Das letzte Mal, als Hamburger Architekten sich mit einem offenen Brief energisch und vor allem gemeinsam für etwas einsetzten, ging es im August 2003 um den Bau der Elbphilharmonie, den sie euphorisch von der Stadt einforderten, nachdem die ersten spektakulären Entwürfe für das Konzerthaus veröffentlicht wurden.

Was das in der Hansestadt auslöste, ist bekannt.

Gestern Vormittag war es wieder so weit, allerdings unter ganz anderen Vorzeichen: Zum Thema Gängeviertel verbündeten sich in den letzten zehn Tagen rund 150 Architekten, Stadtplaner und Ingenieure, um gegen den Umgang des Senats mit dem historischen Quartier zu protestieren. Sie fordern eine Lösung, die das Viertel für die Künstler unter Einbeziehung ihres Nutzungskonzepts dauerhaft sichert. In dem Appell heißt es auch: "Hamburg braucht Erinnerung. Die Reste des Gängeviertels bilden ein Ensemble aus drei Jahrhunderten Baukultur. Hamburg braucht Platz für Kulturschaffende, für innovatives Milieu. Eine Stadt braucht Vielfalt."

Die Unterzeichner schlossen sich damit der Protestwelle an, die aus verschiedenen Stadtteilen und aus verschiedenen Argumentationsrichtungen auf die Verantwortlichen im Senat zurollt. Zur Verlautbarung dieses offenen Briefs kamen neben dem Architekten und Denkmalschützer Horst von Bassewitz auch Michel-Hauptpastor Alexander Röder ins Gängeviertel, das zu seiner Gemeinde gehört und ihm schon deswegen am Seelsorger-Herzen liegt. Ein deutliches Zeichen der Solidarität.

Hubert von Bassewitz wurde sehr deutlich bei seiner Empörung über die Senatspolitik, er prangerte die Ignoranz städtischer Organe gegenüber historischer Bausubstanz an. In einer Hansestadt wie Lübeck würde sich der ausgeprägte Bürgerstolz einen derartigen Umgang nicht gefallen lassen, wetterte er.

"Warum stellt sich der Investor nicht der Diskussion, wenn er ein reines Gewissen hat?", fragte von Bassewitz und fügte hinzu: "Hamburgs Finanzsituation wird durch das kleine Gängeviertel nicht besser oder schlechter." Die Stadt habe es jetzt in der Hand, diese "winzig kleine Insel" ihrer Geschichte zu retten.

Dass Oberbaudirektor Jörg Walter verboten worden sei, sich im Abendblatt mit einem Namensbeitrag zur Debatte zu äußern, bezeichnete er als "Maulkorb". "Was ist das für eine Stadt, in der solche Planungskultur herrscht?"

Röder erinnerte an die Auswirkungen auf das gesellschaftliche Gefüge in der Neustadt und dehnte diese Warnung auch auf andere betroffene Brennpunkte wie St. Pauli (Bernhard-Nocht-Quartier) aus. Auch im Hinblick auf die durchkommerzialisierten Hackeschen Höfe in Berlin-Mitte warnte er: "Es kann nicht sein, dass die Stadt Hamburg sich einen Touristenzoo schafft. Es muss auch darum gehen, dass gewachsenes Handwerk, Kunst und Wohnen hier erhalten bleiben." Joachim Reinig, Architekt und Sanierer des Michel, warnte vor einem "Gefühl der Ohnmacht", das entstehe, wenn soziale Strukturen in einem Viertel zerstört werden.

Architekt Heiko Donsbach, ein Unterstützer der Künstlerinitiative "Komm in die Gänge", ergänzte: "Hier ist eine Möglichkeit, etwas zu schaffen, was man überall sonst versäumt hat. Die Stadt ist dabei, das zu verschlafen."