Die heiße Meile, wie die Reeperbahn gerne genannt wird, ist eine Fälschung. In Wirklichkeit misst sie nämlich nur 960 Meter, gerade mal eine halbe Meile also.

Die heiße Meile, wie die Reeperbahn gerne genannt wird, ist eine Fälschung. In Wirklichkeit misst sie nämlich nur 960 Meter, gerade mal eine halbe Meile also. Doch auch wenn die Straße kurz ist, die Abende werden hier immer lang. Manche Besucher brauchen Stunden, um den knappen Kilometer zurückzulegen. Oder kommen wie Rotkäppchen ganz vom Wegesrand ab. Den bösen Wolf gibt es hier gleich in verschiedenen Gestalten und Geschlechtern, nur als Großmutter tritt niemand auf. Die Prostituierten tragen zwar gerne glitzernde Beinkleider in Stützstrumpf-Dicke, sind aber wesentlich harmloser als die Koberer, die in fünf Minuten mehr Lügen erzählen als Pinocchio in seinem ganzen Leben. "Komm rein, mein Jung! Unsere Traumfrauen haben das ganze Leben schon auf dich gewartet!"

Die Koberinnen gehen wortwörtlich noch einen Schritt weiter, sodass sich plötzlich eine Hand in denselben eines männlichen Kiezbesuchers verirrt. Manche mögen's dreist.

"Aber das erlebt man doch gerne, oder?" Susann Witt-Stahl führt Besucher beim "St. Pauli-Quickie" in 66 Minuten vorbei an den Höhepunkten der Reeperbahn. Schneller sind Sie noch nie mit Boxern (Zur Ritze), Polizisten (Davidwache), Katholiken (St.-Josephs-Kirche), Trinkern (St. Pauli Weinklub), Tänzern (Café Keese), Kultfiguren (Hans-Albers-Platz), Witzbolden (Quatsch Comedy Club) und Junggesellen (überall sonst) bekannt geworden.

"Dem Mythos nach gilt St. Pauli als Zentrum der Lust in dieser Stadt. In Wirklichkeit findet hier nur zehn Prozent der Prostitution statt. Die geile Meile ist vor allem eine Partymeile." Die 47-jährige Witt-Stahl überzeugt nicht nur durch ihren stilechten Piraten-Look als Kennerin. 25 Jahre hat sie dort gelebt, wo geschätzte Milliarden von Gehirnzellen ihr Leben ließen. Als Studentin liebte sie den Kiez zunächst sogar mehr als ihre berufliche Zukunft. "Irgendwann kannte ich jeden Wirt, aber keinen meiner Professoren." Diese Bildungslücke wurde irgendwann geschlossen, sodass der Rundgang gleichzeitig eine unterhaltsame Geschichtsstunde ist.

Bis 1894 war St. Pauli das gallische Dorf vor den Toren der Stadt, ein Outlaw, der nicht die gleichen Rechte besaß, dafür aber die große Freiheit genoss. Früher konnten sich Besucher sogar an den sogenannten "Theateraufführungen" beteiligen. Heute darf man nur noch zugucken, wenn sich Biene Maja und Willi auf der Bühne des letzten Live-Sex-Schuppens "Safari" bestäuben. Die Nutten draußen erzählen, dass ihr Umsatz um fast 40 Prozent zurückgegangen sei, die Wirtschaftskrise und das Internet seien schuld.

Aber selbst wenn früher angeblich alles besser war: Diesen Cocktail aus Mythos und Moderne müssen Sie einmal gesehen haben. Ihnen werden die Augen geöffnet: "Das mit dem Eimer Wasser, den die Nutten Frauen auf den Kopf kippen, die sich verbotener Weise in die Herbertstraße verirren, stimmt nicht", verrät Witt-Stahl. "Da ist nicht nur Wasser drin."

Tour

St.-Pauli-Quickie - in 66 Minuten über die heiße Meile

Treffpunkt: Spielbudenplatz vor der Davidwache.

Anmeldung empfohlen unter: 040-87 08 01 00

www.stattreisen-hamburg.de

Termine: von Februar bis Ende November sonnabends 17 und 19 Uhr.

Preise: 8 Euro (inklusive einem Sauren).

ÖPNV: S 1/S 2/S 3 Haltestelle Reeperbahn; U 3, Haltestelle St. Pauli.

Geeignet für Historiker und alle, die unter Rotlicht keine Wärmelampe verstehen.