Thema droht sonst in Wahlkampf zu geraten. Doch Klage des Eigentümers gegen neuen Bebauungsplan dürfte Preis für Rückkauf in die Höhe treiben.

Hamburg. Offiziell sagt es niemand, aber intern gibt es längst einen Zeitplan. Bis zum Sommer müsse das Konfliktthema „Rote Flora“ abgeräumt sein, fordern führende Sozialdemokraten im Hamburger Rathaus. Noch mehr Randale, noch mehr verletzte Polizisten, noch mehr Aufmärsche schwarz vermummter Autonomer aus der gesamten Republik – das könnte den Genossen andernfalls den Wahlkampf verhageln. Schließlich wird in gut einem Jahr die neue Bürgerschaft gewählt.

Bisher spielt das von der Hamburger SPD gefürchtete Thema Innere Sicherheit zwar keine wesentliche Rolle. Noch ist es Konsens bis hinein in die CDU, die Besetzer weiterhin in der Roten Flora zu dulden. Wenn es aber, wie am vierten Advent und danach, weiter im Zusammenhang mit der Flora zu Ausschreitungen kommt – dann könnte sich die Lage schnell ändern. Die CDU könnte auf eine härtere Linie umschwenken oder die AfD an Bedeutung gewinnen und SPD-Bürgermeister Olaf Scholz bei den Wählern an Zustimmung verlieren.

Auch Polizeigewerkschafter haben den Senat jetzt aufgefordert, den Konflikt um die Rote Flora endlich zu lösen. Allerdings: Das ist nicht bloß eine Frage des politischen Willens. Denn der Frontverlauf beim Flora-Konflikt ist zuletzt immer unübersichtlicher geworden. Und der Eigentümer Klausmartin Kretschmer, der dem SPD-Senat 2001 den umkämpften Bau für 370.000 DM (umgerechnet rund 190.000 Euro) abkaufte, gilt mittlerweile als unberechenbar. Seit einer Weile will er das Gebäude offensichtlich wieder loswerden, allerdings für einen extrem viel höheren Preis. Und den ist der Senat nicht zu zahlen bereit. Kretschmers vermutlich taktische Drohung, das Gebäude räumen zu lassen, hat die Straßenschlachten in der Weihnachtszeit schließlich mit ausgelöst.

Zu einer neuen Wendung dürfte es in den nächsten Tagen kommen: Dann erscheint wieder einmal ein Hamburger „Amtsblatt“, in dem die Stadt öffentliche Stellenausschreibungen, Satzungsänderungen und neue Bebauungspläne bekannt macht. Sie werden mit der Veröffentlichung rechtskräftig. Im neuen Amtsblatt steht auch der Bebauungsplan „Sternschanze 7“, den man im Bezirk Altona ausgetüftelt hat. Er gibt der Stadt im Poker um die Flora ein exzellentes Blatt in die Hand, indem er die jetzige Nutzung der Flora als Stadtteilkulturzentrum festschreibt, Umbauten stark einschränkt und einen Abriss untersagt.

Die Rote Flora, Eigentum von Klausmartin Kretschmer, wird damit quasi sozialisiert, wie es viele Linke gefordert hatten. Im Prinzip unterstützt die Stadt mit den neuen Bebauungsplan also die Besetzer und stellt sich gegen den Eigentümer. Die Formel „Stadtindianer gegen Stadt und Kapital“ funktioniert nicht mehr. Die Stadt hat sich, wenn man so will, in Wahrheit längst auf die Seite der Indianer geschlagen. Umso weniger nachvollziehbar sind die Ausschreitungen der vergangenen Wochen. Vielen der vermummten Steinewerfer, die sich als Barrikadenkämpfer für die Flora fühlen, fehlt offenbar der politische Durchblick. Zugleich aber verhindert ein alter Ehrenkodex innerhalb der „linken Bewegung“, dass sich die moderateren Akteure im Streit um Flora und Esso-Häuser von der ausufernden Gewalt der Radikalen distanzieren. So wirkt es, als seien die Betreiber von Fahrradwerkstätten in der Roten Flora identisch mit denjenigen, die vor der Davidwache einem wehrlosen Polizisten Nasenbein und Kiefer brachen. Wie erbittert bei den radikalen Linken derzeit um den Kurs gestritten wird, lässt sich auf einschlägigen Internetseiten oder selbst auf Facebook oder Twitter verfolgen. Die Linken-Bürgerschaftsabgeordnete Christiane Schneider etwa musste sich dort von den Kampfgenossen der „Bewegung“ als „Spalterin“ beschimpfen lassen, weil sie die Gewalt gegen Polizisten im Abendblatt kritisiert hatte.

Gewollt oder ungewollt, so sieht man es im Rathaus, wird die zuletzt in der Szene relativ unbedeutende Rote Flora derzeit jedenfalls wieder zu einer Art „Dachmarke“ für Themen der Linken: Bleiberecht für Flüchtlinge, „Recht auf Stadt“ auch für weniger Betuchte und alternativ Lebende – und damit einhergehend Kampf für Symbolbauten wie die Esso-Häuser und die Flora selbst. Das könnte die Besetzer innerhalb der Linken stärken – macht es ihnen aber auch nicht einfacher, sich mit den so erstaunlich wohlgesonnenen Repräsentanten des verhassten Systems ins Benehmen zu setzen.

Für Eigentümer Kretschmer hat der Bebauungsplan noch eine ganz andere Bedeutung. Weil sein Eigentum faktisch vergemeinschaftet wird, hat er einen rechtlichen Anspruch darauf, dass die Stadt die Rote Flora zurückkauft. Der Wert dürfte nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 800.000 und 1,2 Millionen Euro liegen. Kretschmers „Generalbevollmächtigter“ Gert Baer aber macht eine ganz andere Rechnung auf: Für die rund 190.000 Euro, die ihn das Gebäude 2001 kostete, habe Kretschmer hohe Zinsen zahlen müssen, da es sich bei der Flora um eine „Risiko-Immobilie“ handle. Zudem seien ihm Mieteinnahmen von 30.000 Euro monatlich entgangen. Alles in allem habe die Flora Kretschmer rund sechs Millionen Euro gekostet, so Baer. Das städtische Angebot von 1,2 Millionen Euro sei deshalb „ein schlechter Scherz, fast schon sittenwidrig“. Allerdings, nun wolle man sowieso nicht mehr verkaufen, sondern das Haus selbst nutzen. Beim Bezirk Altona reichten Baer und Kretschmer daher eine Vorbescheidsanfrage für ein neues Stadtteilzentrum samt großem Konzertsaal ein – und kündigten nebenbei eine Klage gegen den Bebauungsplan an. Bezirkspolitiker vermuten darin einen neuen taktischen Winkelzug. Denn tatsächlich dürfte ein Klageverfahren lange dauern, bisweilen ziehen sich solche Prozesse über Jahre hin. Ähnlich wie ein zivilrechtliches Räumungsverfahren.

Die unübersichtliche Lage führt zu einer grotesken informellen Allianz: Sowohl die Besetzer der Roten Flora als auch Eigentümer Kretschmer könnten aus unterschiedlichen Logiken heraus Interesse an weiteren Krawallen haben. Die einen, um die Rote Flora wieder als bedeutenden Kristallisationspunkt für das Protestpotenzial in der Stadt zu etablieren. Der andere, um die Stadt so lange mit provozierter Unruhe zu zermürben, bis sie ihm um des lieben Friedens willen den gewünschten Preis für die Flora zahlt. In der SPD will man das bisher unbedingt vermeiden. Zugleich weiß man natürlich, dass allein die Polizeieinsätze schnell deutlich teurer werden könnten, wenn im Wochenrhythmus Krawalldemonstranten durch die Stadt ziehen. Auch der politische Preis dafür wäre hoch. Grünen-Innenpolitikerin Antje Möller plädiert dafür, das B-Plan-Verfahren abzuwarten. „Die Stadt sollte ihre Linie fortsetzen, nach der die Flora in ihrer jetzigen Form akzeptiert wird“, so Möller. Das Ausmaß der Gewalt in den vergangenen Wochen sei „erschreckend“. Die Vorkommnisse müssten aber sorgfältig ausgewertet werden und dürften nicht pauschal den Nutzern der Roten Flora zugerechnet werden.

Auch in der CDU will man die Lage derzeit nicht weiter eskalieren lassen. „Wir haben den Bebauungsplan mitgetragen“, sagt Hans-Detlef Roock, stellvertretender Vorsitzender der CDU-Bürgerschaftsfraktion und Kreisvorsitzender in Altona. Die Pläne von Eigentümer Kretschmer passten dagegen nicht zum Stadtteil, so Roock. „Das wird auch die Bevölkerung nicht akzeptieren.“ Es sei zwar sinnvoll, dass die Stadt die Rote Flora zurückkaufe, „aber nur zu einem vernünftigen Preis“. „Die Stadt ist ja nicht Handlanger von Herrn Kretschmer.“ Es sei auch nicht angemessen, dass der Investor nun Nutzungsausfall für die vergangenen Jahre in Rechnung stellen wolle. Es habe ihm ja freigestanden, das Grundstück zu nutzen.

Derweil geistert eine andere mögliche Lösung als vage Idee durch die Stadt: Die HSH Nordbank könnte doch die Rote Flora kaufen und in eine Stiftung überführen, ist hier und da von Sozialdemokraten zu hören. Schließlich zwangsverwalte die Bank auch das alternative Kunstzentrum Tacheles in Berlin. Und der Aufsichtsratschef der Nordbank, Sozialdemokrat Thomas Mirow, hat bekanntlich Erfahrung mit heiklen Missionen: Er hat vor vielen Jahren an der Befriedung des Hafenstraßenkonflikts mitgearbeitet. So schlösse sich am Ende ein Kreis. Als Klausmartin Kretschmer 2001 die Flora kaufte, war Thomas Mirow an der Senatsentscheidung beteiligt: Er war damals Wirtschaftssenator in Hamburg.