Der Großreeder spricht über eine traurige Realität: Reeder mit Sorgen, Schiffsfinanzierer ohne Kapital. Privatwirtschaft oder rettender Staat?

Hamburg. Gemütlich ist es hier. Ein altes Sofa steht am Eingang, gegenüber ein kleiner Tresen, an dem man Flaschenbier und Limonade kaufen kann. Gut 80 Zuhörer füllen den schlauchförmigen Raum bis fast auf den letzten Quadratmeter. Wer keinen Sitzplatz hat, steht oder hockt am Boden.

"Kultwerk West" heißt dieser Veranstaltungsort an der Kleinen Freiheit nahe der Reeperbahn, eine Begegnungsstätte, betrieben von einem gemeinnützigen Verein. An diesem Abend begegnen hier wirtschaftsinteressierte Bürger der Realität einer Branche, die Hamburg prägt wie keine andere. Es ist eine traurige Realität. "Reeder mit Sorgen, Schiffsfinanzierer ohne Kapital. Privatwirtschaft oder rettender Staat?", lautet das Thema.

Vor den Zuhörern sitzen der Hamburger Großreeder Erck Rickmers, der Deutsche-Schiffsbank-Chef Werner Weimann und die Journalistin Meite Thiede. Die Moderatorin Sigrid Berenberg hat sich gründlich vorbereitet und kommt schnell zum Punkt: "Was will man mit all den Containerschiffen, die zwischen 2006 und 2009 in Auftrag gegeben wurden, Herr Rickmers", fragt sie und erwartet Antworten darauf, warum Hamburgs Reeder so tief in die Schifffahrtskrise hineingefahren sind - und mit ihnen Abertausende Kapitalanleger in Schiffsfonds.

Rickmers, Gründer und Chef des Unternehmens Nordcapital und der Reederei E.R. Schiffahrt, windet sich. Er breitet die Weltwirtschaftskrise zur Erklärung aus und die riesigen Summen an "billigem Geld", das zuvor viele Jahre lang weltweit nach Anlagemöglichkeiten gesucht habe, auch in Fonds für neue Schiffe.

Dann aber übt er, zu dessen Flotte unter anderem 73 Containerschiffe zählen, auch Selbstkritik, die man seit Beginn der Wirtschaftskrise von keinem Hamburger Reeder gehört hat - jedenfalls nicht öffentlich: "Ich glaube, dass wir in den vielen Jahren, in denen die Schifffahrtskonjunktur gut lief, etwas zu unvorsichtig geworden sind. Viele Teilnehmer am Markt haben ignoriert, dass die Schifffahrt eine zyklische Branche ist."

In den vergangenen zwei Jahren ist die Branche so stark abgestürzt wie noch nie in jüngerer Zeit. Etliche Anleger fragen sich, was aus ihrem Geld am Schiffsmarkt wird angesichts riesiger Überkapazitäten und Hunderter Schiffe ohne Ladung.

Rickmers fordert staatliche Unterstützung für die Schifffahrt, um die Krise zu überwinden, Kredite und Bürgschaften etwa aus dem Deutschlandfonds: "Mir geht es dabei vor allem um Hunderte kleine und mittelgroße Reedereien in Deutschland, die diese Hilfe brauchen", sagt er. "Unser eigenes Unternehmen ist bis Ende 2011 durchfinanziert."

Man kann sich kaum einen absurderen Ort vorstellen, um von Schifffahrtsprofis tiefere Einsichten über die schwerste Schifffahrtskrise seit Jahrzehnten zu hören. Doch dass sich Rickmers öffentlich und vor Publikum überhaupt äußert, spricht für ihn. Keinen der anderen Hamburger Branchenriesen, die so gern Milliardensummen um die Welt bewegen, hat man während dieser Krise auf offener Bühne gesehen.

Auch Claus-Peter Offen nicht, der im Herbst vergebens um staatlich gestützte Kredite gebeten hatte. So muss denn Rickmers ran, in dicker Luft und aller Enge am Rande der Reeperbahn.