Um 12 Uhr stand die Stadt still. Vor dem Laden, in dem Suleyman Tasköprü erschossen wurde, kamen dagegen nur drei Menschen zusammen.

Hamburg. Drei Männer lehnen an einem silberfarbenen Kleinwagen und blicken still auf die Schaufenster eines Fahrradgeschäftes, vor dem ungeachtet des landesweiten Aufrufes zu einer Schweigeminute um Punkt 12 Uhr ein Verkaufsgespräch stattfindet: So sah das Gedenken an jenem Ort in der Schützenstraße (Bahrenfeld) aus, an dem die Mörder der Zwickauer Terrorzelle am 27. Juni 2001, als das Fahrradgeschäft noch ein Gemüseladen war, den damals 31-jährigen Händler Süleyman Tasköprü erschossen. Eine Minute zuvor, um 11.59 Uhr war ein morscher Ast von einem Baum auf den Gehweg gefallen und hatte fast einen der anwesenden Kameraleute getroffen, die gehofft hatten, hier eindrucksvollere Bilder des Protestes gegen rechte Gewalt drehen zu können. Anderenorts stand das öffentliche Leben still: Am Flughafen gab es Lautsprecherdurchsagen, an den Bahnhöfen hielten die Züge außerplanmäßig für eine Minute an, auch Elbfähren, die bereits hätten abfahren sollen, blieben einen Moment länger vertäut.

Im Rathaus gedachten die Abgeordneten der Bürgerschaft der zehn Opfer des NSU. Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit sagte: "Dass in Deutschland wieder Menschen umgebracht werden, weil sie einer bestimmten Nationalität oder einer bestimmten Religion angehören, das hätte man nicht für möglich gehalten, und es macht tief betroffen. Unsere Betroffenheit schließt auch diejenigen ein, die sich der Gewalt entgegenstellen und dabei selbst Schaden nehmen, wie die Polizistin, die noch am Anfang ihres Lebens stand, als sie im Dienst von einem Kopfschuss tödlich getroffen wurde." In der Rathausdiele fand ein öffentliches Gedenken statt.

Der Landtag in Kiel unterbrach seine Sitzung ebenfalls für die Schweigeminute. "Es ist ein Zeichen, dass Deutschland so etwas nicht duldet", sagte der Landtagspräsident Torsten Geerdts. Die Täter hätten gemordet, weil sie meinten, die Opfer gehörten nicht zur Gesellschaft der Bundesrepublik. "Sie hatten unrecht", so Geerdts.

So verlief die zentrale Gedenkveranstaltung in Berlin:

"Wir durften nicht einmal Opfer sein"

In St. Georg läuteten um 12 Uhr die Kirchenglocken. Im Gedenken an die Opfer rechter Gewalt bildeten Mitarbeitende und Leitende des Kirchenkreises Hamburg-Ost eine Menschenkette zwischen ihren Verwaltungsgebäuden im Steindamm und der Danziger Straße. Mit dem Slogan "Kirche Gegen Rechts" setzten mehr als 100 Mitmachende ein Zeichen für Vielfalt und Offenheit. Geschwiegen und gedacht wurde auch in zahlreichen Firmengebäuden: Unter anderem hatten die Energieversorger E.on und Vattenfall ihre Mitarbeiter zum Schweigen aufgerufen, ebenso die Polizei, Stadtreinigung und die Axel Springer AG. An vielen Schulen unterbrachen die Lehrer den Unterricht, auch an der Universität stand der Betrieb für einen Moment weitgehend still. Viele Kirchen und Moscheen hatten ihre Türen für Betende geöffnet.

Uli Wachholtz, Präsident des Unternehmensverbandes Nord, sagte: "Gemeinsam mit unseren Sozialpartnern verurteilen wir Fremdenhass, Rassismus und rechtsextreme Gewalt, und wir signalisieren allen, die dieses Zeichen nicht verstehen wollen, dass wir in den Betrieben wachsam bleiben."

Der DGB-Vorsitzende Uwe Grund wertete die Solidarität der Hamburger als "beeindruckendes Zeichen." Grund: "Wenn wir heute schweigen, sind wir nicht ohne Stimme. Wir sagen Nein zu Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Antisemitismus. Und wir verlangen höchste Wachsamkeit unserer Sicherheitsorgane."

Walter Busch war einer der drei Hamburger, die der Opfer am Tatort in der Schützenstraße gedachten. Er sagte: "Es ist mir fast unangenehm, dass mein Vertrauen in die Arbeit unserer Sicherheitsbehörden einmal so groß war, dass ich nicht für möglich hielt, die Morde könnten von Rechtsextremisten begangen worden sein. Schade, dass sich hier nur drei Leute eingefunden haben."