Bruno Bruni ist eine geballte Mischung aus purer Lebensfreude, Fabulierkunst, Herzlichkeit und überströmendem italienischen Charme.

Hamburg. Was für eine wunderbare Welt! Der Hausherr in Jeans und Krawatte, die Ehefrau in Blei(stift), Amaryllis und Lilien in Öl, Nudeln in Speck, die Freud'sche Couch in Übergröße. Und das alles in einer ehemaligen Badeanstalt. Das gibt es nur bei ihm. Bruno Bruni, Maler, Zeichner und Bildhauer.

Eine geballte Mischung an purer Lebensfreude, Fabulierkunst, Herzlichkeit und überströmendem italienischen Charme ist er. Zu dem zorniges Wettern gehört wie ein Gewitter zum Sommer. Gegen Kunstkritiker, die die geschickte Vermarktung seiner Kunst Gebrauchs- oder Wandkunst für Wohn- und Wartezimmer nennen. Gegen die schreibende und fotografierende Zunft überhaupt. Die nicht kommen "für Bilder. Sondern für Klatsch. Ich bin Künstler. Der Rest ist uninteressant." Dass er ja eigentlich selbst ein Gesamtkunstwerk ist, eine gekonnte Selbstinszenierung nimmt er leicht grollend zur Kenntnis.

An dem langen Tisch in der Wohnhalle sitzen wir. Links oben auf der Empore malt er. Rechts oben schläft er. In der Mitte seine kostbare Bildersammlung von Dix, Grosz, Schlichter und anderen. Direkt neben uns die Freud'sche Couch auf einer Staffelei, die einen neuen Zyklus einleitet. Verwühlte, zerlebte, ungemachte Betten, die Verwegenes ahnen lassen. Von den langbeinigen ätherischen Frauengestalten sei er ab, sagt er. Und diese zwei verschiedenen Frauenschuhe vor der Couch in Öl? Sonst wäre sie doch nicht beim Psychiater gelandet, diese Frau, oder?, sagt er.

Bruno Bruni liebt nichts so sehr, wie sein Gegenüber aus den Augenwinkeln zu belauern. Eine Spinne im Netz, die auf ihr Opfer wartet. Und einwickelt. Und das kann er gut. Mit Geschichten. Vom Boxen. "Dem schönsten und korruptesten Sport überhaupt." Max Schmeling, Dariusz Michalszewski, die Klitschkobrüder. Vor allem Dariusz, der Freund, mit dem er sich oft bei Cuneo, seinem Stammrestaurant an der Davidstraße, traf. So wie mit all den anderen damals. Schauspieler, Künstler, der Jusovorsitzende Gerhard Schröder und dessen diverse Frauen. Früher. Denn jetzt geht er da nicht mehr hin. Zu viele Touristen. Dariusz, der Panzer ohne Angst, für den er vor jedem Kampf kochte. Gleich nach dem Wiegen, ein Ritual bei 49 Kämpfen. Diese Nacht auf der Reeperbahn. Der Zuhältertyp, der aus dem Ferrari steigt, an den Straßenrand pinkelt, ihn, Bruno Bruni, anpöbelt und dann Dariusz erkennt ... Und dieser grobschlächtige Russe, dieser Neandertaler? Findet er ihn gut? Nikolai Walujew, sagt Bruno Bruni, ein ganz gebildeter Mann. Anders als Tenöre. Die müssten singen können. Mehr nicht. Wie Pavarotti, sein Nachbar unten in Pesaro. Eine gute Stimme, aber wenig im Kopf. Der sei ja nun schon tot. Aber sein neuer Nachbar links, der Peruaner Diego Florez, der sehe gut aus, sei sein Freund, singe immer bei dem Rossinifestival in Pesaro. Müssen Maler auch schön sein? Was, fragt er zurück. Gucken Sie doch. Wir strahlen von innen. Und haben nur schöne Frauen. Seine beiden Ehefrauen seien wunderschön, auch die erste Frau, die ihm weggelaufen sei. Und nein, hinterhergelaufen sei er nicht. "Ich bin ein Italiener." Seine Geschwister kommen irgendwie ins Spiel. Die älteste Schwester, die Brunhilde heißt. Ausgerechnet, sagt er. Sein Vater sei damals Gastarbeiter in Deutschland gewesen, verkaufte Eiscreme und liebte Wagner. Später bei der Eisenbahn verlor er beim Züge zusammenkoppeln seinen Zeigefinger, und mit diesem Stumpf, so, sagt er und biegt den Finger ein, habe er immer den Kindern gedroht, wenn er sauer war. Der Vater, der 1916 zurück nach Italien gehen muss, im Ersten Weltkrieg gegen die Deutschen kämpft, in der Leistengegend verwundet wird. Zwei Zentimeter weiter links, sagt Bruno Bruni, und er wäre nicht geboren.

Wir wollten doch zusammen essen, sagt er und springt auf. Alles sei fertig, nur die Nudeln müssten noch in den Topf. Rotwein wird geöffnet, die Pfanne mit dem geschmorten geräucherten Speck, Tomaten, Zwiebeln und Schafskäse aus Pecorino kommt auf den Tisch. Pasta alla Matriciana. Ein Wintergericht. Wenn es ganz kalt in den Bergen ist. Oben in den Abruzzen. Das könne man auch im Restaurant essen, aber seins sei einfach besser. Wir machen noch einen kurzen Abstecher Richtung Olivenöl. Zu seinen neun Olivenbäumen. 200 Kilo im vergangenen November. Und 40 Liter Öl.

Seine Lust am Kochen ist aus Liebe entstanden, sagt er. Nach Hamburg sei er überhaupt auch aus Liebe gekommen. Zu einem Mädchen, ja. Die Liebe zu seiner Mutter also. Und dem Ort seiner Kindheit. Hier, dieses Foto an der Wand. In dem Haus, dem Bahnwärterhäuschen 134, "das ist die Entfernung zu Bologna in Kilometern", haben sie gelebt. Die Brunis. Der Vater war Schrankenwärter. Links oben das Schlafzimmer der Eltern, rechts der kleine Raum für die fünf Kinder. Unten die gute Stube mit der Flasche Fernet Branca in der Vitrine, dem bitteren Allheilmittel, das die Mutter löffelweise einsetzte, sobald die Kinder Bauchschmerzen hatten. Die Kinder mussten hinterm Haus spielen. Vorne rasten in knapp vier Meter Entfernung die Züge vorbei. Im Zehnminutentakt. Mailand-Bari. Bari-Mailand. Dann wackelte das ganze Haus. So. Brrrrrr. Als er mit siebzehn Jahren wegzieht, kann er nachts nicht schlafen. Das Wackeln fehlte. Sagt er. Der Bruno Bruni.

Die Kunstschule in Pesaro. Jeden Morgen um fünf steht er auf, geht mit seinen Freunden runter an den Hafen, wenn die Sonne über dem Meer aufgeht. Zeichnet. Weiß genau, dass das sein Beruf ist. "Malerei, unsere Religion." Als die erste seiner Landschaften in einem kleinen Laden hängt und verkauft wird ist er stolz. Als sie unlängst in einer Galerie hier in Hamburg auftaucht, ist er hingerissen.

Von früh morgens um sechs bis abends malt er hier. Eingeschlossen in diese Stille, die er liebt. Abends bricht er auf zu Franco, dem ehemaligen Kellner aus dem Cuneo. In das Restaurant von Pietro nach Eppendorf. Wenn die Rechnungen alle bezahlt, die Gäste gegangen sind, setzt sich Pietro zu ihm, holt die Karten raus. Scopa, Skat, zu zweit. Einsatz zehn Euro. Vier oder fünf Runden und dann ab in die Falle, sagt er.

Vom Rotwein, den wir trinken, will er erzählen. Bleibt bei diesem Bordeaux hängen, aus Piemont, für den er das Etikett gemalt hat. Und von dem nur der 2006er gut sei. Erstaunlich gut. Hier sehen Sie, diese Flasche. Aber den haben wir nicht getrunken. Welchen denn dann nur? Leise Töne kommen auch auf. Die Einsamkeit manchmal. Das Alter. Der jüngste Bruder tot, der Vater mit 73 gestorben, er selber bald 74, das sei also schon mal geschafft. Eine Tante 104 Jahre alt. Irgendwo dazwischen, das hätte er gern. Und immer weiter malen. Wie Matisse, der mit einem durch einen Besenstiel verlängerten Pinsel im Bett noch gemalt habe. Als Maler hat man keine Rente, sagt er. Aber er könne schon seit dreißig Jahren ganz gut davon leben. In sein Haus in Italien möchte er irgendwann vielleicht einmal ziehen. Das er vom Erlös seiner Bilder als Ruine gekauft und zu einer wunderschönen Villa ausgebaut hat. An der Adria. 170 Meter steil über dem Meer. Die Möwen von oben und Tomaten im Garten.

Halt, sagt er. Diese unheimlich schöne Liebesgeschichte müsse er noch eben erzählen. Die da unten passiert sei. Und nach der er eine Skulptur gemacht habe. Hier, diese aneinandergeschmiegten Körper in Bronze. Paolo und Francesca da Rimini. Das weltberühmte Liebespaar. Auch in Dantes Göttlicher Komödie. Gianciotto Malatesta, der Stadtvogt von Pesaro, böse, hässlich, humpelnd, mit einer wunderschönen Frau, Francesca, und seinem schönen Bruder, Paolo. Er erwischt die beiden im Bett, will den Bruder erstechen, seine Frau wirft sich dazwischen. Beide werden getötet und schmoren jetzt in der Hölle. Zwischen Prostituierten und Betrügern. Oder im ewigen Fegefeuer.

Das Essen ist vorbei. Eine Zigarre muss her. Und ganz viele weitere Geschichten. Die Beerdigung von Che Guevara, seinem Idol, zu der er mit Frau und Sohn nach Kuba fliegt. Frauen, die ihre Männer zum Wahnsinn treiben. "Meine nicht." Aber die von seinem Freund Renato. Die Diät aus hart gekochten Eiern und Mohrrüben, mit der er sechs Kilo abgenommen hat. Der Diätplan hängt noch an der Wand. Berlusconi, die Mafia. Dann geht nichts mehr rein in meinen Kopf. Der Aufbruch. Nein, sagt er. Noch nicht. Das dauere normalerweise fünf, sechs Stunden. Ein Essen mit ihm. Da wären noch so viele Geschichten. "Aber gut. Hier in mein Buch male ich Ihnen noch mal eben meine Nase rein. Und das da, ein Herz. Und heißt: mit Liebe für ..." Ach, Bruno Bruni.