In dem Buch “Das verlorene Symbol“ beschreibt Bestseller-Autor Dan Brown das Leben der Freimaurer. Wie sieht es wirklich aus?

Hamburg. Eigentlich darf hier niemand rein, noch nicht einmal die normalen Mitglieder dürfen es. Eigentlich. Michael Mittler jedoch, Meister der Loge "Absalom zu den drei Nesseln", hält Wort. "Alle Türen stehen offen", hatte der Diplom-Ingenieur versprochen. Einzige Bedingung: Fairness und vorurteilsfreies Denken. Nicht viel verlangt, um Zutritt zum Allerheiligsten zu erlangen. Schließlich gilt London als Geburts- und Hamburg als eine Hauptstadt der Freimaurerei. Und wer weiß schon, dass kein Geringerer als Friedrich der Große den hanseatischen Brüdern vor mehr als 270 Jahren Pate stand?

Also öffnet Mittler die schwere Holztür des Meistersaals ("Kleiner Tempel") im Logenhaus Welckerstraße 8 vis-à-vis der Staatsoper. Die Decke des großen Raumes wirkt wie der Himmel in klein: hellblaue Farbe, Sterne, Sonne, Mond. An der Stirnseite des Saals befinden sich gewaltige Säulen, wie in einem griechischen Tempel. Davor sind Pulte und Sessel logisch gruppiert. Nur wer Meister ist, also Lehr- und Gesellenjahre als Freimaurer absolviert hat, darf Platz nehmen.

Das Licht der Erkenntnis ist zu sehen, ebenso wie Winkelmaß und Zirkel, Symbole des ehrwürdigen Männerbundes mit Wurzeln in der Zunft der Dombaumeister des Mittelalters. Der erste Eindruck: alles hat Historie, Sinn und Stil, wirkt keinesfalls protzig, eher erhaben. "Wir sind kein Geheimbund", fährt Mittler fort, "aber eine verschwiegene Gemeinschaft." Auch an anderen Stellen birgt das von außen unscheinbare Gebäude nahe dem Gänsemarkt Überraschungen.

Im Foyer stehen eine antike Standuhr sowie ein altes Holzschränkchen als Aufbewahrungsort für eine noch ältere Bibel. An den Wänden hängen Ölgemälde hanseatischer Freimaurer, die Geschichte schrieben. Matthias Claudius und Carl Hagenbeck zählen dazu, Rathaus-Erbauer Martin Haller, der Bürgermeister Heinrich Kellinghusen und der Senator Johann Michael Hudtwalcker, Ernst Merck und Albert Gottlieb Methfessel. Letzterer komponierte 1824 anlässlich der Johannisfeier der "Großen Loge zu Hamburg" das Lied "Stadt Hamburg an der Elbe Auen".

Auch Methfessel war Mitglied der Loge "Absalom zu den drei Nesseln". Diese wurde am 6. Dezember 1737 als "Loge d'Hambourg" in der Taverne des Weinwirts Jens Arbien in der Großen Bäckerstraße gegründet. Es war die Geburtsstunde der deutschen Freimaurerei. An den Holztischen der Schenke saßen damals der preußische Münzmeister Charles Sarry, Baron Georg Ludwig von Oberg, der Stadtarzt Peter Carpser und der Gelehrte Peter Stüven beisammen, um das fortzuführen, was 20 Jahre zuvor in London begründet worden war - beeinflusst von der europäischen Aufklärung. Es waren Männer mit Grundsätzen. Ihre Ideale: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Toleranz.

Auf Basis des Humanismus gilt die moralische Vervollkommnung als ein entscheidendes Ziel. Gemeinschaftssinn, offenherzige Diskussionen und Freiheit der Gedanken, heute mehr denn je Güter von Wert, waren damals gar ungeheuerliche Ansprüche. Wer seine Meinung ohne Einfluss von Kirche oder weltlicher Obrigkeit äußern wollte, musste ein Mensch mit Mut sein.

Bestandteil einer beeindruckenden, bis Ende November geöffneten Ausstellung über die Geschichte der Hamburger Freimaurer ("Königliche Kunst") im Jenischhaus in Othmarschen ist eine Urkunde Friedrichs des Großen. Preußens Regent selbst war 38. Freimaurer in Deutschland und gab den Freibrief für die liberalen Tendenzen in Hamburg.

Heute berichtet Meister Michael Mittler mitreißend über Vergangenheit und Gegenwart der Freimaurerei. Vor einem Monat präsentierte sein Logenbruder Christian Polscher, Mitglied der Johannis-Loge "Zur Hanseatentreue", eine Broschüre über mehr als hundert bekannte Freimaurer mit Hamburg-Bezug.

Wer weiß schon, dass auch Hoffmann von Fallersleben, Autor der deutschen Nationalhymne, der von den Nazis ermordete Schriftsteller Carl von Ossietzky, sein Kollege Kurt Tucholsky oder Verleger Axel Cäsar Springer Mitglieder im Bunde waren? "Zu meiner positiven Einstellung dem Judentum gegenüber wurde ich ausgerichtet und bestärkt durch die Freimaurerei, die nur den Menschen wertet und nicht das Volk, dem er zugehört oder gar die Rasse", hat Springer notiert.

Freimaurer Ylber Redzepi, Mitglied der gleichfalls im Logenhaus Welckerstraße ansässigen Anglo-Hanseatic Lodge und Gastronom vor Ort, bittet zu einem Kaffee. Wohltuende Ruhe ist zu spüren. "Wir eifern dem traditionellen Freimaurer-Credo nach, gute Menschen besser zu machen", formuliert Alt-Distriktmeister Günther Wedderien mit Bedacht. Als Ernte einer kontinuierlichen Nachwuchsarbeit seien zuletzt zahlreiche jüngere Männer aufgenommen worden.

Im September 2012 soll der 275. Gründungstag der ältesten deutschen Loge "Absalom zu den drei Nesseln" groß inszeniert werden. In memoriam an jene Männer der ersten Stunde, die sich anno 1737 in der Schankwirtschaft in der Großen Bäckerstraße versammelten. Kultureller Höhepunkt wird eine neue Freimaurer-Symphonie sein, deren Premiere am 30. September 2012 um 16 Uhr in der dann (hoffentlich) fertiggestellten Elbphilharmonie zelebriert werden soll. Organisator ist der Hamburger Journalist und "Absalom-Meister" Knut Terjung, einst Sprecher Herbert Wehners und langjähriger Leiter des ZDF-Landesstudios Hamburg. Als Schirmherr wurde Bürgermeister Ole von Beust gewonnen.

Der Kaffee ist getrunken, manches Vorurteil argumentativ versenkt. Michael Mittler öffnet das Portal zum "Großen Tempel". In diesem Raum pflegen viele der 118 Brüder, also Lehrlinge, Gesellen und Meister, der Absalom-Loge ( www.absalom.de ) an jedem Donnerstagabend zusammenzukommen. In Hamburg sind 40 Logen mit 1400 Mitgliedern aktiv; vier Frauenlogen kommen hinzu.

In Deutschland gibt es knapp 15 000 Mitglieder (475 Logen), weltweit gut fünf Millionen. Und warum stehen die allermeisten Logen exklusiv Männern offen? "Wir wollen auch mal unter uns sein", entgegnet Wedderien. "Da müssen wir unsere Schwächen nicht verstecken und uns nicht gegenseitig in die Pfanne hauen." Knut Terjung ergänzt: "Wir wollen in unserer Konzentration nicht durch irgendwelche Balz abgelenkt sein und jedes Gockeln vermeiden."

"Bei der Tempelarbeit lassen wir den Alltag hinter uns", beschreibt Mittler das Ritual. Innerlich wie äußerlich. Smoking, Schurz, weiße Handschuhe, Zylinder und Fliege zählen ebenso dazu wie das Bijou am blauen Band, das goldene Abzeichen der Loge. Ist das nicht altmodisch? Ganz im Gegenteil, so die Antwort. Es sei eine Frage der Festlichkeit und der Gleichheit. Entsprechend dem Wunsche, dem Alltäglichen auch von der Kleidung her zu entfliehen. In Anlehnung an die Geschichte spielen Symbole eine große Rolle: Die "vollkommene Zahl" drei, die Werkzeuge der alten Baumeister, das Licht der Erkenntnis, die Aufteilung des Versammlungsraumes. Ursachen sind eine tiefe geschichtliche Verbundenheit, unverändert aktuelle Prinzipien sowie der Wert dieser Symbole als Fels im Meer des Mittelmaßes.

Der Entschluss, Freimaurer zu sein, sagen sie, gleicht keinem Vereinsbeitritt, sondern ist eine Lebenseinstellung. Karitative Arbeit, Gutes zu tun und nicht darüber zu reden, kommt hinzu. Das erste Krankenhaus Hamburgs am Schäferkamp anno 1795 wurde von Freimaurern gebaut.

Stunden wahrhaftiger Aufklärung sind wie im Fluge vergangen. Am Sonntag (18. Oktober) von 11 bis 18 Uhr ist Tag der offenen Tür im Logenhaus in der Moorweidenstraße 36, am 14. November bei den geistigen Brüdern in der Welckerstraße 8.

"Wir haben nichts zu verstecken", sagt Freimaurer-Meister Mittler beim Abschied. "Aber leider machen sich viele nicht die Mühe, sich mit unseren Idealen auseinanderzusetzen."

Links vor dem Ausgang liegt ein verkohlter Balken neben einer alten Fliese - Fundstücke aus der Nachkriegszeit. Und Erinnerung an die Nazi-Jahre. Als tumbe Gesellen mit dem Hakenkreuz am Revers das 1890 errichtete Gebäude platt machen ließen. Abbrennen, so wie andernorts geschehen, wäre einfacher gewesen. Doch entschieden sich die Nationalsozialisten für einen Abbau Stein um Stein. Mit dem Ziel, dem Geheimnis der Freimaurerei auf den Grund zu gehen.

Natürlich wurden sie, wie andere Diktatoren auch, nicht fündig. Weil dieses Geheimnis in jedem Menschen selbst begründet ist. So er es will.