Himmel und Hölle, steinreich und neureich, Herkunft und Zukunft liegen hier nahe beieinander

Der größte Publikumslieblingin Othmarschen ist steinalt, übergewichtig und hat einen "Migrationshintergrund". Seit 2000 steht er am Elbstrand und dient als Schattenspender, Wegmarke, Fototapete. Die Rede ist vom "Alten Schweden", einem 217 Tonnen schweren Findling aus Småland, den die Eiszeit nach Hamburg transportierte und die vorletzte Elbvertiefung wieder freigab. Heute steht er am Hans-Leip-Ufer und wertet Hamburgs schönsten Strand zusätzlich auf.

Othmarschen mögen viele für einen gediegenen Elbvorort halten, doch im Sommer gibt es keinen jüngeren Ort an der Elbe. Zwischen Neumühlen und Teufelsbrück ist alles im Fluss. Hier verbinden sich Traumstrand und Wasserstraße, hier vermischen sich großbürgerliche Gärten und Fischeridyll, hier liegen Himmel und Hölle einträchtig beieinander. Von Teufelsbrück bis zur Himmelsleiter sind es nicht einmal drei Kilometer. Die Welt der Othmarscher ist weit.

Achtspurige Autobahn als Graben

Selbst die Schneise namens A 7 hat den Stadtteil nur verwunden, nicht zerstören können. Im Norden teilt die hier achtspurige Autobahn Othmarschen, im Süden hat sie dem Stadtteil einen kleinen Park beschert. Das Besondere daran ist nicht sein Bewuchs, sondern das letzte verbliebene Bauernhaus. Der reetgedeckte Röperhof aus dem Jahre 1759 beherbergt heute ein renommiertes Restaurant, das exquisite heimische Küche bietet und unterschiedliche Räumlichkeiten für Privatfeiern bereithält.

Im Kaffeegarten vom Röperhof entsteht das alte Bauerndorf vor dem inneren Auge, eine Landgemeinde mit historischer Bausubstanz, vielen Teichen und noch mehr Grün. Der Architekt Gustav Oelsner schrieb 1924 in der "Vossischen Zeitung", einem führenden Blatt der Weimarer Republik: "Parks mit stillen Häusern hinter mächtigen Büschen von Rhododendren und Azaleen, Kuhweiden, Alleen, Besitzungen von fürstlichem Ausmaß. Im Kern das alte Othmarschen mit Bauernhöfen in der stolzen Form, wie wir sie von Friesland und Sylt her kennen."

Das wollten Stadtplaner schleunigst ändern. Die Nationalsozialisten beabsichtigten, Othmarschen in eine einzige Autobahnauffahrt zu verwandeln - eine gigantische Hängebrücke mit Pfeilern von 150 Meter Höhe sollte die Elbe überspannen und hier wieder Boden berühren. Nach dem Krieg wurden die hochfliegenden Pläne geerdet: Die Autobahn 7 wurde unter die Elbe gelegt; an der Abfahrt Othmarschen entstand ganz im Geist der 60er-Jahre das AK Altona, ein 20-stöckiger Koloss mit 741 Betten. Mit dem Architekten Werner Kallmorgen, auch Erbauer des Kaispeichers A, überwarf sich die Stadt übrigens dann wegen der Kostenexplosion beim Krankenhaus.

Verschärfte Auflagen für Neubauten

Die Klinik mit ihren 60 Metern überragt den Stadtteil und gibt ihm ein modernes Gepräge, zumal autobahnnah weitere Klötze wie das UCI-Kino, ein Supermarkt sowie ein Fitnesscenter entstanden. Bäuerliches Leben im alten Othmarschen ist längst Vergangenheit. Lange trieben die Bauern ihr Vieh nach Övelgönne; der Boom verwandelte das Weideland am Elbhang später in teures Bauland. Ein Trend, der sich bis heute fortsetzt. Nun fallen selbst Villen dem Abrissbagger anheim; an ihre Stelle treten raumfüllende Mehrfamilienhäuser mit hochpreisigen Eigentumswohnungen. Eine Entwicklung, die viele Othmarscher mit wachsendem Unbehagen sehen. "Alle werben mit Leben im Grünen", sagt Christoph Beilfuß vom Bürgerverein Flottbek-Othmarschen. "Aber wenn das so weitergeht, müssen sie die Häuser bald grün anstreichen." Immerhin hat nun die Politik reagiert und die Auflagen verschärft, um Vorgärten zu schützen. Der Bürgerverein mit seinen 600 Mitgliedern kämpft für das Gewachsene, ist Forum für das Gewünschte und verbindet die Menschen im Stadtteil - Zugewanderte wie Alteingesessene. "Es gibt in Othmarschen viele alte Familien mit Tradition", sagt Beilfuß. Und erklärt augenzwinkernd den Unterschied zwischen steinreich und neureich: "Erstere erkennt man nicht, Letztere sind nicht zu übersehen."

Bekannt und beliebt ist der Stadtteil auch wegen seiner renommierten Schulen. Neben den Gymnasien Othmarschen und Hochrad zählt das Christianeum zu den bekanntesten Schulen der Stadt. Das beeindruckende alte Gebäude an der Behringstraße musste der A 7 weichen - seit 1971 ist das Christianeum an der Otto-Ernst-Straße in einemArne-Jacobsen-Bau untergebracht.

Spektakuläres Elbpanorama

Die Parklandschaft macht den Elbvorort aus - ruhige Straßen führen vorbei an großbürgerlichen Villen und alten Bäumen. Und alle Wege nach Westen führen zum wohl schönsten Hamburg-Grün - zum Jenischpark. Im Urstromtal der Flottbek eröffnen sich spektakuläre Blicke auf den Fluss. Im Herzen des Parks lockt das Jenisch-Haus; das klassizistische Landhaus ist heute eine Außenstelle des Museums Altona und beherbergt eine Schau zur hanseatischen Wohnkultur. Nur wenige Schritte entfernt liegt das Ernst-Barlach-Haus. Neben einer Werkschau des expressionistischen Künstlers gibt es wechselnde Ausstellungen. 2013 dürfte ein weiteres Museum hinzukommen. Im Gebäude des ehemaligen Gartenbauamtes am nordwestlichen Eingang zum Jenischpark entsteht das Eduard-Bargheer-Museum zu Ehren des Finkenwerder Künstlers.

Ganz andere Kunst bietet ein altes reetgedecktes Bauernhaus am Hochrad: Die Gaststätte To'n Peerstall, in achter Generation im Besitz der Familie Biesterfeldt, ist eine urige Kneipe, wie sie im Stadtteil selten geworden sind. Die Gastronomen umsorgen nicht nur die Nachbarn, sondern auch die zahlreichen Gäste, die an Wochenenden in den Stadtteil drängen. Vor allem im alten Fischer- und Lotsendorf Övelgönne reihen sich Cafés und Restaurants wie Perlen an einer Kette. Während die älteren Semester durch die pittoreske Gasse schlendern, tummeln sich die jüngeren am Elbstrand unterhalb von Övelgönne. Und seitdem direkt neben der Strandperle das Ahoi eröffnet hat, haben sich die Warteschlangen sympathischerweise verkürzt. Övelgönne ist ein Stadtteil in der Stadt - hier haben sich Künstler wie Ali Schindehütte oder der inzwischen verstorbene Peter Rühmkorf niedergelassen. Und der Museumshafen gibt sogar eine Zeitung für das Viertel heraus - den "Oevelgönner Courier".

Othmarschen ist ein Gesamtkunstwerk, vielschichtig und abwechslungsreich, grün und bunt, ruhig und doch zentral. Die Vorzüge des Viertels hat auch "Tagesthemen"-Moderator Tom Buhrow mit seiner Familie entdeckt. "Othmarschen ist der perfekte Stadtteil. Manche lästern ja, es sei ein Spießertraum mit Gartenzaun. Aber ich schätze die bürgerliche Behaglichkeit mit dem quirligen Ottensen und der Elbe nureinen Steinwurf entfernt."

In der nächsten Folge am 20.8.: Altenwerder