Nach Informationen des Abendblatts will Hamburgs Rock-Ikone Udo Lindenberg am Hafen ein großes Geheimprojekt umsetzen - eine “Panik-Zentrale“, die Musicaltheater, Hotel und auch Bühnen für Nachwuchskünstler kombiniert.

Hamburg. Schon bald könnte sich das gesamte ehemalige Hafengebiet im Südosten der Innenstadt vom Brandshof bis zu den Deichtorhallen zu einem neuen Viertel für Künstler und Kreative entwickeln. Auf dem alten Bahngelände am Oberhafen sollen dazu nach einer Idee von Hamburgs Oberbaudirektor Jörn Walter alte Schuppen stehen bleiben, um Künstlern günstige Mietflächen anbieten zu können.

Gras wächst kniehoch zwischen Güterbahngleisen, die ins Nirgendwo zu führen scheinen. Graffiti schmücken die Giebelwand des Backsteinbaus davor, lange Schuppenreihen schließen sich an. Hier, am Oberhafen zwischen Großmarkt und Norderelbe, ist der Glanz der benachbarten HafenCity noch sehr weit weg. Die Deutsche Bahn hat sich längst zurückgezogen, doch immer mehr Künstler und Kreative entdecken das Viertel, das zwischen Bahntrassen und Hafenbecken wie eine vergessene Insel im Osten der Innenstadt schlummert.

"LandsEnd", hat denn auch der Hamburger Immobilien-Kaufmann und Kultur-Investor, wie er sich selbst gerne nennt, Klausmartin Kretschmer diesen Backsteinbau getauft, den er von der Stadt gemietet hat. Über ein Treppenhaus mit bröckelndem Putz bittet er zu seinem "Think-Tank", einem hellen, großen Raum im Obergeschoss. Verblüfft bleibt der Besucher stehen: Stuckverzierte Decken und Säulen, ein weißer Flügel, eine Engel-Statue und ein riesiger Tisch stehen dort, wo einmal Bahnarbeiter ihre Werkstatt hatten. "Meine Erinnerung an die Elbchaussee", sagt Kretschmer und lacht. Hier, in der alten Bahnmeisterei, will er möglichst viele Kreative ansiedeln. Nicht nur bei ihm - auch andere sollten in die alten Schuppen investieren, um günstige Flächen für Künstler und Freiberufler zu bekommen, sagt er. "Wir brauchen solche Spielräume in der Stadt, die immer weniger Platz dafür hat."

Tatsächlich wird der Raum woanders knapp: In der Schanze klettern die Mieten und in der Speicherstadt lässt die Eigentümerin, die städtische HHLA, Haus ums Haus aufwendig restaurieren, sodass auch dort kaum noch günstige Flächen für Kreative zu finden sind. Längst gilt das gesamte Areal vom Oberhafen bis Brandshof an den Elbbrücken in Rothenburgsort als Ausweichquartier: Trommlergruppen treffen sich in den Schuppen, Kulissenbauer haben dort ihre Werkstätten. Filmschaffende wie Fatih Akin feierten bei Kretschmer Partys. Im Bereich Brandshof haben sich zudem etliche Künstler angesiedelt, Galerien, Musikstudios sind dort in alte Gewerbebauten gezogen. Pläne gibt es sogar für ein Musical samt Hotel von Hamburgs Rock-Ikone Udo Lindenberg.

Doch ursprünglich waren die Pläne der Stadt zumindest für den Oberhafen etwas anders: Die HafenCity sollte dort weiter wachsen. Das Gelände wäre dann auf acht Meter Höhe aufgeschüttet worden. Idealer Standort für neue Bürogebäude, so sahen die Planer dieses Areal. Doch offensichtlich hat inzwischen in der Stadtentwicklungsbehörde angesichts der stillen Eroberung durch eine neue kreative Szene ein Umdenken stattgefunden.

"Ich sehe hier ein eigenes und neues Profil für die HafenCity", sagt Oberbaudirektor Jörn Walter. Seine Idee: Die alten Bahnschuppen werden auf lange Sicht nicht abgerissen und ihre Struktur auch für Neubauten aufgenommen. Auch eine teure Aufspülung sollte es nicht geben. Das Ziel dabei: "Wir können so hier Raum für eine junge Kreativ-Wirtschaft schaffen, die oft nicht in der Lage ist, sich teure Mietlagen zu leisten", so Walter. Das weitere schmale Ende des Oberhafens solle dann zu einem Sportplatzgelände entwickelt werden. In Verbindung mit den Deichtorhallen bis hin zur den Galerien und Ateliers am Brandshof ergäbe sich dann eine neue Kreativ- und Kunstmeile für Hamburg. Bis zum Herbst sollen solche Überlegungen weiterverfolgt werden und in die Fortschreibung des Masterplans für die HafenCity einfließen.

Für den Hamburger Stadtplaner Rolf Kellner vom Planungsbüro "überNormalnull" wäre das ein richtiger Schritt. Kellner untersucht im Auftrag des Bezirks Mitte gerade die Möglichkeiten des gesamten Gebiets vom Oberhafen bis zum Brandshof für die Entwicklung eines neuen kreativen Viertels in Hamburg: "Hier gibt es ein großes Potenzial, weil die Renovierungspläne noch Verzögerungen zulassen." Künstler und Freiberufler könnten so mehr Geld für Ideen als für Mieten aufbringen. "Man muss das Berlin in Hamburg erkennen - dann hat man beide Vorteile", sagt er. Eben Freiräume wie in Berlin und ein Umfeld wie in Hamburg, wo sich Kunst auch verkaufen lässt.

Die Entscheidung zwischen Berlin und Hamburg hat der belgische Künstler Marc van den Broek schon vor einem Jahr getroffen, nachdem er nach zehn Jahren New York wieder zurück nach Europa wollte: "Berlin habe ich mir angeschaut, Wien auch, eine alte Jugendstilvilla in Alsternähe - doch hier in Rothenburgsort: Das war's." Am Brandshof, zwischen Bahnbrücken, Kanälen und Speditionen hat der international renommierte Künstler eine riesige alte Gemüsehalle gekauft und sie zu Ateliers umgebaut, die er auch an andere Künstler oder Freiberufler vermieten will. Mächtige Skulpturen hat er im Erdgeschoss aufgestellt, im Foyer koordiniert seine Sekretärin die Termine. Im oberen Stockwerk hat er in einer kompletten Hallenetage den Konferenzraum eingerichtet, in dessen Mitte ein großer Goldfischteich blubbert. Durch die Fensterreihe blickt man auf Hafenbecken und HafenCity. Gelegentlich rumpelt ein Güterzug vorbei. Ihn erinnere das an Brooklyn, sagt van den Broek: "Hier, genau hier, ist der ideale Humus, auf dem Ideen wachsen können."