Vor 76 Jahren erschoss sich der Bankier und Freimaurer Cäsar Wolf aus Angst vor den Nazis. Sein Grab in Ohlsdorf galt jahrelang als verschollen. Jetzt wurde es wiederentdeckt.

"Suizid. Kleiner Schäferkamp. 13. Mai 1933." Eine Randnotiz in einer Polizeiakte. Eine kleine Notiz, hinter der sich ein großes Drama verbirgt. Die Geschichte des Cäsar Wolf. Eines jüdischen Bankiers, der sich erschoss. Mitten auf der Straße, in der Nacht vom 12. auf den 13. Mai 1933. Er flüchtete verzweifelt in den Tod. Aus Angst vor den Nationalsozialisten, zu deren ersten Opfern der Hamburger Cäsar Wolf wurde.

An einem Tag Anfang Mai 1933 musste Cäsar Wolf ins Krankenhaus. Dringend. Viele Termine standen an diesem Frühlingstag auf dem Kalender des 58-Jährigen. Es gab viel zu tun für den Geschäftsführer des Freimaurer-Krankenhauses, dem heutigen Elisabeth-Alten- und Pflegeheim am Schanzenpark. Doch als Cäsar Wolf die Klinik betreten wollte, wurde er von einem jungen Mann in Uniform harsch zurückgestoßen: "Juden sind hier ab heute unerwünscht."

Sechs Wörter. Sechs Wörter, mit denen Cäsar Wolf sein Leben genommen wurde. Sein Beruf und seine Berufung. Denn die Klinik, in der er seit 1921 gewirkt hatte, war sein Lebenswerk. Unter seiner Führung erst war das Krankenhaus zu einem der besten der Hansestadt aufgestiegen. Unter seiner Führung hatte die Klinik die wirtschaftlich harten Jahre der Inflation überstanden.

Sechs Wörter erschütterten Cäsar Wolfs Glauben an das Gute im Menschen. Und seine humanistischen Ideale, die der hanseatische Kaufmann täglich zu leben versuchte. Als Meister vom Stuhl von "Absalom zu den drei Nesseln", der ältesten Freimaurer-Loge Deutschlands. Als Wohltäter, der Kinder von verarmten Schauspielern unterstützte, sich um Schwerbehinderte kümmerte und für Senioren Stiftswohnungen in Eppendorf errichten ließ. "Jedem, der an seiner Tür klopfte, hat mein Vater aufgemacht und sofort geholfen", erinnerte sich Anfang der 80er-Jahre Cäsar Wolfs einzige Tochter, Hildegard Fürth, in einem Brief.

Doch 1933, im Jahr von Hitlers Machtergreifung, wurde für Cäsar Wolf die Tür zum gesellschaftlichen Leben zugeschlagen. Plötzlich wurde er doppelt geächtet. Als Jude. Und als Freimaurer. Denn der nach außen hin stets ein wenig geheimnisumwitterte Bund, dessen "Brüder" sich an geheimen Zeichen erkennen und an diskreten Orten treffen, war den Nazis ein Dorn im Auge. Ab 1933 zerschlugen sie die Logen in Deutschland, verfolgten die Mitglieder. Auch das Freimaurer-Krankenhaus am Kleinen Schäferkamp wurde zwangsweise in das "Krankenhaus Deutscher Orden" umgetauft.

Für Cäsar Wolf blieb es jedoch "sein" Krankenhaus. Obwohl er es nicht mehr betreten durfte, spazierte er beinahe täglich daran vorbei. Mit leerem Blick schaute er auf die Klinik, durch die er noch wenige Tage zuvor voller Stolz einige Freunde geführt hatte. Die Oberin, Ordensschwester Katharina Brandt, winkte dem traurigen Spaziergänger zu, wollte ihn in das Krankenhaus lotsen. "Nie mehr werde ich über die Schwelle dieses Hauses treten", soll er ihr zugerufen haben. "Ich verlasse diese Wirkungsstätte nicht mit Groll und Bitterkeit, aber mit großem Schmerz." Am Abend des 12. Mai 1933, zu Hause in Harvestehude, sagte er zu seiner Frau Elisabeth: "Ich habe immer geglaubt, ein guter Deutscher zu sein. Jetzt bin ich nur noch ein Jude." Wenige Stunden später erschoss sich Cäsar Wolf vor seinem Krankenhaus. Fünf Tage später wäre er 59 Jahre alt geworden.

Am 14. Mai 1933 wurde Cäsar Wolf auf dem Ohlsdorfer Friedhof beigesetzt - still und heimlich, Anwesend waren neben wenigen Freunden nur seine Ehefrau Elisabeth, die sich acht Jahre später, kurz vor ihrer Deportation nach Riga, das Leben nehmen sollte. Und seine 33-jährige Tochter Hildegard, die der Schreckensherrschaft der Nazis nur entkommen sollte, weil sie mit ihrem Ehemann Salomon Fürth nach Schweden auswanderte.

Cäsar Wolf war am 18. Mai 1874 in eine alteingesessene Hamburger Kaufmannsfamilie hineingeboren worden. Nach dem Schulabschluss machte er eine Lehre in dem renommierten Bankhaus J. Goldschmidt, trat nach dem frühen Tod des Vaters dann in die familieneigene Privatbank an der Straße Raboisen ein, leitete die Geschäfte des Hauses erfolgreich - bis die Bank 1933 "arisiert" wurde. Von seinem Vater hatte Cäsar Wolf vor allem die Liebe zum Vaterland geerbt. "Er war ein glühender Patriot", schrieben ehemalige Freimaurer-Brüder. Kaum war der Erste Weltkrieg ausgebrochen, meldete sich Cäsar Wolf als Soldat. Unbedingt wollte er an der Front für Deutschland kämpfen. Doch er war gesundheitlich angeschlagen, wurde abgelehnt. Folglich kämpfte er an einer anderen Front: Als ein Bruder der Loge "Absalom zu den drei Nesseln" in den ersten Kriegstagen eine Erbschaft von 975 000 Goldmark hinterließ, setzte Cäsar Wolf dieses "Schönewald-Vermächtnis" ein, um auf dem Gelände seines Krankenhauses ein Barackenlazarett mit 125 Betten zu errichten. Bis 1919 wurde hier unzähligen von Kriegsverletzten geholfen. Außerdem schenkte Cäsar Wolf der Militärverwaltung einen Lazarettzug mit 38 Waggons - finanziert aus dem Vermächtnis und eigenem Geld. Oft begleitete Wolf selbst den Zug, um schwer verwundete Soldaten zurück nach Hamburg zu bringen. "Hätte ich doch Deutschland nicht so lieb, nur halb so groß wäre mein Schmerz", soll er vor seinen Freunden geklagt haben.

Seine Brüder aus der Loge konnten Cäsar Wolf, der ihrer Loge 17 Jahre lang als Meister vom Stuhl vorgesessen hatte, nie an seinem Grab auf dem Ohlsdorfer Friedhof gedenken. Am kommenden Mittwoch, auf den Tag 76 Jahre nach Cäsar Wolfs Tod, soll es endlich möglich sein.

Denn Cäsar Wolfs Grabstätte galt jahrelang als verschollen, als schier unauffindbar. Unzählige Anfragen bei der Friedhofsverwaltung blieben ergebnislos. Irgendwann hieß es, das Grab sei 1972 aufgegeben worden. Vor wenigen Monaten erfuhr der 89-jährige Manfred Bäde, selbst Freimaurer und ehemaliger Hauptarchivar der Hamburger Friedhöfe, von der Suche nach Cäsar Wolfs Grab. In stundenlanger, mühsamer Arbeit wühlte er sich durch alte, teils verkokelte Papierberge - und wurde schließlich fündig.

Längst war die Grabstelle von Rhododendren überwuchert, die 2,40 Meter hohe Stele aus Kalksandstein verwittert. Die Loge "Absalom zu den drei Nesseln" hat Stele und Grab wieder herrichten lassen. Am Mittwoch wollen sich die Brüder in dunklen Anzügen mit weißen Krawatten und weißen Handschuhen am Grab versammeln, eine Kette der Hände bilden. Drei Rosen werden sie niederlegen. Als letzte Ehre für Cäsar Wolf. Und als höchsten freimaurischen Gruß.