Ortstermin auf der Peute, wo einst Genossenschaften produzierten und jetzt kreative Menschen leben. Folgt der Abriss oder ein Museumslager?

Hamburg. Wenn er könnte, sagt Felix Siewert, dann würde er am liebsten einen Architekten beauftragen und genau hier eine Dachterrasse planen lassen. Der 32-jährige Toningenieur steht auf dem Dach eines riesigen, historischen Fabrik-Komplexes auf der Peute, wo er mit Freunden ein Tonstudio betreibt. Ganz nahe erscheinen hier die Kirchtürme der Stadt, die Elbphilharmonie und der Fernsehturm. Der Blick fällt auf Binnenschiffe am Ufer der Norderelbe. Möwengeschrei mischt sich mit dem Rauschen der Autobahn. Und mit knirschenden, polternden Geräuschen unterhalb von Siewert, wo schwere Bagger über Schutthügel rollen. Und die haben viel damit zu tun, dass die Idee mit der Dachterrasse wohl ein Traum bleiben wird.

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Mit scherenartigen Greifarmen knacken die schweren Geräte dort die ersten Gebäude des historischen Backstein-Ensembles weg. Abriss droht auch vielen anderen Teilen der Anlage, die vom Denkmalschutzamt als denkmalwürdig anerkannt ist. Dennoch gab es eine Zustimmung zu ersten Abrissen. "Mit Bauchschmerzen - aber über mögliche weitere Abbrüche wird noch geredet", sagt Enno Isermann, Sprecher der Kulturbehörde. Eine vorsichtige Beschreibung eines Streits, der zwischen Denkmalschützern und der Hafenverwaltung Hamburg Port Authority (HPA) derzeit ausgefochten wird. Wie berichtet, geht es dabei um einen Fabrik- und Lagerkomplex an der Peutestraße 24 im Stadtteil Veddel. "Auf der Peute", wie es allgemein heißt, wenn es um diesen Teil der Elbinsel Wilhelmsburg zwischen Norder- und Süderelbe geht. Kanäle durchziehen das Areal, das im Wesentlichen von der Kupfer-Affinerie Aurubis, der einstigen "Affi", belegt ist.

In den Jahren 1925 bis 1927 wurde der Komplex von der Bauhütte Bauwohl gebaut. Eine dunkelrote Backstein-Anlage aus mehreren Gebäuden, einem Heizkraftwerk und Garagenanlagen. Mehr als 1,2 Millionen Klinker wurden hier verbaut und einer der ersten Bauten in Stahlbetonskelett-Bauweise entstand hier. Von "wuchtigen Pfeilerfassaden, kubischen Baukörpern und monumentaler Wirkung" spricht das Denkmalschutzamt, das dem Ensemble eine "hohe stadt- und sozialgeschichtliche Bedeutung" zuspricht. Tatsächlich repräsentiert die bisher weitgehend erhaltene Gesamtanlage einen Teil der Arbeitergeschichte Hamburgs. Hier produzierte die Genossenschaft Großeinkaufsgesellschaft Deutscher Consumvereine (GEG) Körperpflegemittel, Waschpulver und Konserven, um sie direkt ohne Zwischenhandel an die Genossenschaftsmitglieder zu verkaufen. Die Konsumgesellschaften waren eine Erscheinung der Industrialisierung in Deutschland. Mit dem Genossenschaftsprinzip wollten sich die Mitglieder aus der Abhängigkeit des teuren Handels befreien. Die Genossenschaften kauften im großen Stil ein, um günstig Waren zu bekommen. Und sie produzierten wie an der Peutestraße auch selbst. Der Verkauf erfolgte meist gegen Barzahlung, die Überschüsse wurden rückvergütet. Unter den Nazis wurden die traditionell den Gewerkschaften nahestehenden Genossenschaften gleichgeschaltet, nach dem Krieg lebte die Idee wieder auf - doch die Produktion von Eigenmarken trat immer mehr in den Hintergrund.

Zuletzt gehörte der Komplex einer Immobiliengesellschaft, die ihn zum 1. Januar 2010 an die Hamburg Port Authority (HPA) verkaufte. Die plant für das Areal im Hafengebiet den Bau und die spätere Vermietung von modernen Logistikhallen. Das prägende mittlere Backsteingebäude soll dabei als einziges erhalten bleiben, heißt es bei der HPA. Zur Brandschutzsanierung müsse es allerdings komplett entkernt werden. Derzeit verhandelt die Kulturbehörde mit der HPA, ob dort eine Art Zentrallager für die Hamburger Museen eingerichtet werden könnte. "Die Hamburger Museen benötigen dringend Platz für ein zentrales Depot für ihre Ausstellungsstücke. Hier wären Teile des Geländes Peutestraße eine Möglichkeit. Dies setzt jedoch auch voraus, dass im Haushalt Mittel hierfür zur Verfügung gestellt werden. Darum bemühen wir uns parallel", sagt Behördensprecher Isermann.

Für den Stadtplaner Rolf Kellner vom Büro "überNormalNull", das sich schon viel mit der städtebaulichen Geschichte Veddels befasst hat, wäre das die ideale Kombination. Eine Art Kulturlager und Platz für junge Unternehmen aus der Kreativbranche. Und das in einem denkmalwürdigen Fabrikkomplex, der weithin als "Landmarke" auch sichtbar wäre, wie Kellner sagt

Doch noch sind solche Visionen nur vage Ideen, noch stehen die Abrisspläne auf der Tagesordnung und Toningenieur Siewert und viele andere Inhaber kleinerer Betriebe vor einer unsicheren Zukunft. Mit zwei Freunden hat er in den vergangenen sechs Jahren sein gesamte Geld in den Ausbau einer Etage investiert und ein Tonstudio aufgebaut, in dem professionelle Produktionen, aber auch Aufnahmen für junge Hamburger Newcomerbands stattfinden. Künstler nutzen die Etage für Ausstellungen, in einem Kochstudio werden Kochshows gedreht. Und es sind nicht die einzigen Unternehmungen einer oft jungen Kreativbranche, die neben üblichen Lagerbetrieben in dem Fabrikareal eine Nische gefunden hatten - und denen nun gekündigt wurde. 2006 etwa zogen Dirk Weyer, 29, und Florian Grill, 31, in eines der Gebäude, die die HPA wohl abreißen lässt.

Beide Fotografen hatten sich gerade selbstständig gemacht, bauten ein Atelier für Mode- und Produktfotografie auf. Die Fabrikwände bei ihnen im dritten Stock sind weiß gestrichen, lackierte Holzpaletten bilden eine Treppe zu einer Empore, durch die hohen Fenster fällt der Blick auf Hafenkanäle. Nachbarn waren bis vor Kurzem ebenfalls Künstler, Designer oder Unternehmen aus der Filmbranche. "Hier entstand gerade eine kreative Blüte, eigentlich viel besser und mit viel mehr Platz als im Gängeviertel", sagt Grill. Jenseits der teueren Innenstadtlagen gab es hier eben die Möglichkeiten, für günstige Mieten viel Raum für Ideen zu bekommen. Zwar gab es für beide nach der Kündigung auch Angebote der städtischen Kreativgesellschaft. Doch die waren nur als Zwischenlösung für zwei Jahre gedacht. "Wir brauchen aber eine Perspektive", sagt Weyer. Und nun? Beide zucken mit den Schultern.

Auch Toningenieur Siewert weiß nicht weiter. Es ist bereits das dritte Mal, dass das kreative Studio-Trio vertrieben wurde, wie Siewert sagt. Erst aus Altona, wo neu gebaut wurde. Dann aus der Neustadt, wo neu gebaut wurde. Und nun aus dem Hafen. Jetzt überlegen Siewert und seine Mitstreiter, ganz aus Hamburg wegzugehen. "Vielleicht kaufen wir uns eine Scheune auf dem Land. Oder wir gehen nach Berlin - dort gibt es mehr Platz für Unternehmen wie uns." Vielleicht kann er dann seinen Traum von der Dachterrasse wahrmachen - auch wenn er dann nicht mehr auf die Türme Hamburgs schauen kann.