Erhöhen Bürgerbegehren die Wahlbereitschaft? Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung über direkte Demokratieformen glaubt dies und befragte im Rahmen der Untersuchung auch rund 100 Altonaer zu dem Thema.

Altona. Seit 1998 gibt es Bürgerbegehren in den Hamburger Bezirken, bundesweit sind solche Formen von direkter Bürgerbeteiligung in den Städten und Kommunen sogar schon seit den 1970er-Jahren bekannt. Die Bertelsmann-Stiftung hat nun erstmals die Folgen dieser Art von Mitbestimmung auf die repräsentative Demokratie untersucht: Bundesweit wurden dazu Bürger in 27 Kommunen befragt – unter anderem auch im Bezirk Altona.

Die beiden Kernaussagen der Studie mit 2700 Befragten dürften manchen überraschen, der bisher eine Gefahr für Parlamente und Wahlen durch die direkte Einmischung der Wähler befürchtet. Denn Deutschland sei längst auf dem Weg von der repräsentativen zu einer vielfältigen Demokratie, sagen die Verfasser der Studie.

Allerdings löse die eine Form die andere nicht einfach ab, sondern Bürgerbeteiligung würde die repräsentative Demokratie stärken und ihr nicht schaden, wie oft behauptet. Wer sich an Formen der direkten Demokratie beteilige, gehe mit höherer Wahrscheinlichkeit zu Wahlen und vertraue dem demokratischen System mehr, so die Aussage. Aber wählen alleine reiche auch nicht mehr, sagt Robert Vehrkamp, Direktor des Programms „Zukunft Demokratie“ der Bertelsmann-Stiftung. Die Erwartungen der Bürger an demokratische Mitbestimmung hätten sich verändert. „Unsere Demokratie muss vielfältiger werden“, sagt Vehrkamp.

Das spiegelt auch das Altonaer Ergebnis wider: Dort wurden 100 Bürger befragt. Eine Stichprobe, die zwar nicht streng repräsentativ sei, aber eine gutes „Stimmungsbild“ abgebe, wie es bei der Stiftung heißt. 57 Prozent der Befragten in Altona wollen demnach, dass Wähler auch direkt über wichtige kommunale Entscheidungen entscheiden können.

Bundesweit sind es sogar 66 Prozent. In Altona bevorzugen dabei 70 Prozent Bürgerbegehren als bestes Mittel, um selbst mehr Einfluss auf die Kommunalpolitik auszuüben. Bürgerdialoge (44 Prozent) oder Mitarbeit in Parteien (33 Prozent) halten weniger Altonaer dafür geeignet.

Und: Im bundesweiten Ergebnis, das wegen der hohen Gesamtzahl der Befragten als repräsentativ für Deutschland gilt, zeigt sich zudem eine hohe Akzeptanz der Bürgerbeteiligung. 77,2 Prozent sind laut Umfrage davon überzeugt, dass damit nicht nur Einzelinteressen, sondern unterschiedliche Vorstellungen in die Entscheidungen einer Kommune einfließen. Und mehr als 68 Prozent der Befragten seien davon überzeugt, dass direkte Demokratie Fehlplanungen und Fehlinvestitionen verhindern könne. Seit der Einführung der heutigen Form von direkter Beteiligung in den Hamburger Bezirken hat es rund 100 Bürgerbegehren gegeben, wonach allerdings nur wenige auch zu einem Bürgerentscheid wurden, bei denen die Bürger direkt über einen Streitpunkt wie aktuell über den Bau einer Seilbahn im Hafen abstimmen.

Die Zahl der Bürgerbegehren ist dabei über die Jahre relativ konstant, einen Trend nach mehr oder weniger lässt sich in der Statistik nicht erkennen. Der bundesweit agierende Verein „Mehr Demokratie“, ein vehementer Verfechter der direkten Demokratie, wertet die Verfahren der Beteiligung in Hamburg als eigentlich gut, ein Manko bei Bürgerentscheiden sei jedoch, dass sie wie die Beschlüsse einer Bezirksversammlung durch den Senat wieder gekippt werden könnten. In den Ergebnisse der Bertelsmann-Studie sieht sich der Hamburger Mehr-Demokratie-Sprecher Manfred Brandt bestätigt. „Wenn man klug damit umgeht, ist direkte Demokratie tatsächlich ein Gewinn für die parlamentarische Demokratie.“ Mancher Aktivist finde so sein Sprungbrett in die kommunalen Parlamente, sagt Brandt.

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt der SPD-Fraktionschef in der Bürgerschaft, Andreas Dressel. Dressel hatte über das Thema direkte Demokratie promoviert. „Klug angewandt, stärkt sie parlamentarische Demokratie, weil man früh Kontakt aufnimmt und frühzeitig in den Dialog einsteigt.“ Häufig komme es in Hamburg daher gar nicht zum finalen Entscheid, sondern es gelinge viel häufiger ein Kompromiss. „Und wenn man stattdessen eine Konfrontation vermeidet, ist das immer gut“, sagt Dressel.

Dass nun in jüngster Zeit auch PR-Agenturen Bürgerentscheide als Betätigungsfeld entdeckt haben, sei für die Sache selbst kein Problem, sagen sowohl Brandt als auch Dressel. So wurden die Seilbahnbefürworter von einer Hamburger Agentur professionell für ihre Kampagne beraten. Selbst eine kleine Initiative von Blankeneser Bürgern, die sich gegen eine Nachbarbebauung wehren, haben aktuell eine Agentur an der Seite, die die Medien mit Text und Fotos versorgt. Ob professionelle Begleitung aber erfolgreich ist, dürfte eine andere Sache sein. Die Seilbahnbefürworter unterlagen trotzdem.

Professionelle Begleitung könne eben selbst schnell „Gegenstand der Debatte“ werden und dann einen negativen Effekt haben, sagt Dressel. Drastischer formuliert es Mehr-Demokratie-Mann Brandt: „Das Volk lässt sich eben viel schwieriger manipulieren als einzelne Abgeordnete.“