Hamburger Ehepaar hat in Krisenzeiten das Gewürz gegen Lebensmittel getauscht. Der Sack steht jetzt im Gewürzmuseum.

Seit bald einem halben Jahrhundert begleitet der unscheinbare braune Jutesack Elisabeth und Peter Ruge. Er hat mit ihnen Europa bereist und stand in ihren Häusern in Paris oder Warschau. Immer war er dabei, als eine Art Rückversicherung der Familie, die Reserve für den Notfall. Unauffällig, aber wegen seines Inhalts so wichtig. Der braune Sack ist mit weißem Pfeffer gefüllt, einem viele Jahrhunderte lang wertvollen Gewürz. Ihren Pfeffersack, der eine so bewegte Geschichte hat, haben die beiden jetzt dem Hamburger Gewürzmuseum Spicy`s gestiftet. "Hier soll er nun endgültig seinen Platz finden. Seine Aufgabe als Talisman hat er wirklich erfüllt", sagt Peter Ruge.

Das Ehepaar hat den 70 Kilogramm schweren Pfeffersack im Dezember 1962 von Elisabeth Ruges Vater Heinrich Knak zur Hochzeit bekommen. Ein durchaus originelles Geschenk. Für Familie Knak wiederum nicht. Denn sie betrieb in Altona eine Gewürzmühle und wusste, welchen Wert die weißen Körner hatten. Vor 100 Jahren war das Kilo weißer Pfeffer rund 40 Euro Wert, in den vergangenen Jahren ist der Preis allerdings verfallen. Heute kostet das Kilo etwa drei Euro, sagt Ingo Vierk vom Gewürzmuseum. Ungemahlener weißer Pfeffer kann sich bei richtiger Lagerung 100 Jahre halten, habe Heinrich Knak bei der Geschenkübergabe gesagt. Und weiter: "Lange Jahre wurde Pfeffer wie Gold oder Aktien gehandelt. Solltet ihr also jemals in Not geraten, habt ihr mit dem Sack eine stille Reserve zum Tausch gegen etwas vielleicht Lebenswichtiges." Knak sprach aus Erfahrung. Schließlich hatte er selbst im Zweiten Weltkrieg kleine Pfeffermengen gegen Fleisch- oder Wurststücke eingetauscht und so die sechsköpfige Familie vor dem Hunger bewahrt. Elisabeth und Peter Ruge sollten von da an oft an die Worte des Vaters denken. Bereits 1968 half ihnen der Pfeffersack zum ersten Mal aus der Patsche. Der Journalist Peter Ruge war für das ZDF als Korrespondent nach Paris gesandt worden und mitten in die Studentenunruhen geraten. Auf den Straßen herrschte Ausnahmezustand. "Es war wie in einem Bürgerkrieg", sagt Elisabeth Ruge über die turbulenten Wochen in der französischen Hauptstadt. "Und die Supermärkte waren in Kürze leer gekauft."

Die zierliche dunkelhaarige Frau hatte allerdings wenige Wochen zuvor ihren Sohn Oliver zur Welt gebracht. Tochter Nicola war vier Jahre alt. "Wir brauchten dringend Kindernahrung. Und nicht einmal Wasser für die Babyflasche gab es zu kaufen. Geschweige denn Milch, Mehl, Butter oder gar Fleisch." Also zog Peter Ruge mit Pfeffer aus dem Sack los und tauschte das damals noch so wertvolle Gut gegen wichtige Lebensmittel ein. Selbst Benzin konnte er so bekommen. "Wir wollten doch beweglich bleiben", sagt er heute. Die Bauern wiederum, mit denen die Tauschgeschäfte gemacht wurden, brauchten den Pfeffer, um ihre Lebensmittel haltbar machen zu können. "Pfeffer ist ein uraltes Konservierungsmittel und auch deshalb lange so gefragt gewesen."

In Paris leistete der Pfeffersack zum ersten Mal wertvolle Hilfe - es sollte nicht das letzte Mal sein. Ende der 70er-Jahre zog es die Familie nach Warschau. Hier erlebte sie den Aufstand der Gewerkschaft Solidarnosc hautnah mit. Eine Arbeiterrevolte mit Streiks und Straßenschlachten, die 1981 eskalierte, als der polnische Staatschef den Kriegszustand ausrief. "Unser Telefon und Telex wurden über Nacht gekappt, es herrschte Ausgangssperre und die totale Presse-Zensur", so Ruge. Wieder wurde die Familie Zeuge von Hamsterkäufen. Lebensmittelmarken wurden ausgegeben. "Unser Pfeffersack hat uns auch in dieser Zeit gerettet", sagt Elisabeth Ruge. Denn die polnischen Bauern brauchten genauso wie die französischen das Gewürz zur Konservierung. Also unternahmen die Ruges immer wieder Fahrten aufs Land, um sich mit Hilfe des gefragten Pfeffers zu bevorraten.

Insgesamt hat der Sack der Ruges bis heute elf Umzüge mitgemacht. Er überstand einen Einbruch in das Haus der Familie in Paris, wurde von den Einbrechern zum Glück als wertlos missachtet. Und selbst ein Hochwasser konnte ihm nichts anhaben. "Als die Seine in den 90er-Jahren über die Ufer lief, wurde er in unserem Keller nass", sagt Elisabeth Ruge, die mit ihrem Mann ab 1986 wieder in der französischen Hauptstadt lebte. Geistesgegenwärtig habe sie sich an einen Rat ihres Vaters erinnert: Weiße Pfefferkörner werden in Milch gewaschen und an der Sonne getrocknet. Also bastelten die beiden ein Sieb, badeten den Pfeffer in unzähligen Litern Milch und trockneten ihn in der Sonne.

Vor wenigen Wochen hat der Pfeffersack nun seine vorerst letzte Reise ins Gewürzmuseum in der Speicherstadt angetreten. Hier sollen jetzt die Besucher von seiner spannenden Geschichte erfahren. Ingo Vierk vom Spicy`s freut sich sehr über die Leihgabe der Ruges. "Seine Geschichte passt gut zu den anderen Geschichten, die wir hier erzählen", sagt er. Die Ruges, die vor wenigen Wochen aus Paris nach Hamburg zurückgekehrt sind, wollen ihren Sack allerdings hin und wieder besuchen. "Er hat lange Jahre eine große Rolle gespielt. Er war unser Talisman."