Dr. Steffen Burkhardt, 33, ist Medienforscher an der Universität Hamburg.

Hamburger Abendblatt:

1. WikiLeaks-Gründer Assange sieht hinter seiner Festnahme eine Kampagne der US-Regierung. Halten Sie das für möglich?

Steffen Burkhardt:

Es wäre nicht die erste Kampagne der US-Regierung gegen Whistleblower, also Insider, die skandalöse Geheimnisse ausplaudern. Daniel Ellsberg, der 1971 die "Pentagon Papers" an die Presse gegeben hatte - Regierungsmemos zum Vietnamkrieg - wurde jahrelang verfolgt. Die US-Regierung versuchte, ihn für verrückt zu erklären und in einer geschlossenen Anstalt wegzusperren.

2. Der Haftbefehl lautet auf den Vorwurf der Vergewaltigung. Sind juristische Vorwürfe wegen der Enthüllungen nicht zu erwarten?

Burkhardt:

Die USA könnten Assange in Europa nicht wegen der WikiLeaks-Dokumente belangen. Grundsätzlich hat der Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit in Amerika einen hohen Stellenwert. Aber erste Politiker fordern nun, Assange unter Berufung auf ein Spionagegesetz von 1917, den Espionage Act, anzuklagen. Mögliche Anklagegründe wären illegale Aneignung oder Annahme von Staatseigentum.

3. Was für das eine Land Geheimnisverrat ist, dient dem anderen als wichtige Geheimdienstinformation. Ist eine Bewertung von Straftaten im Netz überhaupt möglich?

Burkhardt:

Der Umgang mit Geheimnisverrat unterscheidet sich nicht nur zwischen den Staaten. Auch nach Regierungswechseln ändert sich häufig die Bewertung. Das haben wir in Deutschland mehrfach erlebt. In den USA greift Präsident Obama jetzt juristisch härter durch als sein Vorgänger Bush. Man könnte das als Indiz werten, dass die Nerven blank liegen.

4. Hat mit den WikiLeaks-Enthüllungen eine neue Ära im Informationszeitalter begonnen, die auch ohne Assange seinen Lauf nimmt?

Burkhardt:

Definitiv. Deswegen ist gerade jetzt wieder Qualitätsjournalismus gefragt, der die Enthüllungen im Internet, unter denen viele Fälschungen sind, kompetent bewertet.

5. Es gab Hackerangriffe auf WikiLeaks-Server. Ist das die neue Art des Kampfes, so wie Computerviren gegen Irans Atomprogramm?

Burkhardt:

Der Ex-US-Verteidigungsminister Rumsfeld hat erklärt, dass moderne Kriege nicht mehr auf dem Schlachtfeld, sondern in den Medien geschlagen werden. Das Internet spielt eine zentrale Rolle, weil es weltweit Informationen, auch für Gegner, verfügbar macht. Amerikaner, Russen und Chinesen versuchen daher, das Netz in ihre Gewalt zu bringen. Es geht um viel mehr als Computerviren und Hacker. Es geht um Herrschaftswissen und Zugänge zum Wirtschaftskapital.