Verantwortlich für die Kostüm-Entwürfe ist Reto Tuchschmid. Neben Optik ist Bewegungsfreiheit oberstes Gebot.

Er nimmt ihn mit Humor. Diesen einen Satz, der seine Entwürfe spontan und ohne Diskussion zunichte macht. "It's not my Geschmack" lautet dieser Satz, den Reto Tuchschmid (33) von Regisseurin Jani Walsh-Weber selten, aber schon einmal zu hören bekommt, wenn der Kostümdesigner ihr seine Entwürfe für eine neue Show schickt. "Dann heißt es, Kompromisse zu finden", sagt der gebürtige Schweizer und lacht. Diese Kompromisse machen Tuchschmids Entwürfe jedoch noch lange nicht zu gängiger Ware von der Stange: Gerade arbeitet er an 380 ausgefallenen Kostümen für die "Best of Musical Gala 2010".

Die Brandstwiete in der Hamburger Altstadt: Im hinteren Teil des Ladens von Schneider- und Gewandmeister Klaus Frech (40)führt eine schmale Holztreppe in den ersten Stock. Es ist das Portal in eine andere Welt: Heraus aus den edlen Herrenanzügen in gedeckten Farben, den dazu passenden Krawatten und Manschettenknöpfen, hinein in die schrille Bühnenwelt mit Glitter, Lack und Tüll. Und das, obwohl hier nur die Herrenkostüme der Show geschneidert werden.

"Ich liebe Korsagen für Männer", sagt Tuchschmid, und betrachtet das Kostüm eines Tänzers des Musicals "Pippin" auf einer Schneiderpuppe. Schwarz glänzend, eng anliegend, viel vom durchtrainierten Körper des Tänzers, der bald darin stecken wird, preisgebend. Gut aussehen ist hier allerdings nur die halbe Miete: "Was das Designen von Musical-Kostümen so spannend macht, ist, dass zur Optik die absolute Bewegungsfreiheit für die Darsteller dazukommen muss", sagt Tuchschmid. Und es muss immer praktisch gedacht werden: Wegen extrem schneller Kostümwechsel zwischen zwei Szenen tragen die Darsteller schon einmal mehrere Schichten übereinander - die dann nach und nach fallen. "Klettverschlüsse und Druckknöpfe sind unsere besten Freunde", sagt Tuchschmid, und er und Klaus Frech verdrehen gespielt die Augen.

Auf einer langen Kleiderstange hängen kurze Schottenröcke neben schwarzen Netzshirts: Das Outfit für das Musical "We will rock you". Daneben werden die Kleidungsstücke asymmetrisch und grün - ein untrügerisches Zeichen für das Stück "Wicked - Die Hexen von Oz". Tuchschmid: "Für viele Kostüme gibt es klare Vorlagen, zum Beispiel bei allen Disney-Stücken. Bei anderen Musicals, die lange nicht auf der Bühne waren, habe ich mehr Freiheiten."

Generell, so Tuchschmid, gelten auf einer Tournee andere Gesetze als bei einer festen Produktion vor Ort: "Die Kostüme werden durch den ständigen Transport viel mehr beansprucht. Und wir müssen uns um eine ganz andere Logistik kümmern: Als Erstes in jeder neuen Stadt rufen wir etwa das Staatstheater an, um nach einer guten Reinigung und einem guten Schuster zu fragen." Anderes bleibt gleich: So sind auch bei der Tournee alle Kostüme mit den Namen der Darsteller gekennzeichnet, und in den Kantinen gilt die in allen Musicaltheatern gleichlautende Anweisung: "No costumes, no wigs" - Keine Kostüme, keine Perücken.

Zehn Wochen hatten Klaus Frech und seine Mitarbeiter für die 48 Herrenkostüme Zeit, die bei ihnen entstehen. Mindestens drei Meter Stoff haben sie dabei pro Kostüm verwendet. Frech: "Bei der Damenschneiderei in Düsseldorf war das sicherlich noch mehr." Jetzt fiebern er und Reto Tuchschmid dem 28. Dezember entgegen. Dann ist Probenbeginn in den Cinegate Studios in Wandsbek, wo bis zum Tourneestart eine Bühne aufgebaut wird und wo vom 28. bis zum 31. Dezember die Anproben der Kostüme laufen.

Änderungen gibt es immer. "Ich habe mich schon darauf eingestellt, mit den Darstellern Silvester auf der Bühne zu feiern", sagt Tuchschmid und zuckt mit den Achseln. Hauptsache, die ganz große Schere wird nicht wieder ausgepackt. Mit der war mal, in der Hand einer Regisseurin, mangels Bewegungsfreiheit ein Rokoko-Reifrock Stück für Stück gekürzt worden. Bis es schließlich ein Minirock war.