Wenn Kranführer Martin Schulz am Dammtorwall sein Arbeitsgerät besteigt, hat er einiges vor sich - mehr als 300 Leitersprossen.

Hamburg. Hauptsache, er hat nichts vergessen. Wasser, Tee, belegte Brote, Joghurt und einen Apfel. Ansonsten muss Martin Schulz (54) noch einmal runter - und wieder rauf. 108 Meter, mehr als 300 Leitersprossen, 30 Minuten hoch, 30 runter. Denn der Kranführer sitzt in dem höchsten frei stehenden Baukran Europas, mit dem gerade am ehemaligen Unilever-Gebäude am Dammtorwall gearbeitet wird - und der hat keinen Fahrstuhl.

Dafür hat Schulz, nachdem er etwa eine halbe Stunde inklusive Pausen geklettert ist, einen atemberaubenden Blick über die gesamte Stadt. Und zwar um 360 Grad. Über die Dächer der Innenstadt bis zu Hamburgs Stadtgrenzen am Horizont. "Ich freue mich jeden Tag, hier raufzukommen", sagt der gebürtige Hamburger.

Obwohl die Arbeit in 108 Meter Höhe an manchen Tagen spaßfrei ist: Bei Wind und Sturm kommt der Kran arg ins Schwanken, bis zu zwei Meter pendelt Schulz in seiner Kabine dann hin und her. Und wenn vorne, an dem 70 Meter langen Ausläufer, schwere Lasten hängen, neigt sich der ganze Turm. "Ab Windstärke sieben breche ich ab, dann kann ich die Lasten nicht mehr sicher und präzise transportieren", sagt Schulz. "Ansonsten macht mir das nichts aus." Genauso machte es ihm nichts aus, als vor sechs Wochen ein Blitz einschlug - direkt in die Kranspitze. Bei dem lauten Knall hat er sich zwar schon erschrocken - "der war nicht ohne". Dann hat er die Geräte gecheckt und einfach weitergearbeitet. Der Kran sei ja geerdet.

Normalerweise sind Kräne dieser Größe mit Traversen an dem Gebäude befestigt. Die Statik des denkmalgeschützten Bürohauses aus dem Jahr 1963 würde das aber nicht mitmachen. Von dem jetzt in "Emporio Tower" umbenannten Gebäude kann Schulz übrigens nur die Nordwestseite sehen. Wenn von Februar an die 800 Kilo schweren neuen Fassadenelemente montiert werden, muss der Kranführer der Firma Hochtief sich also auf sein Gespür und die Anweisungen seiner Kollegen verlassen.

Die fehlen dem Bergedorfer oben in seiner 2,5 Quadratmeter großen Kanzel schon ein wenig. Außer per Funk oder Handy hat er neun Stunden lang keinen Kontakt. "Ich bin ganz schön alleine hier", sagt Schulz, der im Monat rund 2000 Euro netto verdient. "Aber ich bin auch froh, dass ich meinen eigenverantwortlichen Bereich hab." Und wenn es ganz einsam wird, schaltet er in einer Pause mal kurz das Radio ein.

Doch es fehlt ihm noch etwas dort oben. Eine Toilette. "Dafür habe ich einen leere Flasche mit", sagt er. Alles andere geht erst nach Feierabend.

Das ist gegen 16 Uhr. Dann macht Schulz sich an den Abstieg, wieder eine halbe Stunde. Neulich hatte er dabei sein Handy oben vergessen. "Da hätte ich wirklich an die Decke gehen können", sagt Schulz. Das ist er zwar nicht. Aber wieder rauf.