm lieber gewesen wäre, mit einer eigenen Partei in den Wahlkampf zu ziehen. "Das ist aber personell und organisatorisch nicht möglich." Man habe kein Strohfeuer abbrennen wollen, um anschließend feststellen zu müssen, dass man nicht handlungsfähig sei. Zwar sei er von der CDU "bitter enttäuscht worden", deshalb könne er sich auch keine Parteimitgliedschaft vorstellen. "Das kann ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren." Aber er vertraue jetzt darauf, dass die CDU ihren Kurswechsel in der Schulpolitik durchhalte.

Selbstbewusst gibt er seine inhaltlichen Vorstellungen zu Protokoll, etwa zur sprachlichen Frühförderung und zum Elternwahlrecht. Auch ein Lieblingsprojekt von Sozialsenator Dietrich Wersich, die Hortreform, sei mit ihm nicht machbar.

Und dann kommt ein Satz, der den beiden CDU-Frontmännern Ahlhaus und Schira besonders gut gefallen haben muss. "Wenn die aktive Mitarbeit in der CDU klappt, wird die Gründung einer Wählergemeinschaft oder einer Partei entbehrlich", sagt Scheuerl.

Ahlhaus entschuldigt sich - die Kanzlerin. Schira verschwindet in einen Nebenraum. Scheuerl bleibt, die politische Bühne gehört ihm.