Mark Classen, Vize-Fraktionschef der SPD in Altona, tritt nicht wieder an. Kommunalpolitik ist neben dem Beruf kaum noch zu schaffen, sagt er.

Hamburg. Eigentlich lief die Sache mit seiner politischen Karriere ganz anständig: Vizefraktionschef der SPD ist Mark Classen in der Bezirksversammlung Altona, er leitet dort den einflussreichen Planungsausschuss, verhandelt mit Investoren und Bürgerinitiativen und man liest in den Zeitungen oft über ihn. Rote Flora, Neue Mitte Altona – es sind die großen Themen, bei denen er die politischen Fäden knüpft. Und mit 39 Jahren gilt der studierte Soziologe als jung genug, um weiter auf der politischen Leiter empor zu klimmen. Doch Classen steigt jetzt aus, oder tritt zumindest in den politischen Hintergrund.

Wenn am 25. Mai in Hamburg zum ersten Mal die Bezirksversammlungen abgekoppelt von der Bürgerschaft gewählt werden, will er nicht wieder antreten. Die ehrenamtliche Kommunalpolitik frisst immer mehr Zeit, sagt er. Und sie werde es noch mehr tun, wenn die Bezirksabgeordneten nun auch erstmals zu Wahlkreisabgeordneten mit etlichen örtlichen Verpflichtungen werden.

In Altona etwa werden künftig 30 der 51 Sitze in der Bezirksversammlung über sieben Wahlkreise vergeben. 21 Abgeordnete nur noch ziehen über reine Bezirkslisten der Parteien in das Gremium ein. „Wenn man Zeit für den Beruf und die Familie braucht, ist das eigentlich in der Freizeit nicht mehr zu schaffen“, sagt Classen, der als Student mit der Politik angefangen hatte. Inzwischen ist er verheiratet, Nachwuchs könnte sich irgendwann ankündigen. „Ich will dann nicht mit Mitte 40 geschieden und völlig abhängig von der Politik sein“, sagt Classen. Jetzt wolle er sich auf den Beruf konzentrieren, sich auch neu darin umschauen. „Das muss jetzt Vorrang haben.“

Mit seiner Entscheidung dürfte der langjährige Kommunalpolitiker nicht allein dastehen. Der Hamburger Politikwissenschaftler und Parteienforscher Elmar Wiesendahl beobachtet schon länger eine zunehmende Professionalisierung der Kommunalpolitik in Deutschland, die mehr und mehr Zeit beanspruche. „Die Belastung ist teils schon enorm“, sagt Wiesendahl. Eine hohe „Selbstüberwindung“ sei für diese Aufgabe gefordert – während Prestige oder Honorierung kaum mithalten würden. 375 Euro Aufwandsentschädigung im Monat erhalten Bezirksabgeordnete in Hamburg.

Der renommierte Forscher sieht das als Problem. Die rund 200.000 Kommunalpolitiker in Deutschland stellten in Wahrheit das „Rückgrat der Demokratie“ dar. Doch heute würde das Engagement nicht nur mit beruflichen Anforderungen, sondern mit einer Vielzahl von Freizeitalternativen konkurrieren. Und die böten meist mehr Abwechslung, da Politik doch oft sehr ritualisiert sei und man selbst als Kommunalpolitiker erst die Ochsentour durchlaufen müsse. Viele Berufsgruppen seien daher heute nahezu ausgeschlossen davon, sich in den Kommunalvertretungen zu engagieren. Anders sehe es im öffentlichen Dienst aus, der mehr Rücksicht darauf nehme.

Auch Classen spricht von „Zeithabern“, die es leichter hätten. Tatsächlich schafft er seine Ämter wohl bisher auch nur, weil er einen Job als Büroleiter eines Bürgerschaftsabgeordneten hat. Das ist zumindest wesensähnlich. Die Freizeit geht dennoch für die Politik drauf: Am Montagabend stand eine Sitzung der Partei im Kalender, anschließend Gespräche mit Investoren. Heute trifft er sich vor dem Job um 7 Uhr mit der Bezirksamtsleiterin, dann zum Mittagessen mit einem Amtsleiter, um 16Uhr ist er wieder mit Wohnungsbau-Investoren verabredet. Ähnlich straff geplant ist der Mittwoch, abends ist dann Ausschusssitzung. Donnerstag ist Fraktionssitzung von 18 bis 21 Uhr, zwischendurch muss er Mails von Bürgern beantworten, mit Nachbarschafts-Initiativen diskutieren, die bei vielen Projekten schnell mit der Kritik an der Politik sind. „Freitags habe ich dann frei, meistens jedenfalls“, sagt Classen und grient. Klar, sagt er, er mache das auch gern. Im Bezirk, direkt vor Ort – da könne man etwas bewegen. „Das kann schon ein gutes Gefühl sein“.

Classen kommt aus einer SPD-Familie und begann schon früh mit der Politik

Ursprünglich hatte Classen, der im Landkreis Pinneberg aufgewachsen ist, Eisenwaren-Kaufmann gelernt und sich schon als Schülervertreter politisch engagiert. „Ich bin eben in einem sozialdemokratisch geprägten Arbeitnehmer-Familie aufgewachsen.“ Mit dem Soziologie-Studium startete Classen dann in die Hamburger Politik. Zunächst bei den Jusos, dann war er zugewählter Bürger in der Bezirksversammlung, seit 2008 schließlich Abgeordneter, 2011 Vizefraktionschef.

Und nun der Stopp auf offener Strecke. Doch ganz aussteigen aus dem politischen Zug will er nicht. Vor Ort in seinem SPD-Distrikt Altona-Altstadt will er weiter Vorsitzender bleiben. Politik aus dem Hintergrund machen, aber sich in die Diskussionen einschalten, an Entscheidungen beteiligt sein: „Ganz lassen“, sagt er, „kann ich das nicht.“