Am 25. August will der gebürtige Heidelberger zum Ersten Bürgermeister Hamburgs gewählt werden. Das Abendblatt auf Spurensuche.

Hamburg. Wenn der Weg versperrt ist, hilft manchmal nur ein Durchbruch. Der Ort jedenfalls, in dem Christoph Ahlhaus aufwuchs, ist reichlich eng und von Bahngleisen zerteilt. Wenn ein Zug kommt, heißt es warten. Links und rechts wölben sich sanfte Hügel um den fließenden Neckar, hinter sorgfältig geschnittenen Rhododendren und schmiedeeisernen Toren ruhen Häuser in Hanglange. Hier, in seiner Heimat Schlierbach, einem gediegenen Ortsteil Heidelbergs, steht der CDU-Politiker als junger Student am geschlossenen Bahnübergang und lässt zum Protest seine Fahrradklingel schellen, wieder und wieder. Bis ein Anwohner aus dem Haus stürmt, in bestem Kurpfälzisch ruft: "Jetzt isch Schluss", Ahlhaus' Drahtesel packt und in die Büsche wirft.

Es ist nicht das letzte Mal, dass Hamburgs voraussichtlicher Bürgermeister in seiner Heimat Heidelberg vor Schranken steht, die er nicht öffnen kann. Doch er will sich nicht damit abfinden. Mit 24 Jahren sitzt er im Bezirksbeirat seines Stadtteils und kämpft dafür, dass endlich ein Tunnel unter der Bahnlinie gebaut werde, damit Feuerwehr und Krankenwagen seinen Heimatort ständig erreichen könnten. Auch als er längst in Hamburg angekommen ist: Im Juli 2003, als die Stadt immer noch keinen Zeitplan für den Bau des Tunnels vorlegen will, organisiert Ahlhaus einen Boykott der Sitzung des Bezirksbeirats, ein wohl einmaliger Vorgang in Heidelberg. Er verlässt mit seinen Anhängern den Raum. Der Vertreter der Stadt versucht "Ruhe in die emotional aufgeheizte Atmosphäre zu bringen", so ist es im Protokoll der Sitzung zu lesen. Anschließend lädt Ahlhaus ihn zum Bier ins Bürgerhaus ein. Er komme nur mit, wenn es auch Weißbier gebe, sagt der Gesandte erst. Er bleibt mehrere Stunden. Bis heute hat ihn der parteilose Mitarbeiter aus dem Heidelberger Rathaus in guter Erinnerung: "Der Ahlhaus kann gut zuhören - und der hält, was er verspricht." Er sei ein kollegialer Pragmatiker.

Leutselige Gemütlichkeit, auch mit politischen Gegnern, das ist das Fahrwasser von Christoph Ahlhaus. Er weiß, dass er im persönlichen Gespräch besser ankommt als auf der politischen Bühne, die ihn als wuchtigen CDU-Politiker erscheinen lässt. In kleiner Runde wirkt er feingeistiger, was auch an seiner Stimme liegt, die so viel zarter ist als sein Körperbau. In Heidelberg hat Ahlhaus nie ein wichtiges öffentliches Amt bekleidet. Er hat versucht, Bürgermeister zu werden. Oder wenigstens die für Umwelt zuständige Behörde zu leiten. Doch die Platzhirsche der CDU ließen ihn nicht nach vorne. Der Prophet habe es im eigenen Land eben etwas schwerer, sagt ein Weggefährte. Doch welche Politik predigte er in Heidelberg?

Der junge Ahlhaus ist vor allem ehrgeizig. Schon damals steht fest, dass er Berufspolitiker werden will. Das ist sein Tunnelblick. Mit 16 Jahren tritt er in die Junge Union ein. Seine Klassenkameraden auf dem Gymnasium nennen ihn "Bundeskanzler". "Er erinnerte schon damals an Helmut Kohl", sagt sein langjähriger Mitschüler und Freund Phillip Munzinger. Dann fügt er hinzu: "Auch von der Statur her." Er freue sich über seinen Aufstieg, "mir war und ist er ein verlässlicher und loyaler Freund".

Ahlhaus merkt schnell, dass Schlierbach, seine idyllische Heimat, politisch zu klein für ihn ist. Mit 20 Jahren ist er dort Vorsitzender des Ortsverbandes der CDU. Außer für den Rettungstunnel gibt es politisch dort nicht viel zu kämpfen. Keine Neubaugebiete, keine konfliktträchtige Industrie. Es ist ein Ort, an dem die Menschen gerne im Garten sitzen, ihren Goldfischteich pflegen und ganz zufrieden sind, so wie sie leben. Für einen ehrgeizigen Jungpolitiker ist das nicht eben dankbar. Ahlhaus lernt auch mit Niederlagen umzugehen. In den gegnerischen Parteien, bei der SPD und den Grünen, bleibt er ziemlich unbekannt. Erinnern kann sich jedenfalls niemand an ihn.

Ahlhaus fusioniert seinen Ortsverband mit dem in der Altstadt, um seinen Einfluss innerhalb der Partei zu vergrößern. Er grillt und besucht Vereinsfeste, um Kontakte zu knüpfen. "Chrischtoph", wie sie ihn hier nennen, sei ein patenter junger Kerl gewesen. Ahlhaus begibt sich auf Ochsentour, und so gibt es kaum ein Fest, bei dem er nicht dabei ist. Egal, wo er ist, immer hilft er beim Aufbauen und Abbauen, obwohl er gar nicht Mitglied ist. Und bis heute hat er sich kaum verändert, sagt ein Nachbar. Wenn er alle paar Wochen nach Schlierbach komme, dann grüße er freundlich. Obwohl jetzt natürlich alles anders ist, wenn der "Chrischtoph" mit seinen Personenschützern vorfährt.

Grill aufbauen, Grill abbauen: So funktioniert in Heidelberg das politische Geschäft. Dort, wo der Sommer länger dauert als im Norden und die Bratwürste frischer schmecken, werden Kontakte gern am Rost geknüpft. Neulich bot Ahlhaus der Hamburger GAL an, Grillfeste ihrer Mitglieder zu besuchen, um sie besser kennenzulernen. Nur dass die leicht irritiert dreinblickenden Großstadt-Grünen nicht so gerne grillen wie die Heidelberger. Das zeigt, wie unterschiedlich die politischen Welten sind, in denen Christoph Ahlhaus sich bewegt. Wer in Heidelberg etwas werden will, kommt an Nackensteaks und Thüringern nicht vorbei.

Im Norden ist es der übliche Weg für Jungpolitiker, in der Hochschulpolitik auf sich aufmerksam zu machen. In Heidelberg ist das kaum möglich, seit der AStA vor mehr als 30 Jahren abgeschafft wurde. Baden-württembergische Politiker befürchteten damals eine intellektuelle Brutstätte für RAF-Terroristen. Subversiv ist der Jungpolitiker Ahlhaus ohnehin nicht. Schon früh diskutiert er gerne mit älteren Menschen. Im gebügelten Hemd wirkt er zwar altmodisch und altklug, doch eher hilfsbereit als arrogant. Man erkenne ihn auch heute noch sofort, sagt sein damaliger Lehrer Otto Knüpfer: "Er wirkt fast alterslos, gell?" Schon damals sei Ahlhaus` politische Ausrichtung erkennbar gewesen, sagt der pensionierte Lehrer, der mit Poloshirt und Turnschuhen eher der Typ Lehrer ist, der Kumpelsein und strengen Anspruch mühelos verbinden kann. "Klar, konservativ war der schon, neue Gedanken hat er aber immer aufgenommen."

Wenige Schritte vom Neckar entfernt führt eine ausladende Treppe hinauf zu einem Portal, selbstbewusst trohnt ein vierstöckiges Gebäude darüber. Das Kurfürst-Friedrich-Gymnasium Heidelberg, 1546 gegründet, heute mit Sitz an den Neckarstaden, ist das Traditionsgymnasium. Altsprachlich. Humanistisch. Damals wie heute eine sehr gute Adresse. Hockey-AG, Schultheater, Frühjahrskonzert. Ans "KFG", wie die Schule genannt wird, gehen Kinder aus besser gestellten Heidelberger Familien. Rechtsanwaltssöhne und Arzttöchter. Akademikerkinder. Wie Ahlhaus, dessen Mutter Apothekerin ist, sein Vater ist Professor der Chemie. Vielleicht quält sich der Sohn deshalb durch den Chemie-Leistungskurs.

Er wächst mit einem älteren Bruder und einer älteren Schwester in einem mittelgroßen Haus als Nesthäkchen auf, mit Tanne im Garten und geputzten Steinen als Eingangsweg. Nicht weit ist der Neckar. Viele Menschen in Heidelberg leben in der Nähe vom Fluss, die Stadt zieht sich wie ein langes Band am Wasser entlang. Vielleicht hat sich Ahlhaus deshalb mehr Nähe zur Natur gewünscht und zieht bald von seiner Wohnung am Hafen in eine Villa in den Elbvororten.

Mit seinen Initialen A, C. steht er immer ganz oben auf den Klassenlisten, er ist die "Nummer 001" - doch er gehört sicher nicht zu den Coolen der Stufe. Fotos von einer Griechenlandreise in der elften Klasse zeigen einen bebrillten Jungen mit ordentlichem Kragen, der offenbar lieber im Hintergrund steht. Schrille Klamotten, zerzauste Haare - alles, was Schüler zur Abgrenzung von ihren Eltern verwenden, ist bei "Ahli" nicht zu finden. So nennen ihn seine Mitschüler. Ein Mädchenschwarm ist er nicht gerade.

Aber er ist kein Außenseiter: "Ich erinnere mich gern an den Christoph Ahlhaus", sagt Knüpfer, "er war selbstbewusst im Auftritt, konnte mit Jung und Alt diskutieren und war im Klassenverband sehr angesehen." Ja, so müsse das gewesen sein. Knüpfer fährt über seinen Bauch, stupst mit dem Zeigefinder seine Brille zurück auf die Nase. "Konstruktiv" sei er gewesen und hätte gute Ideen gehabt. Er war der, der auch mal was für andere ausgebügelt hat. Und Freunde? "Ja, in der Klasse war er schon gut gestellt, er saß jetzt nicht allein rum."

In den letzten drei Jahren seiner Schulzeit wird Ahlhaus zum Klassen- und später zum Stufensprecher gewählt. Schulsprecher wird er nicht. Auch wenn die Noten geheim seien, sagt sein damaliger Lehrer, er sei sicher "im oberen Drittel" gewesen. Sollte es jemals eine weniger erfreuliche Note gegeben haben, dann wohl in Sport.

Ahlhaus' Selbstporträt in der Abi-Zeitung ist schnell gefunden. Es hat einen förmlichen Briefkopf. Auf dem Foto daneben trägt "Ahli" als einziger Krawatte, kombiniert mit einem gestreiften Strickpulli. Seine Mitschüler zeigen sich mit Sonnebrille, Zigarette im Mundwinkel und wehendem Haar. Einige schreiben, sie müssten "mal schauen", was nach der Schule komme. Neben Theater und Musik existierten noch "andere Triebe", notiert ein Mädchen.

Bei Ahlhaus hingegen sitzt die Frisur - damals schon die gleiche wie heute. Bereits im selben Sommer beginnt er eine Banklehre in Heidelberg, danach will er Jura studieren. Bei der Bundeswehr wird Ahlhaus ausgemustert. Die Ärzte geben ihm ein "T 5": untauglich. 18 Monate gewinnt er so. So lange ist 1988 die Dienstzeit. Die Mauer steht noch.

In der wohl emotionalsten Passage seiner Selbstdarstellung, die eher an ein Sitzungsprotokoll erinnert als an eine muntere Abi-Zeitung, blickt er auf die Kursphase zurück: "Die letzten vier Jahre betreffend, muss ich jedoch sagen, dass der Schulbesuch auch viel Freude, vor allem durch sämtliche Freunde und Bekannte bereitet hat." Als "Ursache" hierfür sei vor allem die Griechenlandfahrt (11a) hervorgehoben, aber auch das Kurssystem ab der zwölften Klasse, "welches entgegen meiner Befürchtungen viele Bekannte zu Freunden machte". Er spricht von "guter Kameradschaft" und bietet an, künftig die Abi-Treffen zu koordinieren. Damit sichert er sich auch die Aufmerksamkeit seiner Klassenkameraden. "Für Ideen und Organisation späterer Aktivitäten unseres Jahrgangs stelle ich mich gerne zur Verfügung."

Ahlhaus ist der Jahrgangszuverlässige, wie ihn jede Stufe hat. Diese Eigenschaft fällt auch früh in der CDU auf. Während Ahlhaus nach außen eher unauffällig bleibt, arbeitet er sich in der Partei stückweise nach vorne.

Wer die Heidelberger Union kennenlernen will, muss den CDU-Bundestagsabgeordneten Karl Lamers treffen. Er ist 20 Jahre älter und sagt ziemlich stolz, dass Ahlhaus aus seiner "Talentschmiede" stamme. Lamers findet man in einem gediegenen Hotel am Wasser, wenn er gerade nicht in Berlin ist. Die Bedienung nickt und führt den Gast zu "seinem Platz": Ein runder Tisch im Restaurant, darüber ein Stillleben mit Blumen, hier sitzt der Verteidigungspolitiker mindestens einmal in der Woche. Randlose Brille, fülliger Körper, goldene Uhr: Ein bisschen ähneln sich Ahlhaus und sein politischer Förderer. Lamers bestellt Kaffee mit Süßstoff. "Mit meinem Süßstoff", sagt er. Die Bedienung bringt ein Döschen, auf dem "Dr. Karl Lamers" steht. Der Mann ist hier zu Hause.

Aufgefallen sei ihm der junge Ahlhaus schnell, stets informiert, "einer, den man nicht zum Jagen tragen" müsse. Lamers sorgt dafür, dass Ahlhaus bereits früh den Vorsitz des CDU-Ortsverbands Schlierbach bekommt. "Freundschaftstauglich" sei seine Politik gewesen, sagt Karl Lamers.

Ein politischer Querdenker ist Ahlhaus nicht. Inhaltliche Konflikte gibt es wenige mit dem 20 Jahre älteren Karl Lamers. "Ich bin ja auch ein Politiker, der zuhören kann, so wie Ahlhaus." Deshalb werde es mit den Grünen in Hamburg schon klappen. Lamers erzählt zum Beweis, er selbst habe kürzlich erst Demonstranten vor seiner Bürotür stehen gehabt, die gegen Atomkraft protestierten. "Natürlich habe ich deren Resolution persönlich entgegengenommen und mit ihnen gesprochen", sagt Lamers. Aber ob er nun für oder gegen Atomkraft sei? Lamers, ansonsten jovial, blickt strenger als sonst: "Mit Ja oder Nein antworte ich schon mal gar nicht." Der Mann ist lange im Geschäft.

Doch Lamers, von dem Ahlhaus so viel gelernt hat, ist gleichzeitig sein größtes Hindernis in Heidelberg. Er ist einer dieser Förderer, an denen der Schüler selbst nicht vorbeikommt. Seit 1994 hält er das Heidelberger Bundestagsmandat und punktet auch als Mitglied des Nato-Parlaments mit Verteidigungspolitik bei den Wählern. Lamers sagt: "Kann schon sein, dass es hier personell zu war".

Das merkt man auch heute noch. Über Schlierbach hinaus hat Ahlhaus keine großen Spuren hinterlassen. Erst jetzt lesen viele Bürger in großen Artikeln der Lokalpresse, "was aus dem Ahlhaus gworre isch". Und wundern sich ein wenig darüber, dass es bei dem Namen nicht sofort "plopp!" macht, wie ein Wirt aus der Altstadt sagt. Dabei schlägt hier das Herz der Stadt: grobes rötliches Kopfsteinpflaster, Häuschen mit Türmchen. "Ach ja, ich habe gelesen, dass er von hier kommt, aber den hab ich hier nie gesehen", sagt ein anderer Wirt, der seit 40 Jahren die beliebte Kneipe "Destille" betreibt. Die Altstadt sei zwar kein CDU-Revier. "Er hätt ja mal zum Bier vorbeikommen können", so ein weiterer Kneipier, "aber jetzt ist er ja Hamburger Bürgermeister, oder noch net?"

Wenige Schritte weiter auf dem Karlsplatz, gegenüber vom Gasthof "Zum eisernen Kreuz", steht in bester Lage das historische Haus der "Turnerschaft Ghibellinia". Diese schlagende Studentenverbindung ist seit einer Woche selbst in Hamburg wohl bekannt. Seit öffentlich wurde, dass Christoph Ahlhaus dort als Gastmitglied verkehrte, sind die Fensterläden geschlossen, um neugierige Journalisten abzuwehren. Einmal öffnen sich Fenster im oberen Stock, Burschenschafter rufen herunter: "Wir werden in der Öffentlichkeit eh falsch dargestellt."

Was auch daran liegen mag, dass die Ghibellinia mit der Öffentlichkeit so gut wie nicht kommuniziert. So ist weder bekannt, wie weit nach rechts das politische Spektrum der Turnerschaft geht, noch welche Fäden dort gesponnen werden. "In all den Jahren haben wir nichts Negatives über die Verbindung gehört", heißt es im Rathaus.

Der junge Ahlhaus jedenfalls versucht, über das Netzwerk der Studenten und ihrer Ehemaligen, der "Alten Herren", bekannter zu werden. Das ist nicht unüblich in der Heidelberger CDU. Der Oberbürgermeister Eckart Würzner ist Mitglied in der Corps Suevia. "Konservativ, aber politisch freundlich" sei diese Verbindung, heißt es in der CDU Heidelberg. Außerdem lerne man dort "tolle junge Menschen kennen, die sich für Politik interessieren". Im Namen der CDU bieten "Alte Herren" auch Besucherführungen in die Burschenschaften an. "Mitläufer" sind willkommen, heißt es auf einer Ankündigung - ein Scherz, der in Hamburg sicherlich nicht gut ankommen würde.

In Heidelberg sehen viele Bürger die Studentenverbindungen ein bisschen so, als wären sie Segelvereine. Rund drei Dutzend gibt es hier, etwa fünf Prozent der 30 000 Studierenden sind Mitglieder. Man hört, als Verbindungsstudent habe man weniger Ärger mit der Polizei, die auch mal "fünfe grade sein" lasse.

Die Ghibellinia ist eine schlagende Verbindung. Und sie fechten "tief", das bedeutet: Beim Fechten tragen einige Mitglieder im Gesicht Narben davon, sogenannte "Schmisse. Ahlhaus hat bei der Ghibellinia nie eine Waffe in der Hand gehabt. Als Gastmitglied knüpft er Kontakte und hält Vorträge. Und er nutzt die Gelegenheit, sich in ganz Heidelberg bekannt zu machen. Anlass ist das Mai-Singen, eine uralte Tradition, nach der sämtliche Heidelberger Burschenschafter singend zum Stadtschloss marschieren. Weil es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit linken Gegendemonstranten kam, hat die Stadt das Mai-Singen schließlich verboten.

Ahlhaus fordert öffentlichkeitswirksam, diese Tradition wieder zu beleben. Schließlich sei die Gewalt nicht von den Burschenschaftern ausgegangen, sondern von den Demonstranten. Allerdings sind keinesfalls alle Burschenschaften gemäßigt: Einige führen sogar noch Nazigrößen in ihren Mitgliedslisten und werden vom Verfassungsschutz beobachtet. Als am Volkstrauertag linke Gruppen und der Gewerkschaftsbund gegen "Heldenverehrung" protestieren, sagt Ahlhaus: "Rote Fahnen und Flugblätter gehören ebenso wenig auf den Friedhof wie Rechts- und Linksextremisten in die Stadt."

Damit gerät Ahlhaus zwar in die Schlagzeilen der Lokalpresse. Aber die entscheidende Tür für seine Karriere öffnet sich nicht. Ahlhaus macht sein Staatsexamen, geht als Referendar nach New York, ist kurzfristig als Anwalt tätig. Sein Ziehvater Karl Lamers steht zu ihm. 1999, mit 30 Jahren, leitet Ahlhaus den Kommunalwahlkampf der Heidelberger CDU. Er setzt auf knappe Slogans auf den Wahlplakaten. "Solche, an denen kein Autofahrer vorbeikommt", erzählt Lamers. Auf seiner Homepage steht: "Kraft. Hoffnung. Zuversicht".

Die gewinnt Ahlhaus in Heidelberg nicht mehr: Er will der Stadt den Rücken kehren und schreibt seine entscheidende Bewerbung. Die freie Stelle ist in Hamburg: Landesgeschäftsführer der CDU. Kurz darauf klingelt bei Lamers das Telefon, Hamburgs CDU-Chef Dirk Fischer ist dran. Die Bewerbung von "so einem Herrn Ahlhaus" habe er auf dem Tisch liegen, habe Fischer gesagt; und gefragt, was das denn für einer sei? Lamers macht eine Pause und lächelt väterlich, bevor er weitererzählt. Er habe Fischer geantwortet: "Der ist uneingeschränkt tauglich als Person, auch wenn ich dann meinen besten Mann verliere." Damit beginnt im Jahr 2001 Ahlhaus' schnelle Karriere in der Hamburger CDU: 2004 wird er Bürgerschaftsabgeordneter, 2006 Staatsrat in der Innenbehörde, 2007 übernimmt er als Vorsitzender den Kreisverband Hamburg-Nord. Nur ein Jahr später wird er Senator. In Hamburg steht niemand seiner Karriere im Weg. Doch aus Heidelberg verfolgten einige neidische Augen seinen Weg. "Als der Innensenator wurde, haben wir schon gelacht", sagt ein Christdemokrat.

Noch ein paar Jahre vorher hatte er einen Beitrag in einer Fachzeitschrift für öffentliche Verwaltung veröffentlicht. Thema: Bürgerbeteiligung in der "schlanken Stadt". Darin sind wohl auch eigene frustrierende Erfahrungen eingeflossen. Er plädiert dafür, beratende Stadtteilvertretungen abzuschaffen, sollten sich diese in "Beteiligungsritualen" erschöpfen. In einem solchen Gremium, dem Bezirksbeirat, saß er selber schließlich jahrelang.

Der Tunnel in Schlierenbach ist noch immer nicht gebaut. Wenn Ahlhaus nach Hause fährt, um seine Eltern zu besuchen, muss der Dienstwagen öfter mal stehen bleiben und warten. Vielleicht blickt Ahlhaus dann links in die Büsche und denkt an sein altes Fahrrad.