„Es geht hier nicht um Leben oder Tod - es geht um mehr.“ Am Millerntor spürt man, was Bill Shankly mit dieser Fußball-Weisheit meinte. Das Millerntor ist ein Gesamtkunstwerk.
Als Fan des FC St. Pauli lernt man, mit Würde zu verlieren: Selbst wenn die eigene Mannschaft mit 0:3 aus dem eigenen Stadion geschossen wird, gesungen wird trotzdem. Leidenschaft kommt von Leiden, und gelitten wird oft und gern am Millerntor. Jahrzehnte war der Verein notorisch pleite, dem Aufstieg in die Bundesliga folgte meist postwendend der sofortige Wiederabstieg in die 2. Liga, mitunter sogar in die Tristesse der Regionalliga.
Das Millerntor ist ein Gesamtkunstwerk
Gefeiert wird dennoch. Für die Gegengerade benötigt man drei Dinge: Durst, Stimme – und eine Eintrittskarte. Letzteres ist das Schwierigste, aber zumindest auf der Nord- oder Haupttribüne ist mit etwas Glück manchmal noch ein Platz frei. Das Millerntor ist ein Gesamtkunstwerk aus 30.000-Kehlen-Chor, Performance, Drama und geradezu grotesken Regie-Einfällen: Tore fallen gern in der Nachspielzeit – leider auf beiden Seiten – und werden mitunter sogar vom Torwart geköpft: 0:2-Rückstände werden entweder verspielt oder heldenhaft gedreht; Spitzenteams verlieren am Millerntor, Abstiegskandidaten triumphieren. Irgendwas passiert immer. Und das mitten im Leben, einen Abschlag entfernt vom „Freudenhaus der Liga“ ist eigentlich immer Dom; einen Befreiungsschlag entfernt wird auf St. Pauli oder in der Schanze die „After-Show-Party“ gefeiert.
Fußball ist auf St. Pauli nur ein Teil des Lebens
Was ist das Besondere am Gesamtkunstwerk St. Pauli? Manche werden sagen, die Stimmung, das Stadion, die Historie seit Hafenstraßenzeiten. Vermutlich aber ist es ein Stück Hamburg, das selten geworden ist: Es überwindet die soziale Spaltung zumindest für zweimal 45 Minuten, weil hier CDU und Linksfraktion auf einer Linie leiden, Billstedt und Blankenese gemeinsam jubeln und Arbeitslose und Arbeitgeber sich in den Armen liegen. Fußball ist auf St. Pauli nur ein Teil des Lebens mit all seinen Widersprüchen, die es stets zu diskutieren gilt. „St. Pauli ist die einzige Möglichkeit“, heißt ein lesenswertes Buch über den Kiezklub. Der FC St. Pauli ist eine einzigartige Sehenswürdigkeit.
Weitere Informationen: Millerntor-Stadion, Heiligengeistfeld 1, 20359 Hamburg, www.fcstpauli.com/home/stadion
