Im Eiltempo durch Hamburgs Geschichte: Ein neues Buch von Irene Haarmeyer vermittelt Jungen und Mädchen wichtige Daten und Ereignisse der Hansestadt auf spielerische Weise.

Kinners, ihr werdet Augen machen! Wenn die Zeitmaschine „Time-Changer“ durch 1200 Jahre Hamburger Vergangenheit düst, werden fesselnde Kapitel norddeutscher Geschichte lebendig. Die ungewöhnliche Reise beginnt mit dem Bau der Hammaburg und führt über den Hafen, die Hanse, Störtebeker und Kaiser Napoleons Soldaten in die Gegenwart. Bis zur Endstation, der gerade erst erlebten Jahrtausendwende, beschert sie Spannung im Sauseschritt.

Große Zeiten der Reformatoren, wagemutigen Entdecker, Dichter, Komponisten und geschäftstüchtigen Pfeffersäcke stehen im Kontrast zu Katastrophen mit Pest, Feuersbrunst oder Sturmfluten. Doch keine Angst: Am Ende ist alles richtig gut.

Bis dahin hat Historicus einen weiten Weg zurückzulegen. 18-mal steuert dieses urige Lebewesen außerhalb von Zeit und Raum markante Meilensteine hanseatischer Historie an. Ohne die Hamburger Geschwister Lilli und Filip würde er nicht ans Ziel gelangen und hätte keine Chance, seine A1-Navigator-Prüfung zu bestehen, eine Art Führerschein für Zeitmaschinen. Ohne Fantasie und Wissen läuft gar nichts.

Davon können Erwachsene ebenso lernen. Auch sie entdecken bei der Lektüre des neuen Abendblatt-Buchs „Historicus“ reichlich Neues über die Entwicklung Hamburgs. Ebenso intelligent wie pfiffig tritt Autorin Irene Haarmeyer den Beweis an, dass lehrreich nicht gleich dröge sein muss. Ganz im Gegenteil: Wer sich zur Teilnahme an der wundersamen Geschichts-Exkursion entschließt, wird von Seite zu Seite intensiver in den Bann gezogen.

Dazu tragen liebevoll gestaltete Zeichnungen des Illustrators Malte Nitz bei. Die 56-jährige Autorin und der 25 Jahre alte Grafik-Designer sind Hamburger mit Leib, Seele und Überzeugung. Dass ihnen die Arbeit an und mit Historicus viel Freude bereitete, ist zu sehen – und zu lesen. So sind an mehreren Stellen Logos des HSV und des FC St. Pauli versteckt. Nicht nur Historicus, Lilli und Filip, sondern auch der Leser machen sich also auf die Suche.

„Unsere Hamburger Geschichte bietet so viele faszinierende Epochen“, sagt Irene Haarmeyer. „Unser Ziel ist es, historische Ereignisse auf spielerische Art begreifbar zu machen.“ Die Autorin weiß, wovon sie spricht: aus eigener Erfahrung mit drei erwachsenen Kindern und zwei Enkeln, aber auch durch ihr jahrelanges, ehrenamtliches Engagement an Schulen. Von Haus aus ist Irene Haarmeyer Bau-Ingenieurin. Ihr kleiner Verlag „Elbtraum“ machte sich nicht nur bei Kindern einen guten Namen. Ein Beispiel ist „Flinki, der kleine Inselhüpfer“.

Was bei Flinki erfolgreich glückte, wird auch bei Historicus gekonnt in die Tat umgesetzt: Das Buch aus der Hamburger Abendblatt Edition ist Teil eines kreativ und kunstvoll geschnürten Geschichts-Pakets. Es richtet sich hauptsächlich an sieben- bis 13-jährige Schüler, aber nicht nur. „Historicus“ eignet sich auch prima für die Bühne. Wer Neugier und Lust an einer intelligent aufbereiteten Vergangenheit hat, kommt bei der begleitenden Theater-Werkstatt samt toller Musik mit zehn Hamburg-Liedern auf seine Kosten. Gut zwei Jahre Arbeit stecken in dem Historicus-Projekt.

Dabei gelang der Anspruch, Menschen von früher genauso darzustellen wie Zeitgenossen aus der Gegenwart: mit all ihren Gefühlen wie Freude, Begeisterung, Trauer oder Angst. Jede der 18 Epochen wird auf zwei Doppelseiten in Szene gesetzt. Dazu gehören ein Zeitstrahl mitsamt Lupe und ein Stempel mit einem passenden Rätsel. Fakten zur jeweiligen Zeit sowie Informationen über Orte und Menschen in der Hansestadt garantieren lehrreiches Lesevergnügen. „Der Autorin und dem Illustrator war es sehr wichtig, dass der Text und die Illustration historisch richtig sind“, sagt Rolf Wiechmann, im Hamburg Museum für mittelalterliche Geschichte zuständig. Unter dem Strich sei ein Werk entstanden, „in dem sehr gründlich und detailreich historische Gegebenheiten eingearbeitet worden sind“.

Wer wusste schon, dass Hamburg im Jahr 1619 die größte Stadt in deutschen Landen war? Dass hier bedeutende Dichter und berühmte Komponisten ebenso ein Heimspiel hatten wie Reformatoren? Andererseits sorgten brandschatzende Wikinger für Angst und Schrecken. Andere Kapitel schildern den Mumm der Grönlandfahrer, den Bau der Wallanlagen, das Grauen der Pest oder die Zerstörung der Altstadt durch den Großen Brand. Und es werden Hamburger Legenden wie Helmut Schmidt, Uwe Seeler oder das Original „Zitronenjette“ vorgestellt.

Teil 1: Filip und Störtebeker

Gemeinsam mit Geschwisterpaar Lilli und Filip reist Historicus, ein Lebewesen außerhalb von Zeit und Raum, in der Zeitmaschine Time-Changer durch die Geschichte der Hansestadt. „Wisst ihr eigentlich, warum Hamburg Hansestadt Hamburg heißt?“, fragt Historicus. „Ich glaube, das hat was mit dem Handel zu tun“, meint Filip. „Genau“, sagt Historicus. ‚‚Schon damals wurden die Waren in weit entfernte Länder transportiert.“

„Das haben sie geschafft – ohne Lastwagen, Eisenbahnen oder Flugzeuge? Das ist ja irre“, sagt Filip bewundernd. „Ja, und um alles einfacher zu machen, haben die Deutschen viele Städte neu gegründet, wie zum Beispiel Riga oder Danzig. Und dann haben sich die Kaufleute von vielen Städten zu einem Städtebündnis zusammengeschlossen.“ „Das haben sie bestimmt ‚Hanse‘ genannt“, ruft Lilli dazwischen. „Du bist ja ein ganz schlaues Mädchen“, lobt Historicus sie. „‚Hansa‘ ist ein altes deutsches Wort und bedeutet Gruppe oder Schar. Zur Hanse gehörten damals bis zu 100 Städte aus Ländern wie Schweden, Dänemark, Norwegen, Polen, Russland und Holland. Die Stadt Lübeck an der Ostsee war die wichtigste von ihnen. Die Hanse war damals die größte wirtschaftliche Macht in Europa, sie hat sogar Kriege geführt.“

„Aber wie wurden die Waren denn transportiert?“, will Filip wissen. „Siehst du das Schiff dort im Hafen? Das ist eine Kogge, ein geniales Schiff“, schwärmt Historicus. „Es ist 20 bis 30 Meter lang und sieben bis acht Meter breit. Es kann bis zu 200 Tonnen Lasten befördern. Stellt euch mal vor – das ist so viel wie 200 Autos oder 70 Elefanten! Außerdem ist die Kogge mindestens dreimal so schnell wie ein von Pferden gezogener Wagen. Übrigens, was sollen wir eigentlich aus dieser Zeit mitbringen?“ Filip sieht nach. „Ein Stück Schiffstau“, ruft er. Historicus wühlt in seiner Hosentasche. „Ich hab doch immer ein Taschenmesser dabei.“

Schon steigt er aus der Kapsel, schlendert zur Kogge, klettert hinauf und schneidet von einer Rolle Tau ein Stück ab. Kaum ist er zurück, fragt Lilli: „Was tragen die Arbeiter denn da in die Kogge?“ Historicus lächelt. „Oh, das sind Bierfässer. In Hamburg gibt es in dieser Zeit ungefähr 460 Brauereien. Die stellen riesige Mengen Bier her und verschiffen es mit den Koggen in viele Länder. Deshalb wird Hamburg auch ‚das Brauhaus der Hanse‘ genannt.“ „Da haben die Besitzer der Brauereien sicher viel Geld verdient“, überlegt Filip. „Ja, durch den Handel sind viele Bürger sehr reich geworden – sogar steinreich“, erzählt Historicus. „Viele Leute wohnen in Fachwerkhäusern. Das sind Gebäude, die aus einem Holzgerüst bestehen. Die Zwischenräume werden mit Lehm und Holz gefüllt. Nur die sehr Reichen können es sich leisten, diese Lücken mit Steinen auszumauern.“ „Deshalb sagen wir heute noch: Der ist steinreich?“, staunt Lilli. „Genau. Aber jetzt geht’s weiter“, ruft Historicus.

„Guckt mal, wir sind genau im Jahr 1400 auf dem Grasbrook. Oh, entschuldigt, ihr nennt das jetzt wohl ‚HafenCity‘.“ Filip zeigt aufgeregt nach unten. „Wow, der Mann hat ja ein Schwert in der Hand. Und dort – so viele gefesselte Männer.“ „Das sind alles Seeräuber“, weiß Historicus, „und der Erste in der Reihe ist der berühmte Klaus Störtebeker.“ „Den kenne ich“, sagt Filip stolz. „Weißt du auch, wie er zu seinem Namen kam?“ Filip schüttelt den Kopf. „Der Name Störtebeker bedeutet ‚Stürz den Becher‘, denn der Sage nach soll er einen Vierliterbecher ohne abzusetzen ausgetrunken haben.“ Filip ruft begeistert: „Das ist ja cool. Auf dem Block steht übrigens, dass wir einen Bierkrug mitnehmen müssen.“ Lilli ist unbeeindruckt. „Aber Piraten sind doch böse. Warum ist Störtebeker denn so berühmt?“„In dieser Zeit, Lilli, sind die meisten Menschen sehr arm und hungern“, sagt Historicus. „Die Adligen jedoch und einige Kaufleute sind sehr reich. Die Piraten greifen ihre Schiffe an und rauben sie aus. Dadurch fügen sie den Reichen großen Schaden zu. Die Beute teilen sie untereinander auf.“ „War Störtebeker denn immer ein Pirat?“, will Filip wissen. „Keiner weiß genau, wo und wann er geboren wurde“, sagt Historicus. „Doch sicher ist, dass er zuerst in der Ostsee sein Unwesen getrieben hat. Damals führte der König von Schweden gegen die Königin von Dänemark Krieg. Weil er selbst nicht so viele Schiffe besaß, stellte er für jeden, der bereit war, Dänemark zu schädigen, Kaperbriefe aus.“

„Was sind denn Kaperbriefe?“, unterbricht ihn Lilli. „Das ist der Auftrag einer Regierung, Schiffe einer anderen Nation auszurauben und zu versenken“, erklärt Historicus. „Die Piraten haben damals sogar drei Jahre lang die Stadt Stockholm mit Lebensmitteln versorgt, als sie belagert wurde.“ „Dann waren sie ja so eine Art Soldaten“, meint Filip. „Ja, eine Zeit lang schon. Aber als die Seeräuber nicht mehr gebraucht wurden, überfielen sie weiterhin Schiffe. In dieser Zeit kreuzten 100 Piratenschiffe mit 2000 Mann Besatzung in der Ostsee. 1398 flüchteten die Seeräuber in die Nordsee. Dort führte Störtebeker seine Raubzüge von der Insel Helgoland aus. Vor der Insel wurde er nach schwerem Kampf gefangen. Tja, und jetzt sollen er und seine Männer geköpft werden. Ach, wer holt denn überhaupt unseren Beweis, den Bierkrug?“ „Das mache ich“, ruft Lilli. Unsichtbar entreißt sie einem Schaulustigen den Becher und rennt zum Time-Changer zurück. Filip ist richtig stolz: „Das hast du super gemacht! Übrigens habe ich gehört, dass Störtebeker versprochen wurde, dass die Männer, an denen er ohne Kopf vorbeigeht, begnadigt werden. Er soll elf Männer passiert haben, bis der Henker ihm ein Bein stellte. Jetzt können wir ja sehen, ob das wahr ist.“ „Das kommt gar nicht infrage“, sagt Historicus. „Wir machen, dass wir wegkommen.“

Teil 2: Filip und das 17. Jahrhundert

Die Reise geht weiter! Zusammen mit den Hamburger Geschwistern Lilli und Filip ist Historicus unterwegs durch die Geschichte der Stadt. Plötzlich bremst die Zeitmaschine Time-Changer so stark, dass die Zeitreisenden von ihren Sitzen gerissen werden.

„So ein Mist!“, schimpft Historicus. „Ich bin vom Antriebspedal abgerutscht.“ Als Lilli sich von dem Schreck erholt hat, ruft sie begeistert: „Das sieht hier ja schön aus. Und was die Leute für kostbare Kleider tragen! In welchem Jahr sind wir denn?“ „Mal sehen – wir sind im Jahr 1619 –, Hamburg ist die größte Stadt Deutschlands“, berichtet Historicus. „Dort unten wird gerade eine Hochzeit gefeiert, und die Eltern der Brautleute sind wohlhabende Hamburger Kaufleute. Stellt euch vor, damals haben die reichen Leute so viel Geld für Kleidung und Feiern ausgegeben, dass der Hamburger Rat ein Gesetz gegen übertriebene Kleiderpracht und zu hohe Ausgaben für Feste erlassen hat.“ „Das waren wohl reiche Pfeffersäcke“, grinst Filip. „Genau. Damals waren Gewürze sehr kostbar, und wer einen Sack voll mit Pfeffer besaß, war ein reicher Mann.“ „Also deshalb nennt man in Hamburg reiche Leute ‚Pfeffersäcke‘“, staunt Lilli.

„Aber manche der Gäste sehen gar nicht wie Hamburger aus“, wundert sich Filip. „Nun, von den 40000 Einwohnern der Stadt ist jeder Vierte ein Ausländer“, erklärt Historicus. „In dieser Zeit werden Tausende Menschen in Holland, Spanien, Portugal und Frankreich wegen ihrer Religion verfolgt. Viele von ihnen sind nach Hamburg geflüchtet. Unter ihnen sind berühmte Ärzte, wohlhabende Händler und Handwerker. Das sind Leute wie Herr Amsinck oder Herr Jenisch. Auch erfolgreiche englische Kaufleute siedeln sich in Hamburg an. Sie alle haben großen Einfluss auf den Wohlstand der Stadt. Seit ein paar Jahren sind sogar alle Straßen in Hamburg gepflastert.“ „Dürfen die Ausländer denn ohne Probleme Hamburger Bürger werden?“, erkundigt sich Filip. „Na ja“, Historicus runzelt die Stirn, „sie müssen die Steuern zahlen können und zum lutherischen Glauben gehören – und natürlich Männer sein!“ „Frauen dürfen nicht Bürgerinnen werden? Das ist ja gemein“, entrüstet sich Lilli. „Vor 60 Jahren sind hier sogar 14 Frauen als Hexen angeklagt worden“, erzählt Historicus.

„Vier Frauen wurden verbrannt und zwei zu Tode gefoltert.“ Lilli ist schockiert: „Das ist ja furchtbar! Zum Glück lebe ich nicht in dieser Zeit.“ „Es ist aber auch viel Gutes passiert“, beschwichtigt Historicus. „Zum Beispiel wurde das erste allgemeine Krankenhaus, das sogenannte Pesthaus, errichtet. Hier werden nicht nur Kranke gepflegt, es dürfen auch Bettler übernachten. Außerdem wurde ein Waisenhaus gegründet. Dort werden Kinder betreut, die keine Eltern mehr haben. Auch das erste Gymnasium ist eröffnet worden, allerdings nur für Jungen. Und es gibt sogar eine wöchentliche Zeitung – etwas ganz Besonderes in dieser Zeit!“ „Du kommst ja richtig ins Schwärmen“, schmunzelt Filip.

Eine der nächsten Stationen ist das Jahr 1678. Historicus bremst den Time-Changer ab und weist nach unten: „Das Jahr gehört zwar nicht zu meiner Prüfung, aber das hier will ich euch unbedingt zeigen.“ „Das sind ja viele Schiffe – die ziehen etwas hinter sich her.“ Lilli schaut angestrengt herab. „Bei den Booten handelt es sich um 52 Grönlandfahrer. Sie haben im Eismeer Wale und Robben gejagt und kommen jetzt nach Hamburg zurück. Und das, was sie hinter sich herschleppen, sind tote Wale“, erklärt Historicus. „Die armen Tiere.“ Lilli ist empört. „Warum haben sie die Wale getötet?“ „In dieser Zeit gibt es noch keinen Tierschutz! Die Wale sind sehr wertvoll für die Menschen. Denn aus den riesigen Mengen Walspeck wird Öl gekocht – das stinkt übrigens fürchterlich. Das Öl braucht man als Brennstoff für Lampen, für die Herstellung von Seife, Salben, Farben, Suppen.“ „Seht euch das Schiff mal an!“ Filip deutet begeistert auf eine große Fregatte. „Das hat sogar Kanonen. Ob das ein Kriegsschiff ist?“ Historicus weiß Bescheid. „Das ist die berühmte ‚Leopoldus Primus‘, ein Konvoischiff. Sie besitzt 54 Kanonen und mindestens 150 Mann Besatzung. Sie soll die Grönlandfahrer vor Piraten schützen.“ „Gibt es denn immer noch Piraten?“, wundert sich Lilli.

„Oh, ja, die meisten kommen aus Nordafrika, sie werden Korsaren genannt. Im Mittelmeer sind sie der Schrecken der Seefahrer. Sie rauben die Schiffe samt der Ladung. Und, was am schlimmsten ist, sie nehmen die Besatzung gefangen und verkaufen die Menschen als Sklaven oder lassen sie nur gegen Lösegeld wieder frei. So kostet ein Kapitän 7000 Mark, ein Steuermann 3000 und ein Matrose 2400 Mark.“ „Können die Familien der Matrosen denn das Lösegeld zahlen?“, fragt Filip. „Meist nicht“, antwortet Historicus. „Deshalb wurde eine Sklavenkasse eingerichtet, eine Art Versicherung. In diese Kasse zahlen die Schiffseigentümer, die Seeleute und die Stadt ein. Sogar in den Hamburger Kirchen wird für das Lösegeld gesammelt.“ „Zum Glück sind diese Schiffe sicher im Hafen angekommen“, freut sich Lilli. „Ja, aber nur, weil sie von der ‚Leopoldus Primus‘ und ihrem hervorragenden Admiral Berend Jacobsen Karpfanger beschützt wurden. Sie sind nämlich in der Elbmündung von fünf französischen Piratenschiffen angegriffen worden. Nach zwölfstündigem Kampf konnten zwei Kaperschiffe versenkt werden, und die restlichen sind geflüchtet. Der Hamburger Admiral Karpfanger war ein Teufelskerl. Unter seinem Kommando ist noch kein Schiff gekapert worden.“ „Die Seeleute müssen mutige Männer sein“, meint Filip bewundernd. „Zuerst segeln sie bis nach Grönland. Dort fangen sie riesige Wale, und dann kämpfen sie noch gegen gefährliche Piraten.“

Teil 3: Mit der Zeitmaschine fast 200 Jahre zurück

Zeitreise durch die Geschichte Hamburgs – ein spannendes Abenteuer für die Geschwister Lilli und Filip, die mit ihrem Freund Historicus im Time-Changer unterwegs sind. „Der nächste Halt wird echt schwierig“, sagt Filip. Er hält das Ringbuch in den Händen. „Da ist sogar die Uhrzeit angegeben: 5. Mai 1842, 15 Uhr. Kriegst du das hin?“ „Keine Sorge, ich schaffe das schon“, meint Historicus. Mit großer Konzentration betätigt er Hebel und Bremse, bis die Kapsel stoppt. „Hey, genau richtig“, freut er sich. Aber die Kinder starren erschrocken auf die Stadt. „Da brennen ja ganz viele Häuser. Sogar der Kirchturm steht in Flammen!“, ruft Filip. Historicus wird ganz ernst: „Hamburg erlebt gerade eine furchtbare Katastrophe. In der Nacht ist in der Deichstraße ein Brand ausgebrochen. Das Feuer hat sich in rasender Geschwindigkeit ausgebreitet. Eben gerade hat der Turm der Nikolaikirche Feuer gefangen. Vor Kurzem haben die Leute hier noch Gottesdienst gefeiert.“ „Aber warum hat die Feuerwehr den Brand denn nicht gelöscht?“, will Lilli wissen. „Die Feuerwehrleute tun ihr Bestes, aber es weht ein ungünstiger Wind, die Häuser stehen eng beieinander, und die Straßen sind so schmal, dass das Feuer leicht von einer Seite zur anderen springen kann.

Die Polizei und die Regierung erkennen anfangs überhaupt nicht den Ernst der Lage. Sie erlauben erst später, einige Häuser zu sprengen, damit das Feuer gestoppt werden kann. Morgen wird man sogar das Rathaus in die Luft jagen, aber es ist zu spät.“ Historicus blickt traurig auf die brennenden Straßen. „Das Feuer wird noch drei Tage lang wüten und 1750 Häuser zerstören. Die Kirchen St. Petri und St. Nikolai brennen nieder. 20.000 Menschen werden obdachlos, das ist jeder fünfte Einwohner! Der Gesamtschaden wird 135 Millionen Mark betragen, das wären in unserer Zeit mindestens 1,5 Milliarden Euro.“ Filip unterbricht Historicus: „Was sollen wir eigentlich mitbringen?“ „Ein Bild vom brennenden Turm der Nikolaikirche“, ruft Lilli. „Darf ich fotografieren?“ „Na klar“, sagt Historicus, reicht ihr die Kamera, und schon ist die Aufgabe erledigt. „Das ist ja alles schrecklich. Hat denn jemand den Hamburgern geholfen?“, fragt Lilli mitfühlend. „Das allerdings ist grandios“, sagt Historicus. „Von überall her treffen Hilfsgelder ein, aus ganz Europa und sogar aus den USA, aus Mexiko, Brasilien und Kuba. Die Stadtregierung sorgt für Behelfsunterkünfte und Nahrung. Und in zwölf Tagen, wenn das erste Mal eine Eisenbahn nach Bergedorf fahren wird, werden damit viele Obdachlose aus der Stadt gebracht.“

„Und wie“, erkundigt sich Filip, „werden die Häuser wieder aufgebaut? Wie vorher?“ „Oh nein!“, sagt Historicus. „Der englische Ingenieur William Lindley entwickelt einen Aufbauplan. Straßen und Plätze werden verbreitert. Ein Wasserwerk entsteht, und für die Abwässer wird das erste Sielnetz in Deutschland gebaut. Schöne neue Gebäude wie die Alsterarkaden und das Thalia Theater werden errichtet.“

Nach einem Zeitsprung von 59 Jahren bremst Historicus so stark, dass der Time-Changer quietscht und bebt. „Ich möchte euch das hier unbedingt zeigen – auch wenn das Jahr 1901 nicht in Rot auf der Liste steht.“ „Wollen die Leute auf dem Schiff eine Kreuzfahrt machen?“, fragt Lilli. „Oh, nein“, sagt Historicus. „Diese Menschen wollen auf der ‚Graf Waldersee‘ nach Amerika fahren, um für immer dort zu leben. Zwischen 1850 und 1939 sind fünf Millionen Menschen über Hamburg ausgewandert, die meisten in die USA. Seht ihr die Familie mit den vielen Kindern? Das sind Esther und Joseph Gdycz mit ihren sechs Kindern. Sie haben schon eine lange Reise hinter sich. Sie kommen aus Russland.“ „Aber warum haben die Leute ihr Zuhause verlassen?“, will Filip wissen. „Nun, diese Familie zum Beispiel ist jüdisch. Sie musste flüchten, weil sie wegen ihrer Religion verfolgt wurde. Die Menschen kommen aus ganz Europa, viele von ihnen sind Bauern. Sie besitzen so wenig Land, dass sie davon nicht leben können. Andere finden hier keine Arbeit. Aber alle erhoffen sich in Amerika ein besseres Leben.“

„Und wo haben die Menschen bis zu ihrer Abreise gewohnt?“, fragt Filip. „Bis jetzt mussten sie in elenden Baracken oder dreckigen Hotels hausen. Aber seit diesem Jahr ist alles anders. Die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft, kurz Hapag, hat Auswandererhallen gebaut. Sie stehen auf der Veddel, der großen Insel in der Elbe. Hier können bis zu 1200 Menschen unterkommen.

Es gibt Schlafgebäude, Hotels, einen Speisesaal, Geschäfte und sogar eine Kirche. Die Betten sind mit frischen Laken bezogen, in den Waschräumen findet man Toiletten und warmes Wasser zum Waschen. Diesen Luxus erleben viele Menschen zum ersten Mal. Alle Leute werden von Ärzten untersucht, damit keine ansteckenden Krankheiten eingeschleppt werden. Schon nach zwei bis vier Tagen geht es auf einem der großen Dampfschiffe weiter nach Amerika.“ „Wer hat sich das denn ausgedacht?“, fragt Filip. „Das war der Generaldirektor der Hapag, Albert Ballin aus Hamburg.“ „Wurde nach ihm der Ballindamm benannt?“, erkundigt sich Filip. „Genau. Die Hapag und andere Schifffahrtslinien verdienten sehr viel Geld mit den Auswanderern. Noch vor wenigen Jahren wurden die Menschen auf Segelschiffen in niedrige Zwischendecks gepfercht. Sie durften während der Überfahrt nicht nach oben aufs Deck. Viele starben elendig an Krankheiten oder sind verhungert.

Doch nun dauert die Fahrt auf einem Dampfschiff nur noch 14 Tage, die Passagiere haben mehr Platz und dürfen sich auf dem Schiff bewegen. Übrigens hat hier vor acht Jahren, also 1893, ein Mann mit Namen Josef Kamp ein Schiff nach New York bestiegen.“ „Ja, und“, fragt Lilli, „warum erzählst du uns das?“ „Weil dieser Mann der Urgroßvater von Angelina Jolie war.“ „Das ist ja cool! Das ist meine Lieblingsschauspielerin“, ruft Filip begeistert.

Ende