Henning Bieger fordert, dass ein Berater-Gremiun die Baubehörde beraten soll, um weitere Bausünden zu verhindern.

Nach der Debatte um die Rettung des Gängeviertels fordern Hamburger Architektur-Experten ein generelles Umdenken. "Wir dürfen die Gestaltung der Innenstadt nicht länger vorwiegend profitorientierten Investoren überlassen", sagt Henning Bieger, Vizepräsident der Hamburgischen Architektenkammer und ehemaliger Baudezernent im Bezirk Hamburg-Nord. "Die Stadtentwicklungsbehörde sollte ein Gremium aus Experten einrichten, das den Überblick über die gesamte Stadt hat und bei der Planung größerer Baumaßnahmen zu Rate gezogen wird." Denn er befürchtet, dass die Stadt unwiederbringlich ihr Gesicht verliere: Überall würden Gebäudekomplexe aus dem Boden gestampft. Jeder Quadratmeter werde zugebaut, historische Bauwerke würden durch Häuser ersetzt, die immer größer und höher würden als die, die einst an ihrer Stelle standen. Klammheimlich verschwinde so das ein oder andere Zeugnis der Vergangenheit - wie etwa die Pfeilerbahn, ein wichtiges Denkmal der Hamburger Verkehrsgeschichte.

Grundsätzlich sei gegen eine städtebauliche Verdichtung nichts einzuwenden, sie müsse aber kontrolliert geschehen, sagt Bieger. Bevor ein Grundstück verkauft werde, müsse geklärt werden, was an dieser Stelle verträglich sei. "Sind die Investoren erst einmal am Zug, ist es oft zu spät", sagt auch Architekturhistoriker Gert Kähler. "Das war in der Vergangenheit so und wird auch jetzt gerade an verschiedenen Stellen in der Stadt deutlich."

Der Rest des Gängeviertels - einst der Stadtorganismus Hamburgs - sei mehr oder weniger zufällig vor einer "Verballhornung", so Bieger, "gerettet worden". "Die historischen Fassaden wären teilweise erhalten geblieben", sagt der Experte, "aber wahrscheinlich mit Glasaufbauten gekrönt worden".

Problematisch sei auch, wenn die Sicht auf wichtige Gebäude zugebaut würde. "Der Michel ist schon vor Jahren größtenteils hinter einem Büroturm verschwunden." Ein nicht mehr rückgängig zu machender Fehler, aus dem jedoch niemand gelernt habe. Der Hauptkirche St. Katharinen drohe jetzt ein ähnliches Schicksal: Die achtgeschossigen Neubauten des dort geplanten Katharinenquartiers werden den Blick auf die Kirche versperren und das Viertel noch stärker von der Innenstadt abschotten. "Hier hätte sich die Stadt mit der Grundstückssituation auseinandersetzen müssen, bevor der Investor ins Boot geholt wurde", sagen Bieger und Kähler. Statt die Bebauung einem einzigen Unternehmen zu überlassen, hätte das Grundstück aufgeteilt werden müssen. "Mit verschiedenen Baugemeinschaften wäre eine Vielfalt entstanden, die der Kleinteiligkeit und der Atmosphäre des Viertels entsprochen hätte", so die Experten.

Auch das denkmalgeschützte ehemalige Unileverhaus bleibt von der unkontrollierten städtebaulichen Verdichtung nicht verschont: Es wird von einem sieben- bis neungeschossigen Gebäudekomplex eingemauert, in dem Wohnungen und ein Hotel geplant sind. "Auf höchst unsensible Weise wird diesem 60er-Jahre-Relikt das logische Umfeld entzogen, das es als Solitär braucht", sagt Henning Bieger. Die Staatsoper wird ebenfalls bedrängt: Das neue Metropolishaus werde nicht nur viel breiter, sondern mit acht Geschossen auch weitaus höher als das Kontorhaus, das früher hier stand. "So etwas macht man einfach nicht", sagt Gert Kähler. "Bei prominenten Gebäuden wie Oper, Theater und Rathaus gilt eine gewisse Kleiderordnung. Denen rückt man nicht so dicht auf die Pelle." Weitere Beispiele sei das Spiegel- und das IBM-Haus. Dort sind ebenfalls hohe Neubauten geplant, welche die Sicht auf die Speicherstadt versperren werden. "Wir können von Investoren nicht erwarten, dass sie sensibel mit der Hamburger Geschichte umgehen", sagt Architekturhistoriker Kähler. Das sei auch nicht deren Job - sondern der des geforderten Expertengremiums. Solche Planungskomitees hätten bereits äußerst erfolgreich Berlin, Regensburg und Salzburg beim Städtebau beraten. Sogar unter Fritz Schumacher, der vor 100 Jahren Oberbaudirektor in Hamburg wurde, habe es eine Baupflegekommission gegeben, die in Kontakt mit der Öffentlichkeit stand. Daraus seien damals Regularien entstanden, die - etwa für das Rathaus - heute noch Gültigkeit hätten.

Jetzt gelte es, in der Innenstadt den Maßstab für die nächsten Jahrzehnte festzulegen. Bevor sensible Bereiche bebaut würden, müsste in einer öffentlichen Debatte darüber abgestimmt werden.