Zehn Jahre Engagement in Afghanistan: Die Taliban haben letztlich gesiegt

Im Jahre 1992 sorgte der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama mit einer steilen These für Aufsehen. Fukuyama erklärte das "Ende der Geschichte" und meinte damit, dass mit dem Niedergang des Sowjetkommunismus der endgültige Siegeszug des liberalen, christlich-westlichen Wertesystems weltweit gesichert sei. Eine Welt ohne Widersprüche sei eine Welt ohne "Geschichte" im herkömmlichen Sinne.

Inzwischen hat sich der Amerikaner schmerzhaft korrigieren und einräumen müssen, dass er das Erstarken eines anderen Gegenpols nicht vorhergesehen hat: des Islams, vor allem seiner militanten Mutation.

Wie unvereinbar rigide islamische Gesellschaften, zudem eingewebt in archaische Traditionen, und der westliche Wertekanon sind, zeigt das Beispiel Afghanistan eindrucksvoll. Ein volles Jahrzehnt westlichen Engagements mit einem finanziellen Aufwand im Multimilliardenbereich ist verstrichen - und die Afghanen halten umso vehementer an ihrem Lebensstil fest, der uns ebenso fremd ist wie ihnen der unsere.

Der blutige Aufruhr um die Verbrennung einiger Koran-Exemplare zeigt zum einen, dass die US-Soldaten im elften Jahr ihrer Mission ihr Einsatzland noch immer nicht verstanden haben. Dabei ist es doch ganz einfach: Für gläubige Muslime ist der Koran das direkte Wort Gottes, ihrem Propheten Mohammed übermittelt vom Erzengel Gabriel. So etwas wirft man nicht ins Feuer wie eine alte Zeitung.

Der Vorfall demonstriert aber auch, wie leicht es den Taliban inzwischen fällt - unterstützt darin ausgerechnet vom afghanischen Präsidenten Karsai -, Teile des Volkes in rasende Wut gegen den Westen zu versetzen. Wir reden von den Taliban, jenen Fanatikern, die kleine Mädchen in ihren Schulen verbrennen, wenn sie Lesen und Schreiben lernen wollen. Die Frauen auf die Funktion von Nutzvieh reduzieren. Diese Taliban haben ihren Einfluss in den vergangenen Jahren massiv ausgeweitet. Der hastige Rückzug der westlichen Armeen ist das Eingeständnis, dass die Taliban letztlich gesiegt haben, dass weite Teile des afghanischen Volkes den Radikalislamisten mehr vertrauen als Amerikanern oder Europäern. Der ursprüngliche Anspruch Washingtons, hier eine pluralistische Demokratie zu installieren, ist längst in sich zusammengefallen. Manche Regionen haben eben ihre eigene Entwicklungsgeschwindigkeit; und es ist keineswegs gesichert, dass sie am Ende ein Zivilisationsmodell erreichen, das unseren Wünschen entspricht. Dies gilt im Besonderen für die islamische Welt, aber auch für China.

Das zehnjährige Engagement der Bundeswehr, die nun vorzeitig aus dem Standort Talokan flüchten musste, hat viel Gutes getan, aber nicht zu bewirken vermocht, dass sich dieafghanische Gesellschaft reformiert.

Sie hat bereits die Armeen von Persern, Griechen, Arabern, Türken, Indern, Briten, Russen und anderen Eroberervölkern kommen und gehen sehen. Ihre Traditionen, zu denen eine archaische Islamauslegung, eine in sich zersplitterte Stammesgesellschaft, ausgeprägte Korruption und ein waffenstarrendes Mannesbild gehören, sind seit Jahrhunderten kaum verändert. Für eine pluralistische Demokratie ist derzeit kein Platz.

Und es wird Zeit, dass der Westen aus Afghanistan abzieht. Wer nun meint, dies sei zu gefährlich, denn der Hindukusch könne sich zu einem Hort islamistischen Terrors entwickeln, der sei daran erinnert, dass die Attentäter des 11. September aus Saudi-Arabien stammten. Und dass die Rückzugsgebiete von al-Qaida vor allem in Pakistan liegen. Beide sind offiziell Verbündete des Westens im Kampf gegen den Terrorismus. Das "Ende der Geschichte" ist noch lange nicht in Sicht. Wichtiger, als andere Völker bekehren zu wollen, ist es, unsere Werte hierzulande gegen Erosion zu verteidigen.