„Dry aged“-Fleisch erobert die Hamburger Gastronomie. Gleich drei Restaurants liefern sich einen Wettstreit um das beste Steak der Stadt.

Hamburg. Wochenlang hing es offen an der Luft, hat sich bräunlich-dunkel verfärbt, ist an einigen Stellen angetrocknet, teilweise schimmelt es sogar leicht. Kurzum: ein appetitliches Stück Fleisch sieht anders aus. Aber die Stücke mit der befremdlichen Optik sind weder ein Fall für das Gesundheitsamt noch Corpus delicti in einem Gammelfleischskandal, sondern für Kenner und Liebhaber geschmacklich herausragender Steaks ein wahrer Schatz: Es ist „Dry aged“-Fleisch.

Die besondere Art zu reifen verleiht ihm seinen erstklassigen Geschmack. Statt wie gewöhnliches Fleisch nur wenige Tage abzuhängen oder eingeschweißt im Vakuum („wet aged“) reift es trocken an der Luft. Und das bis zu vier Wochen lang - ein altes, in Vergessenheit geratenes Verfahren der Fleischveredelung. Aus Kostengründen wurde es von kürzeren Reifezeiten verdrängt und erst vor einigen Jahren in wiederentdeckt. Seinen Siegeszug begann das kostbare Fleisch nach seiner Wiederentdeckung im New Yorker Steak-Restaurant „Wolfgang's Steakhouse“ an der Park Avenue, wo der Bremer Wolfgang Zwiener mit seiner Topware seit Jahren für Furore sorgt.

Entscheidend für das perfekte Ergebnis ist das exakte Zusammenspiel von Temperatur (ein bis sechs Grad), ständiger Luftzirkulation und der richtigen Luftfeuchtigkeit. Dann beginnen natürliche Enzyme die Struktur des Fleisches aufzulösen, das dadurch deutlich zarter und voller im Geschmack wird. Durch diesen langwierigen Prozess verliert das Fleisch nicht nur seine gewohnte kräftig rote Farbe, sondern auch viel Gewicht: Bis zu 20 Prozent leichter ist es am Ende. Dieser Verlust, die lange Lagerungszeit und das vor der Zubereitung notwendige Entfernen der äußeren Schicht haben ihren Preis: „Dry aged“-Qualität kostet bis zu 40 Prozent mehr als konventionelle.

Jetzt erobern die wertvollen Steaks auch die Hamburger Gastronomieszene: Gleich drei Restaurants liefern sich einen Wettstreit um das beste Steak der Stadt. Das Rennen dürfte knapp werden, alle drei verarbeiten herausragende Rohfleischqualitäten, nur in der Zubereitung zeigen sich zwei unterschiedliche Philosophien.

Vorreiter in Hamburg ist das Goldfisch, nach eigenen Angaben Deutschlands erstes Restaurant mit dem gut abgehangenen Fleisch. Gastgeber Ullrich Marsau kauft ausschließlich mit Mais gemästetes Black Angus aus den USA ein und lässt es im eigens eingerichteten Klimaraum reifen. Das Ergebnis können die Gäste in einer Vitrine bestaunen. Bei der Zubereitung schwört Marsau auf extrem scharfes Anbraten in einer Edelstahlpfanne. Von jeder Seite wird das Steak dabei am Knochen ein bis zwei Minuten angebraten, anschließend vom Knochen gelöst und bei Oberhitze zuendegegart. Serviert werden die Steaks hier als drei Zentimeter dicke Porterhouse, das mit seinen rund 500 Gramm ohne Knochen und den Beilagen (Honauer- oder Röstkartoffeln und zwei verschiedene Salate) locker zwei Personen satt macht.

Auf Position zwei ist das neue Restaurant von Fernsehkoch Christian Rach, Ritchy Mayer und Maike Urban in das Rennen eingestiegen: Rach & Ritchy in den Räumen des ehemaligen Das kleine Rote in Bahrenfeld - dort, wo Rach vor vielen Jahren seine Karriere im ersten Tafelhaus startete. Das Fleisch kommt zu einem Teil aus einer kleinen Metzgerei am Tegernsee und wird erst in Hamburg mit der Reifung veredelt; der andere Teil wird bereits ausgereift aus den USA geliefert. Auch hier können die Gäste durch ein Fenster ein Blick auf ihre Bestellung im Rohzustand werfen. Bei der Zubereitung schwört man auf Hightech: Ein spezieller Herd aus den USA erzeugt bis zu 800 Grad Hitze. Das soll das Fleisch außen besonders knusprig machen und dabei innen saftig halten. Nach einem Baukastensystem können sich die Gäste für jeweils eine Kartoffel-, eine Gemüsebeilage und eine Sauce entscheiden.

Im Side-Hotel ist man offenbar so sehr von der neuen Fleischqualität überzeugt, dass man sich direkt dazu entschlossen hat, das gesamte Restaurant-Konzept nach ihr auszurichten. Voraussichtlich ab Anfang Oktober ersetzt dann das Meatery das bisherige Restaurant Fusion, statt euro-asiatischer Gerichte werden künftig saftige Steaks auf der Karte stehen. Die Wahl der Rohware fiel hier auf Fleisch vom Husumer Weiderind. Geschmack, Marmorierung und der Pluspunkt in Sachen Regionalität gaben den Ausschlag. Das Reifen ist Chefsache, am Knochen hängen die Rückenstränge drei bis vier Wochen in der eigenen Reifezelle ab und auch hier können sie von neugierigen Gästen durch Glas als Blickfang bestaunt werden. Zu den Steaks können Beilagen, Saucen, diverse Sorten selbstgemachter Steakbutter und Chutneys gewählt werden

Die optimale Garstufe für die Zubereitung ist medium-rare. Die dabei sonst aus herkömmlichen Steaks heraustretenden Fleischsäfte und das Blut bleibt bei den gereiften Steaks im Fleisch erhalten. Das Geschmackserlebnis ist verblüffend: Das Fleisch könnte zarter kaum sein und hat einen ausgewogen-kräftigen Geschmack.

Wer herausfinden möchte, wer den Wettstreit um das beste Steak der Stadt gewinnt und große Fleischeslust verspürt, sollte sich einfach durchprobieren.

Goldfisch Isekai 1 (U Klosterstern), 20249 Hamburg, T. 57 00 96 90, www.goldfisch.de

Rach & Richy Holstenkamp 71 (Bus 180, 288, S Diebsteich), 22525 Hamburg, T. 89 72 61 70, www.rach-ritchy.de

Meatery voraussichtlich ab Oktober 2009, Side Hotel, Drehbahn 49 (U Gänsemarkt), 20354 Hamburg, T. 30 99 90, www.side-hamburg.de