Der ewige Junge aus Italien feiert heute seinen 75. Geburtstag. Seit fast 50 Jahren ist der bekannte Künstler in Hamburg zu Hause.

Hamburg. Nackte Frauen, aus Bronze. Verwühlte Betten, in Öl auf Leinwand. Scampi, in Öl auf Linsen. Der Kosmos eines Künstlers, die wunderbare Welt des Bruno Bruni. So traumhaft surreal, fast wie gemalt. Er lebt und liebt in einem einzigen Raum, riesig groß. Früher eine Badeanstalt, heute die wohl privateste Kunstgalerie. Links oben auf der Empore arbeitet der Maler, Zeichner, Bildhauer oft schon früh morgens. Rechts oben schläft der Hausherr, oft schon früh abends. In der Küche, einst Duschraum für die Badegäste, tauchen heute nur noch Spaghetti in gesalzenes Wasser. "Für verrückt haben sie mich gehalten", sagt Bruno Bruni. Mitte der 80er, als er der Stadt das heruntergekommene Hallenbad anno 1870 abkaufte. Doch er ließ sich nicht beirren, renovierte ein Jahr lang, stopfte das Becken-Loch mit weißem Marmor. Er macht eben, was er sich in seinen Lockenkopf setzt, dieser "sture Germane aus Gradara", wie Freunde ihn nennen.

Der ewige Junge aus Italien feiert heute seinen 75. Geburtstag. Naja, feiern tut er streng genommen nicht, Geburtstage hält er für "unwichtig". Also tafelt Bruno Bruni in Madrid mit Ehefrau Marita, ein paar Vertrauten und seinem alten Malerfreund Eduardo Arroyo. "Der weiß immer alles besser. Aber trotzdem ist er der Einzige, mit dem ich über alles rede", sagt Bruno Bruni. Über Frauen, Boxen, Politik. Apropos, ein Geburtstagswunsch fällt ihm dann doch ein. "Dass dieser Berlusconi endlich abgesägt wird. Dann betrinke ich mich vor Freude."

Seit fast 50 Jahren ist er in Hamburg zu Hause, doch sein Herz wohnt immer noch in Italien. Auf dem Land bei Rimini, wo Bruno Bruni 1935 in eine Arbeiterfamilie und schwierige Zeiten hineingeboren wurde, als viertes Kind und zweiter Sohn. Das Foto des winzigen Elternhauses, des Bahnwärterhäuschens 134 ("So viele Kilometer war Bologna entfernt") mit einem Zimmer für die Eltern und einem für die Kinder, hängt in seiner Küche. Ein Bild, das die Erinnerung lebendig macht. An Vater Giovanni, den Schrankenwärter, der 1912 in Pforzheim für die Eisenbahn malochte, beim Koppeln zweier Waggons den Zeigefinger verlor und gleichzeitig in Deutschland die Liebe zu Wagner gewann.

Nicht ohne Folgen, denn die Erstgeborene, Brunos große Schwester, wurde Brunhilde getauft, aber bloß "Ilde" gerufen, der leichteren Aussprache wegen. Die Größte, wenn auch nur 1,52 Meter klein, sei die Mutter gewesen, "eine Mama wie aus dem Märchen", schwärmt der Sohn. Habe immer aus wenigen Zutaten viel gekocht, ganz oft Pizza di Pasqua, einen Kuchen aus Mehl, Eiern, Käse, Salz und Pfeffer. Sie setzte sich erst, wenn alle versorgt waren, der Mann und die mittlerweile fünf Kinder.

Der kleine Bruno, bei der Geburt mehr als vier Kilo kräftig, war das Sorgenkind, zart und zerbrechlich. "Deshalb schickte mich meine Mutter in die Kunstschule. Ich könne dann vielleicht eines Tages Porzellanmaler werden, meinte sie", sagt Bruno Bruni und zieht an seiner kubanischen Zigarre, Marke Montecristo No. 5. "Malen wurde meine Religion." Zumal er mit der katholischen Kirche - schon vor Jahren ist er ausgetreten - ohnehin nie etwas anfangen konnte, seine Geschwister auch nicht. Den Weg zur Wahrheit suchte er lieber in der Kunst und im Kommunismus.

Als 1997 die Gebeine seiner Ikone Che Guevara beerdigt werden, ist Bruno Bruni, als junger Mann in Italien Mitglied der Kommunistischen Partei, mit Frau und Sohn Matteo, heute 30, natürlich dabei. Schon morgens um 3 Uhr hätten sie auf dem Platz der Revolution in Havanna gestanden - lange bevor die ersten trauernden Kubaner dort aufgetaucht seien. Eine Serie von acht Bildern malte er anschließend über Che.

Ein politischer Mensch sei er immer noch, ein bisschen idealistisch vielleicht sogar, sagt er, während er Fenchel und Avocado zu einem Salat mischt. Kritiker, die ihm vorwerfen, früher habe er für wenig Geld Rosa Luxemburg gemalt und heute für viel Geld Luxusgeschöpfe, nimmt er nicht ernst. Überhaupt sei es ein Fluch mit diesen Feuilletonisten, diesen "Kunstbeamten", wie Bruni sie nennt, von denen er sich und sein Werk oft verkannt fühlt. "Ist egal - und doch nicht egal", sagt er mit Tempo und Temperament. Mit 75 sei er zu alt, um sich darüber zu ärgern. Dabei ist er ausgezeichnet, bekommt 1967, kurz nach seinem Studium an der Hamburger Kunsthochschule am Lerchenfeld, gemeinsam mit Otto Dix und Edgar Augustin den Lichtwark-Preis, erhält zehn Jahre später den internationalen Senefelder-Preis für Lithografie, die durch ihn hierzulande noch populärer wird.

Nach Hamburg kam Bruni über London, wo er in einem schäbigen Fish-and-Chips-Restaurant in Hamstead als Tellerwäscher jobbte und irgendwann "die Birgit" kennenlernte. "Ein Mädchen mit raspelkurzen Haaren und im Wesen so deutsch, wie ihr Name im Klang", sagt Bruno Bruni. Er folgt ihr in ihre Heimatstadt an der Elbe, bewirbt sich erfolgreich an der Kunsthochschule, mietet in St. Georg einen fensterlosen Heizungskeller ohne Toilette an. Wenn er muss, muss er aufs Bahnhofsklo. Die Kunsthochschule wird sein Zuhause, jeden Morgen ist der junge Italiener der Erste, abends der Letzte. "Eine tolle Zeit, mit schönen Studentinnen, die mir nackt Modell standen."

Bruno Bruni richtet die Scampi auf Linsen an, in der Küche duftet es nach Italien, nach Knoblauch und Kräutern. Kochen ist Brunis große Leidenschaft, gleich nach der Malerei. Ist eben auch eine Kunst. Bei "Das perfekte Promi-Dinner" auf Vox hat er die anderen vier Kandidaten abgekocht, mit perfekter Pasta und zartem Lamm. Ein Leibgericht, das er auch oft für Dariusz Michalczewski zubereitet hat. Ihn, den Panzer ohne Angst, hat er immer bekocht. Gleich nach dem Wiegen, ein Ritual bei 49 Kämpfen. "Boxen ist der schönste und korrupteste Sport", sagt Bruno Bruni und zeigt seine Sammlung verschiedener Boxhandschuhe, die von einer Stehlampe baumeln. Max Schmeling hat einen signiert, Dariusz, "der Tiger" aus Danzig, sein Freund und Trauzeuge, gleich mehrere.

Ja, die prominenten Freunde. Gerhard Schröder zählt auch dazu, urlaubte als Kanzler schon in Brunis Villa an der Adria, abgeschieden in den Bergen, 170 Meter über dem Meer. "Schröder-Freund", dieses medientaugliche Attribut mag Bruno Bruni, der neben prominenten Vertrauten oft als "Künstlerfreund" beschrieben wird, nicht mehr hören. "Ich habe den Gerd kennengelernt, da war der noch Juso-Vorsitzender." Anfang der 70er-Jahre war das, die Hamburger Linke saß im Cuneo, dem Wohnzimmer für Exil-Italiener in der Diaspora, auf dem Kiez zusammen.

Man diskutierte bei "Spaghetti con Selbstmitleid", wie die Zeitschrift "Konkret" damals leicht spöttelnd befand. Eines Abends brachten Freunde einen jungen Mann aus Hannover mit, Bruno Bruni fand den neuen Gast gleich sympathisch. Was bis heute gilt, auch umgekehrt. "Bruno ist ein Freund, der weiß, dass Freundschaft nichts mit gesellschaftlicher Stellung zu tun hat, sondern den Menschen meint - mit seinen Stärken und erst recht mit seinen Schwächen", schrieb der Altkanzler 2005 im Vorwort zu Bruno Brunis Buch "Gaumenfreuden und Kunstgenuss - meine Art zu leben". Und erst im Frühjahr eröffnete Schröder eine Bruni-Ausstellung in St. Petersburg.

Etwa zehn Bilder oder Skulpturen fertigt Bruno Bruni jedes Jahr. "Ein paar davon muss ich natürlich verkaufen. Die Malerei ist zwar meine Berufung, aber auch mein Beruf", sagt der Maler in Jeans, der seit 2002 mit seiner zweiten Frau Marita verheiratet ist, die er jedes Wochenende in Hannover besucht. In der Woche lebt er nur für die Kunst. "Wie sagt man im Deutschen? Eigenbrödler, oder? Das bin ich."

Nur nicht an Weihnachten. Da kommt die Familie zusammen. Marita, seine Frau, die eine Kunstgalerie in Hannover betreibt. Und Margrit, seine geschiedene Frau, eine Belgierin, mit der er mehr als 20 Jahre verheiratet war. Und natürlich die beiden Söhne aus dieser Ehe, Bruno Bruni jr., 32, ein Schauspieler, der in Hollywood Karriere macht und gerade in der US-Erfolgsserie "Lost" mitgespielt hat, und Matteo, der in Paris Psychologie studiert hat und jetzt in Berlin promoviert. Eigentlich findet Bruno Bruni Weihnachten ähnlich unwichtig wie Geburtstage. Aber trotzdem sind es Anlässe, um zu feiern - und zwar die hohe Kunst des Lebens.