Seit das Internet die Welt erobert, wandeln sich auch Beziehungen. Tapetenwechsel analysiert die Vor- und Nachteile.

Clara ist beliebt. Clara hat 300 Freunde. Clara ist auf 214 Fotos zu sehen und hat schon 23 Alben angelegt. Clara wird täglich 102-mal besucht. Dabei ist Clara den ganzen Tag allein. Wie kann das angehen, wenn man so viele Freunde hat wie ein ganzes Dorf Einwohner? Wo sind die 300 Kontakte, die ihr Herzen und knuffige Bärchen auf die Pinnwand posten? Die Freunde, mit denen das letzte Wochenende ja soooo geil war und die sie super-mega-ober-doll lieb haben?

Tapetenwechsel will herausfinden: PROFILieren wir uns nur über unsere Freunde oder leben wir noch?

Circa 20 Millionen Menschen in Deutschland nutzen Netzwerke wie Facebook und Schüler-, Studi-, Mein-, Dein- und Sonst-wie-VZ. Auch Twitter ist auf dem Vormarsch, Webseiten wie Xing oder Lokalisten sind ebenfalls auf den Zug aufgesprungen, den Facebook seit 2004 fährt. "Soziale Netzwerke" nennen sie sich, und Netzwerke sind es sicherlich. Ob das Wort "sozial" in diesem Zusammenhang passend ist, ist eine andere Frage. Denn durch den Feldzug des Internets in all seinen Formen und Farben (Blau bis Pink) scheint gerade das Soziale auf der Strecke zu bleiben. Der Begriff der Freundschaft hat sich rapide gewandelt, Werte wie Loyalität und Vertrauen kommen mehr und mehr unter die Räder. Oberflächlichkeiten, belanglose Plaudereien in 140 Zeichen. Es geht um: "Sehen und gesehen werden". Dabei werden intime Informationen für jeden sichtbar - ist das Freundschaft 2.0?

Nicht unbedingt, denn diese Internetportale sind zwar auf jeden Fall eine kostengünstige und praktische Kommunikationsmöglichkeit. Manche Leute hätte man sonst möglicherweise nie wieder gesehen, denn der Kontakt wird durch ein globales Post-it-System vereinfacht. Leider werden jedoch diese Netzwerke übermäßig als Profilierungsgrundlage missbraucht.

Sind diese 300 "Freunde" wirklich für einen da? Interessiert deine Mitmenschen, dass du am Wochenende auf fünf Partys gewesen bist? Wollen und sollen das andere, zum Teil fremde Leute, überhaupt wissen? Oder machst du dich unbewusst zum Opfer der Öffentlichkeit? Stellst du dich bloß dar? Oder stellst du dich vielleicht sogar bloß? Nur weil man alle seine Gefühle und Ansichten der Welt preisgibt, entsteht doch nicht automatisch eine intakte zwischenmenschliche Bindung.

Claras Statusnachricht lautet: "Völlig am Ende. Ich kann nicht mehr", ihre 300 virtuellen Freunde lesen es. Doch es klingelt nicht ein einziges Mal das Telefon, keiner nimmt Clara in den Arm, weil keiner den Schritt aus dem "sozialen Netzwerk" bis zur Haustür schafft. Es ist eben doch nur eine elektronische Verbindung in einer Welt, die unser Ego pushen, uns zur Queen oder zum King des Netzwerks machen soll. Es ist ein Werkzeug, mit dem man sinnvoll Kontakte halten, aber auch die Bedeutung dieser Kontakte verspielen kann.

"Wirklich gute Freunde sind Menschen, die uns ganz genau kennen und trotzdem zu uns halten", sagte einst die Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach. Mal ehrlich: Dieses Zitat trifft doch auf die wenigsten der 300 "Freunde" zu.

Was wäre das simple Gegenmittel gegen diese Inflation auf dem Freundschaftsmarkt: einfach alle leeren Freundschaften löschen oder neu beleben.

Man darf aber nicht vergessen, dass es auch hinter der Fassade von Facebook und dem VZ Netzwerk echte Freunde gibt, die aufrichtig sind und sich für dich interessieren. Solche Kontakte muss man sorgfältiger pflegen als das eigene Profil. Ein tolles Album vom letzten gemeinsamen Urlaub mit Unterschriften, die titeln, wie toll die Zeit und wie großartig der Freund ist, mögen eine Freundschaft zwar kurzzeitig beleben, lassen sie aber nicht zwangsläufig überleben. Natürlich wollen wir modern und hip sein. Und natürlich wollen wir möglichst schnell und möglichst einfach, immer und überall bestens über das rege Treiben in unserer Clique informiert sein. Doch genau so wollen wir wahre Freundschaften und Menschen, die hinter uns stehen. Und das alles außerhalb einer Welt aus Schall und Rauch.