Sie sind 16 bis 19 Jahre alt, nennen sich schwarze Haie und sehen Straßenschlachten als lustiges Abenteuer

Schanzenviertel. Sie treffen sich am frühen Abend beim Italiener auf St. Pauli. Ein Stück weg vom Schanzenfest, das im Anschluss an das Essen ihr Ziel ist. Sechs junge Männer und eine Frau. Alle schwarz gekleidet. Nicht mit Klamotten aus dem Billigmarkt.

In drei Rucksäcken und einer rot-schwarzen Puma-Tasche führen sie ihre "Waffen" mit: leere Glasflaschen, Chinaböller und ein paar Sixpacks Eier aus Bodenhaltung, die sie vor Wochen gekauft und extra nicht im Kühlschrank aufbewahrt hatten. Ihre beiden Kleinwagen, mit denen sie aus Flottbek, Othmarschen und Ottensen hergekommen sind, stehen sicher in der Tiefgarage an der Reeperbahn. Der jüngste der schwarzen Gang ist "fast 17", der älteste wird "bald 20", sagen sie.

Während sie Pizza und Pasta essen, Bier und Tomatensaft trinken, beratschlagen sie. Als sie satt sind, stimmen sie ab, ob sie sich "mit der Presse einlassen" sollen. Vier sind dafür, drei dagegen. Keine Enthaltungen.

Was sie sonst so machen, wenn nicht gerade Schanzenfest ist? Abi, Berufsschule, Zivildienst, Zeitarbeit, einer beginne demnächst mit dem Studium, antworten sie ziemlich wortkarg. Einer wohnt noch bei den Eltern, einer bei den Großeltern, die anderen in Wohngemeinschaften. In die Schanzen-Kneipen und Bars gehen sie oft. Und manchmal eben auch in die Rote Flora. Skaten, Wände bemalen, abhängen, sich "andere als die herkömmlichen" politischen Sichtweisen anhören. Aber Politik sei im Grunde gar nicht so ihr Ding. Trotzdem seien sie heute hier, weil sie für den "Erhalt der Roten Flora" kämpfen und gleichzeitig "dem staatlichen Überwachungs- und Kontrollanspruch" Paroli bieten wollen. Doch natürlich auch, weil sie jung sind, Abenteuer erleben und Spaß haben wollen, erklären sie. "Das hier wird heftiger als mein spannendstes Computerspiel", hofft Florian (alle Namen geändert). "Nennen Sie uns doch in Ihrer Geschichte 'die glorreichen Sieben', das wäre krass", sagt Joel, eine Kappe auf dem kurzen Haar, wenige Bartstoppeln unter der Nase und am Kinn.

"Auf in den Kampf, Genossen", sagt der Anführer der schwarzen Gang

Jeder zahlt für sich. Nina, das einzige Mädchen am Tisch, kennt den kürzesten Weg durch die Wohlwillstraße zum Neuen Pferdemarkt. Dort im Park Beim Grünen Jäger wollen sie erst mal gucken, wie sich die Sache heute Nacht so entwickelt. Sie wollen ganz am Rande des Schanzenfestes ausharren und warten. Denn wenn es losgeht, dann passiert dort als Erstes was. Wenn nämlich die Polizei von ihrem Hauptquartier am Heiligengeistfeld in Richtung Schanze abrückt und am Neuen Pferdemarkt auf die Demonstranten trifft. Dann stehen sie an vorderster Front. Diesmal wollen sie mitten drin sein statt wie in den Jahren zuvor nur dabei. "Wäre doch doof, wenn ich die Eier umsonst gekauft und vergammeln lassen hätte", sagt Nina, schwarz gefärbtes Haar, kurzer Rock, schwere Stiefel, deren drittes Schanzenfest dies ist. Sie erntet mit ihrem Spruch anerkennende Schulterklopfer und Lacher.

"Leute, das hier ist keine reine Spaßveranstaltung. Es geht um etwas. Also dann mal auf in den Kampf, Genossen", sagt Sascha. Der Anführer der Gruppe ist auch der älteste der Revoluzzer-Runde. Er ist groß wie ein Basketballspieler, hat ein kluges Gesicht, trägt eine frisch gewaschene Surferfrisur. Zudem schleppt er den schwersten Rucksack auf seinem Rücken. Den mit den Weinflaschen. Die anderen haben nur Bier. Aus dem Rucksack holt Sascha schwarze Tücher und Schals und verteilt sie. Kapuzenpullis oder Jacken mit Kapuzen haben sie alle bereits an. Unterwegs wird viel telefoniert. Sascha und seine Leute sammeln Informationen. Die meisten der Gleichgesinnten sind am Schulterblatt, rund um die Bühne vor der Roten Flora und im Park dahinter. "Je nach Verlauf der Straßenschlacht treffen wir die anderen später vielleicht an der Flora", sagt Sascha in die Runde. "Sind schon eine Menge Radaubrüder da. Schätze, die Bullen kriegen heute richtig was auf den Helm."

Auch im kleinen Park Beim Grünen Jäger und gegenüber auf der anderen Straßenseite in Höhe der Bar "Oktober" haben sich bereits ein paar Hundert Leute versammelt. Sie trinken Bier, Wein und Wodka, rauchen Joints und wippen im Takt der lauten Musik. Sie warten darauf, dass etwas passiert. Die selbst ernannten "glorreichen Sieben" fügen sich da nahtlos ein. "Wer den ersten Zivi entdeckt, dem drehe ich einen besonders fetten Joint", sagt Sascha. Kurz darauf entschließt er sich zu einem "Erkundungsgang durchs Kampfgebiet": "Ihr haltet hier die Stellung", befiehlt er den anderen.

Es dämmert bereits. Die Standbetreiber und Aussteller am Schulterblatt bauen so langsam ab. Kaum ein Auto parkt noch am Straßenrand. Immer mehr Vermummte dominieren das Straßenbild. Und die Aktivisten aus der Roten Flora haben längst ihre Späher ausgeschickt. Drinnen im besetzten Haus, in dem es teilweise zugeht wie im Bienenstock, holt sich Sascha Informationen über die Bewegungen der Polizei. "Die Staatsmacht schleicht sich schon durch die dunklen Seitengassen an", erklärt er.

Als gegen 21.15 Uhr im Florapark das erste Feuer brennt, die ersten Raketen aufsteigen und Böller krachen, reibt Sascha sich die Hände. "Es geht langsam los", sagt er, telefoniert, wärmt sich am Feuer, trinkt noch zwei Astra und trottet später mit entschlossenem Blick, Tuch vor dem Kinn, Kapuze auf dem Kopf, Schultern in Ohrenhöhe zurück zum Neuen Pferdemarkt. Vorbei an vielen meist fünf bis zehn Leute starken Gruppen junger Krawallmacher, an ein paar kleinen Feuern, die aus Holzkisten, Pappkartons und alten Klamottenbergen lodern. "Ich sehe das sehr gerne", sagt Sascha, als er eine Pause macht und an die Häuserwand pinkelt. "Leute mit spitz nach oben stehenden Kapuzen auf dem Kopf, die wie Finnen von Haien aussehen. Von schwarzen Haien."

Nina aus seiner Truppe ruft ihn an. Wo er denn bleibe. Die Polizei marschiere auf. Sascha legt einen Zahn zu. Wenig später sieht er, wie ein paar Randalierer Böller, bengalische Feuer, Flaschen und Steine auf die Polizei werfen. "Geht weg, geht weg", schreit eine Frau um die 40 von einem Fahrrad Vermummte an vorderster Front an. "Geht nach Hause, keine Gewalt", kreischt die aufgebrachte Radlerin.

Bald rücken Polizeihundertschaften, von Wasserwerfern und schwerem Räumgerät eskortiert, voran. Saschas Truppe steht hinter einer kleinen Barrikade, in Reichweite der Wasserwerfer. Ein paar ihrer Eier, Böller und leeren Flaschen landen auf dem Straßenpflaster weit vor den Polizeifüßen. Dann werden auch sie durch die geordnet und resolut vorrückende Polizeiübermacht abgedrängt. "Game over, scheiße, das ging ja wirklich viel schneller, als ich dachte", sagt Sascha sichtlich enttäuscht, bevor er und die anderen sechs in verschiedene Seitenstraßen, Häusereingänge oder Kneipen verschwinden. War doch nicht so glorreich, der Auftritt der Sieben.